Diese Woche in Kopenhagen

Von Bettlern in Kopenhagen und Leichenhallen in Bukarest

Von Bettlern in Kopenhagen und Leichenhallen in Bukarest

Von Bettlern in Kopenhagen und Leichenhallen in Bukarest

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Foto: dpa

Sinti und Roma werden europaweit marginalisiert, diskriminiert und müssen vielerorts unter unwürdigen Bedingungen leben. Für Jan Diedrichsen, Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit in Dänemark, ist dies ein Skandal und Bruch der Menschenrechte und Werte, auf denen wir meinen, Europa zu bauen. Er fordert, dass sich die Politik den Rechten dieser Menschen annimmt.

Das dänische Parlament hat Ende Juni mit großer Mehrheit ein Gesetz erlassen, welches das Betteln unter Strafe stellt. Bis zu 14 Tage Haft droht den Bettlern. Das Gesetz hat europaweit für Aufsehen und Kritik gesorgt. Die Politiker, die dem Gesetz zugestimmt haben, weisen jeglichen rassistischen Hintergrund zurück. Man wolle damit ein wachsendes Ärgernis in den Städten in den Griff bekommen, heißt es unisono von den Volksvertretern. Das Gesetz – so darf man vermuten – genießt in der Bevölkerung überwiegende Zustimmung.  

Doch wo kommen diese Bettler her? Was ist ihr Hintergrund? Warum verlassen sie ihre Heimat, um im Ausland an Straßenecken bei Wind und Wetter um Almosen zu betteln?

Der Landesverband der Sinti und Roma in Schleswig Holstein, unter Leitung von Matthäus Weiss, hat sich nach Rumänien begeben und sich in dem Land, aus dem viele der in Dänemark unerwünschten Bettler stammen, die Situation der Roma vor Ort angeschaut. Viele der Bettler in Kopenhagen und in anderen Großstädten Europas, gehören der Minderheit der Roma an. Rund 30 Sinto aus Schleswig-Holstein suchten unter anderem eine ehemalige Leichenhalle im Zentrum der rumänischen Hauptstadt Bukarest auf, wo mehrere Familien in schwer vorstellbarem und noch schwerer zu beschreibenden Elend dahinvegetieren. In den Roma-Slums wurden Nahrungsmittel verteilt. Es war bewegend, die Reaktionen der deutschen Sinti zu beobachten, die zum Teil erstmalig unmittelbar mit der Lebenswirklichkeit vieler Roma in Mittelosteuropa konfrontiert wurden.   

„Ich möchte vor allem den jungen Menschen unserer Minderheit zeigen, unter welchen Bedingungen Roma hier leben müssen. Ihnen wird verboten, ihre Sprache und Kultur zu leben und sie werden behandelt wie Vieh - nein, schlimmer als Vieh“, erklärt Matthäus Weiss. „Wir haben auch noch viele Probleme als Minderheit, aber im Vergleich zu den Menschen hier, geht es uns sehr gut. Das dürfen wir nie vergessen“, so Matthäus Weiss.  

Zurück zu den bettelnden Roma in den Straßen von Kopenhagen. Wer das Bild der Leichenhalle in Bukarest, mit den weinenden Frauen vor Augen hat, die dachten, dass wir mit den von uns überreichten Lebensmittel die Bezahlung für ihre Kinder leisten wollten und diese mitzunehmen gedachten, der kann keinem das Recht abstreiten, alles dran zu setzen, aus dieser Hölle zu entfliehen, um für sich und die eigene Familie eine bessere Zukunft zu finden. Sei es denn bettelnd, flaschensammelnd und ungeliebt in Kopenhagen. Was einen hingegen rasend machen kann, ist die Tatsache, dass die europäische Politik sich dessen nicht annimmt – die Situation natürlich kennt, sie aber bestenfalls verdrängt bzw. schlimmer noch, selbige einfach negiert. Nur der Druck auf Rumänien, Slowenien, Ungarn und den vielen anderen Ländern, in denen die unwürdigen Lebensbedingungen der Roma System haben, kann etwas bewirken. Doch es findet in diesen Ländern ungetrübt eine rassistische und menschenunwürdige Politik statt, ohne Mahnbriefe von der EU-Kommission zu provozieren. 

Derzeit liegt der Fokus Deutschlands und Dänemarks auf Abschiebung abgelehnter Asylbewerber (vor allem Balkan) oder Ausweisung von EU-Bürgern ohne Arbeit. Von Minderheitenschutz kann gar keine Rede sein. Die Roma in Europa werden weiter gebrochen, ignoriert und marginalisiert. Die eigene Kultur ist nichts wert, die Sprache Romanes ein Unding und alles was blond und blauäugig ist, das ist schön. 

Große Teile der rund 10-14 Millionen Menschen in Europa, die sich der äußerst heterogenen Gruppe der Roma zugehörig fühlen, wachsen so auf; Sie sind tief traumatisiert – ohne Selbstbewusstsein und Selbstwert.  Ein Skandal und Bruch der Menschenrechte und Werte, auf denen wir meinen, Europa zu bauen.  

Zu Recht bemerkte eine Teilnehmerin aus Kiel: „Wenn wir in Deutschland so Tiere behandeln würden, dann würden alle Menschen auf die Straße gehen und dagegen protestieren.“ 

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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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