Leitartikel

Die Spiele gehen weiter

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Apenrade/Aabenraa
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Mette Gjerskov Foto: Niels Ahlmann Olesen/Ritzau Scanpix

Wer sich angesichts der Popularität ausländerfeindlicher Parteien auf deren Kurs einlässt, in der Hoffnung, so Wähler abgreifen zu können, der ist auf dem Irrweg, meint Cornelius von Tiedemann. Feuer mit Feuer bekämpfen, das habe noch nie funktioniert.

Vor bald einem Jahr haben wir an dieser Stelle unter der Überschrift „Machtspiele statt Demokratie“ die Frage aufgeworfen, wie glaubwürdig die Parteiendemokratie noch ist, wenn sich die Parteien organisieren wie Unternehmen, die die „Ware Politik“ verkaufen.

Leider hat sich seither kaum etwas getan, was überzeugten Demokraten Mut macht. In ganz Europa wird darüber gerätselt, weshalb demokratie- und europafeindliche Kräfte auf dem Vormarsch sind, während viele der Parteien, die sich als Hüter des demokratischen Geistes betrachten, mit ihren Machtspielen selbst die demokratische Begeisterung dämpfen und ihre Gegner geradezu dazu einladen, sie im Goebbels-Jargon als „Altparteien“ zu beschimpfen.

Zugleich spielen sie jenen, die das vereinte, progressive, weltoffene Europa nicht wollen, in die Hände, indem sie sich auf ihr Niveau herablassen, auf ihren Kurs einschwenken, keinen Widerstand mehr leisten, sondern den Kampf um die Meinungshoheit in der kurzsichtigen Hoffnung auf Wahlerfolge aufgeben und versuchen, im Rennen um die immer härtere Rhetorik die Nase vorn zu haben.

Sie wollen Feuer mit Feuer bekämpfen. Das auffälligste Beispiel dieser Harakiri-Strategie sind derzeit die dänischen Sozialdemokraten. Die endgültige Demontage der ehemaligen Landwirtschaftsministerin Mette Gjerskov in der eigenen Fraktion spricht Bände.

Der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Henrik Sass Larsen, wie Parteichefin Mette Frederiksen einer der Apostel des Rechtsruck-Predigers, Stabschefs der Sozialdemokraten und Spindoktoren-Gurus Martin Rossen, hatte Gjerskov am Dienstag angerufen und ihr mitgeteilt: Du bist den Posten der Sprecherin für Entwicklungshilfe los.

Warum? Nicht etwa, weil Gjerskov keinen Einsatz gezeigt hat. Im Gegenteil: Weil Gjerskov zu viel Einsatz zeigte und ihrem Gewissen folgte – aber nicht der (neuen) Parteidoktrin. Die Feministin stimmte gegen das Burkaverbot und hielt sich nicht an die „Empfehlung“ der Parteispitze. Ob sie damit inhaltlich richtig lag oder nicht, ist dabei nicht der Punkt. Es geht darum, wie viel Respekt noch für Politiker besteht, die nicht aus taktischen Erwägungen heraus, sondern aus Überzeugung agieren.

Die Parteispitze um Rossen jedenfalls verlangt Solidarität – und übt Zwang aus, um diese durchzusetzen.

Fraktionszwang gibt es formal in Dänemark – wie auch in Deutschland – gar nicht. Parlamentarier sind lediglich ihrem Gewissen verpflichtet. Doch im politischen Alltag sieht es – teils mit gutem Grund für die politische Stabilität – seit jeher anders aus. Es sorgt schon für erhebliches Aufsehen, wenn eine Partei entscheidet, eine Abstimmung freizugeben – was meist in sogenannten „Gewissensentscheidungen“ der Fall ist.

Ethische Fragen wie die Burkafrage gehören in diese Kategorie. Dass die Sozialdemokraten die Entscheidung in einer solchen Frage nicht freigeben – oder zumindest Verständnis für Abweichler haben – zeigt, welch ideologische Disziplin den Abgeordneten unter Frederiksen-Sass-Rossen heute abverlangt wird.

Das Produkt Sozialdemokratie muss klar wiedererkennbar sein, in jeder Aussage jedes Repräsentanten der Partei. Die Partei hat immer recht? Das Statement der Parteiführung zum Fall Gjerskov weckt diese Assoziation, ist aber letztlich politisch gang und gäbe: „... es kann keinen Zweifel an der sozialdemokratischen Politik geben, und man darf keine Vertrauensposten bekleiden, wenn man nicht respektiert, bei wesentlichen politischen Themen zusammenzustehen, darunter auch die Ausländerpolitik.“

Das Interessante am Fall Gjerskov ist aber eben, dass sich die Sozialdemokraten hier in ihrer Haltung von Gjerskov wegbewegt haben, nicht umgekehrt, und dass es sich, wie eben beschrieben, im Grunde um eine Gewissensfrage handelte. Die rabiate Durchsetzung der Fraktionsdisziplin verdeutlicht, wie sehr sich die Partei nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell mittlerweile der knallhart von oben gelenkten Dänischen Volkspartei angenähert hat.

Frederiksen, Sass und Rossen glauben an diesen Weg und wollen mit ihm unbedingt an die Macht. Warum auch immer. Wer immer es hören will, dem erklären sie, weshalb das, was sie da tun, unter dem Titel Sozialdemokratie läuft. Wer ihnen das nicht abkauft, wer sich in den Weg stellt, wird weggeschoben. Das sind die Regeln.

Machtspiele statt Demokratie.

 
 
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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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