Neujahrstagung

Minderheit sah sich als Opfer und leugnete eigene Mitverantwortung

Minderheit sah sich als Opfer und leugnete eigene Mitverantwortung

Minderheit sah sich als Opfer und leugnete eigene Mitverantwortung

Sankelmark
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Henrik Skov Christensen diskutierte im Anschluss an seinen Vortrag mit dem Publikum im vollbesetzten Saal der Akademie Sankelmark. Foto: Karin Riggelsen

Henrik Skov Kristensen, Leiter des „Frøslevlejrens Museum“, sprach in Sankelmark über die Geschichte des Umganges mit der eigenen Vergangenheit in der deutschen Minderheit in Nordschleswig.

Über eine sehr späte selbstkritische  Aufarbeitung der eigenen Geschichte während der NS-Zeit und der Besetzung Dänemarks durch deutsche Truppen  zwischen 1940 und 1945 durch die  deutschen Nordschleswiger  berichtete der Leiter des Museums „Frøslevlejrens Museum“, Dr. Henrik Skov Christensen, in Sankelmark. Zu  Beginn der Neujahrstagung der deutschen  Minderheit   hatte Skov Christensen, der  seit Jahren   wissenschaftlich die juristischen Konsequenzen  der Kollaboration mit der Besatzungsmacht und die Folgen für das deutsch-dänische Grenzland erforscht, zunächst die   Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Ende der Naziherrschaft 1945 beleuchtet – und die     sich daran orientierende  Erinnerungskultur in Kreisen der deutschen Minderheit in Nordschleswig.

Er berichtete über Zustimmung zur Entnazifizierung und Bestrafung von Kriegsverbrechern in Deutschland kurz nach  Kriegsende. Dieser sei bereits nach wenigen  Jahren das Verständnis von einer Siegerjustiz gewichen, während man sich angesichts von Flucht und Vertreibung  selbst als größtes Opfer des Krieges sehen wollte. Nach der Wiedergutmachungsphase  habe es lange keine  juristische  Aufarbeitung der Judenverfolgung und -massenvernichtung  gegeben. Ein Wendepunkt seien  Eichmann- und Auschwitzprozesse  in den frühen  1960er Jahren und der 1968-Aufruhr gewesen. 

Auch die Fernsehserie Holocaust und  Kohls Formulierung von der Gnade der späten Geburt  hätten Bewegung  in die Debatte gebracht,  in der lange ein Bild vorherrschte, die Nazi-Elite habe die Massen verführt. Erst Bundespräsident Richard von Weizsäcker habe  1985 nicht nur   festgestellt, dass die deutsche Niederlage 1945 auch   eine Befreiung für das deutsche Volk gewesen sei. 
 

Edlef Bucka Lassen warf in der Diskussion die Frage auf, ob der für Beteiligte schockierende Rahmen der Prozesse gegen Angehörige die mangelnde Akzeptenz der Rechtsabrechnung unter deutschen Nordschleswigern befördert haben könnte. Foto: Karin Riggelsen

Verbrechen der Wehrmacht

Die  Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht habe ebenso wie viele Forschungsergebnisse das Bild einer breiten  Verankerung der   Naziuntaten in Institutionen und Bevölkerung deutlich gemacht. In der Gegenwart prägten Erinnerungsstätten und Filmproduktionen die Bereitschaft in Deutschland, sich der eigenen dunklen Vergangenheit zu stellen.

Skov Christensen erklärte in seinen Ausführungen über den Verlauf der „Vergangenheitsbewältigung“  in der  Minderheit in Nordschleswig, dass vor 1945  die  deutschen Nordschleswiger ihre Identität fast total in Deutschland platziert hatten und eine absolute Solidarisierung mit Nazideutschland  seit 1945  den hohen Anteil von Angehörigen der deutschen Minderheit unter den Personen erklärt,  die im Zuge der Rechtsabrechnung verurteilt wurden.

„Es waren 25 Prozent aller Verurteilten in Dänemark“, so der Historiker, der  feststellte, dass die juristische Aufarbeitung des eigenen Handelns   innerhalb der Minderheit nie  anerkannt worden sei. Es herrschte das Bild vor, man sei nicht aufgrund individuellen Handelns, sondern  wegen der deutschen Gesinnung zur Rechenschaft gezogen worden.

 

Minderheit sah sich als Opfer

Skov Christensen zog den Schluss, dass man sich in der Minderheit als Opfer sah.  Allerdings erwähnte er auch die wichtige Rolle des antinazistischen Haderslebener Kreises und von weiteren Nazigegnern bei der Gründung des Bundes Deutscher Nordschleswiger im September 1945 in einer Phase, als es Forderungen in Dänemark gab, die deutsche Minderheit kollektiv aus Dänemark auszuweisen.   Welche bedeutende Rolle die „nazitreuen“ Volksgruppenmitglieder, von denen viele im Fårhuslager interniert waren, spielten, habe die Reaktion   auf eine  selbstkritische Artikelserie des Chefredakteurs  Ernst Siegfried Hansen im 1946 gegründeten Nordschleswiger gezeigt. „2.000 Abonnements des Nordschleswigers wurden gekündigt“, so  Skov Christensen, der über  eine spätere Ausrichtung der Zeitung auf Wertung der  Prozesse gegen deutsche Nordschleswiger als Teil einer Siegerjustiz berichtete.

„Thema war über Jahre die Forderung nach Amnestie und Kritik an Gesetzen mit rückwirkender Kraft“, so  Skov Christensen. Typisch sei  auch die Rückkehr von früheren Nazi-Akteuren in Funktionen der Minderheit gewesen – unterstützt auch von braunen Kreisen  in Schleswig-Holstein.

Nicht unerwähnt ließ er, dass  der Nordschleswiger die Leser mit Berichten über Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland versorgte, diese Thematik aber kein Thema in Kommentaren war. Typisch sei gewesen, dass interne Kritik aus der eigenen Jugend  wie dem Kreis junger Schleswiger  unterdrückt  worden sei. Erst Mitte der 1970er Jahre habe es einen neuen selbstkritischen Aufruhr gegeben, nachzulesen in Artikeln von Helge Wolffhechel, der sich   gegen einen Vergleich  der Fårhus-Internierung  mit den Morden an den Juden verwahrte. Erst mit der Rede Hans Heinrich Hansens 1995 in Düppel und der Entfernung von Kriegsverbrechernamen aus der Knivsberg-Gedenkstätte habe man deutlich  sichtbar Mitverantwortung für die eigene dunkle Vergangenheit übernommen.

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