Diese Woche in Kopenhagen

Unschuldig in Haft

Unschuldig in Haft

Unschuldig in Haft

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Demonstration für die Freilassung von Deniz Yücel. Foto: dpa

Wir müssen uns weltweit für die Menschenrechte einsetzen, meint der Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit in Dänemark, Jan Diedrichsen. Ihm zufolge haben wir die Möglichkeit, lauter und solidarischer zu werden, ohne uns selbst zu gefährden.

Seit 200 Tagen sitzt Deniz Yücel in der Türkei in Haft. Ohne Anklage. In Einzelhaft, ohne Kontakt zu Mitgefangenen. Nur selten darf ihn jemand besuchen. Alle 14 Tage darf er für 10 Minuten mit seiner Frau telefonieren. Deniz Yücel ist Journalist und Publizist. Er war von 2007 bis 2015 Redakteur der taz und ist seit 2015 Türkei-Korrespondent der Welt. Er hat die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft.

Ich habe Deniz Yücel bei einer Veranstaltung in Berlin kennengelernt, mit ihm gesprochen, auch über die Menschenrechtslage in der Türkei. Es macht die Tatsache, dass er auf unbestimmte Zeit weggeschlossen ist und man anscheinend gar nichts für ihn tun kann, noch deprimierender, noch surrealer. Dabei ist er nicht der einzige; auch andere ausländische Journalisten sitzen in Haft. Ganz zu schweigen von den vielen, vielen türkischen Journalisten, die grundlos inhaftiert sind. Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei wurden mindestens 156 Medienhäuser geschlossen, etwa 2.500 Medienschaffende verloren ihre Arbeit. 120 Journalisten wurden seitdem inhaftiert, viele sind seit Monaten ohne Anklage in Haft. Mit dem Vorwurf, den Terror zu unterstützen wird in der Türkei weggesperrt, wer kritisch ist oder nicht klein beigeben will. Neben Journalisten sitzen vor allem Menschenrechtsaktivisten in den Gefängnissen, wie der Mitarbeiter von Amnesty International, Peter Steudtner, der vor zwei Monaten inhaftiert wurde.

Doch nicht nur in der Türkei nimmt die Gefahr für die Menschenrechtsaktivisten und Journalisten kontinuierlich zu: Weltweit sind die Autokraten im Aufwind. Politiker wie Gerhard Schröder, der sich als Vorstand des Rosnef-Konzern anbietet, tragen dazu bei, Machthaber wie Putin oder Erdogan in der Öffentlichkeit salonfähig zu machen („lupenreiner Demokrat“). Während Menschenrechtsverteidiger und Journalisten in der Türkei und Russland kriminalisiert werden. Entweder man hält die Klappe, verlässt das Land oder wird verhaftet und muss sogar um sein Leben bangen. Einschüchterung, elektronische Kriegsführung, Drohungen, Gewalt etc.  gehören leider für Journalisten und Menschenrechtsaktivisten zum Alltag. Nur die wenigsten schaffen es ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die Politik verdrängt oder ignoriert die skandalösen Zustände, um den „kritischen Dialog“ mit Ländern wie Russland oder Türkei nicht zu gefährden; ganz zu schweigen von den lukrativen Geschäften, die es mit diesen Ländern zu machen gilt. Die Autokraten gewinnen an Oberwasser.

Zurecht könnte sich der eine oder die andere jetzt fragen, was diese Geschichte mit einem „Bericht aus Kopenhagen“ zu tun hat. Als ich am Sonntag die dänischen Wochenendzeitungen durchforstet habe, um für die heutige Kolumne ein Thema zu finden, wurde ich erschlagen mit Geschichten darüber, ob nun die angekündigte Steuerreform der Regierung gerecht oder ungerecht sei. Ob nun der Direktor oder die Kassendame am meisten profitiert. Ich hatte bereits angefangen eine leicht lustlose Analyse des „großpolitischen Innenfights“ auf Christiansborg zu schreiben, als ich von einem guten Bekannten die Nachricht erhielt, dass Deniz Yücel nunmehr 200 Tage im türkischen Gefängnis dahinvegetiert (hoffentlich lassen sie ihn dort zumindest rauchen). Da war mir nicht mehr nach einer innenpolitischen Analyse: Daher lesen Sie diesmal einen Appell an uns alle: dass wir beim nächsten Urlaub genau hinschauen, in welches Land wir reisen. Dass wir beim nächsten Gespräch mit einem Politiker oder der nächsten politischen Debatte die Menschenrechte und die Pressefreiheit nicht als naive Randthemen betrachten – sie sind zentral. Wir müssen uns für die Menschenrechte weltweit, nicht nur für unser eigenes Wohlergehen einsetzen. Wir haben die Möglichkeit dies zu tun, ohne selbst gefährdet zu sein. Wir müssen lauter und solidarischer werden.

Nicht alle haben diese Möglichkeit: Mindestens 74 Journalisten sind 2016 weltweit wegen ihrer Arbeit getötet worden, fast drei Viertel von ihnen wurden gezielt angegriffen. Die Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder GfbV dokumentieren täglich, wie die Lage sich für die Menschenrechtsaktivisten verschlimmert. Gesicherte Zahlen über die Todesfälle gibt es nicht; es dürfen bedeutend mehr sein, als die 74 ermordeten Journalisten.

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