Leitartikel

Deutschland-Dänemark

Deutschland-Dänemark

Deutschland-Dänemark

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Reichstagsgebäude
Das Reichstagsgebäude in Berlin. Foto: David Cohen / Unsplash

Wer Dänemark als Beispiel für ein Land mit langer Tradition für Minderheitsregierungen hernimmt – der muss auch die Tradition für die Fraktions- und Blockübergreifende Zusammenarbeit, die sogenannten Vergleiche, sehen, meint Siegfried Matlok.

„Deutschland ist nicht Dänemark.“ Diese (Binsen-)Wahrheit sprach die stellvertretende Parteivorsitzende der CDU, Julia Klöckner, in der ARD-Tagesschau am 26. November. Das war sicherlich nicht geografisch gemeint, sondern eher geopolitisch. Wie viel  die bekannte CDU-Politikerin aus Rheinland-Pfalz allerdings über Dänemark weiß, ist uns unbekannt.
Ganz offenbar zielte sie jedoch mit dem Hinweis Dänemark auf die nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen in Deutschland geführte Debatte, ob auch in Berlin so ein Ding möglich sei. Dabei hat sie indirekt das dänische Modell angesprochen, zu Recht, denn zwischen den dänischen Minderheitsregierungen und einer erstmaligen Berliner Ausgabe ist der Abstand wohl kaum geringer als zwischen Berlin und Karibik.

Der größte Unterschied ist schon bei Regierungsantritt. In Deutschland muss ein Bundeskanzler bei seiner Wahl eine Mehrheit hinter sich haben, in  Dänemark muss der Staatsminister bei Antritt nur „nachweisen“, dass es „nicht unmittelbar“ eine Mehrheit gegen ihn gibt. Und erst wenn  dies nicht der Fall ist, wird er mit der Regierung beauftragt – ohne dafür im Folketing eine Bestätigung erfahren zu müssen. 

In Dänemark hat es seit Einführung der parlamentarischen Demokratie 1901 mit wenigen Ausnahmen Mehrheitsregierungen gegeben: zuletzt  1968 die bürgerliche VKR-Regierung unter dem Radikalen Hilmar Baunsgaard und die 1978 historische Arbeiter-Bauern-Koalition  aus Sozialdemokraten und Venstre unter der Leitung von Anker Jørgensen und Henning Christophersen, die nur ein Jahr hielt. Diese Mehrheitsregierungen haben sich kein Ruhmesblatt erworben. In der Regel sind es also Minderheitsregierungen.

Auch die haben so ihre Probleme – zum Beispiel in der Stabilität. In einer Periode von 1971 bis 1981 gab es sechs Folketingswahlen, also jedes zweite Jahr eine, und doch:  Wenn es insgesamt im Königreich so gut klappt, dann ist dies ein Ergebnis einer  langen Tradition, die vor allem deshalb funktioniert, weil in Dänemark die jeweilige Minderheitsregierung, die ja parlamentarisch von einer Mehrheit gestützt wird, stets über die Mitte hinweg agiert. Dafür gibt es einen Schlüsselbegriff: forlig, seit dem großen Kanslergade-forlig, ausgerechnet am historischen 30. Januar 1933!

Also Vergleichspolitik, wodurch vitale Bereiche der Politik durch die Regierung mit Teilen der Opposition mittel- und langfristig so abgesprochen werden, dass diese  Vergleiche oft auch einen Regierungswechsel überleben. Es gibt viele gute Beispiele, u. a. das berühmte  Arbeitsmarktmodell „hire and fire“, das mit den Tarifparteien vereinbart wurde. Mit anderen Worten: Die gesellschaftliche Konsensfähigkeit unter den Parteien ist in Kopenhagen viel größer als in Berlin, vor allem weil unter den Parteien trotz Gegensätzen stets ein Vertrauen herrscht – übrigens nicht zu unterschätzen gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich.

Insofern kann man feststellen, dass es in Dänemark zwar auf dem Papier Minderheitsregierungen gibt, aber in Wirklichkeit „stille“ große Koalitionen.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,  aber ob eine solche Zauberei/Hexerei in dieser komplexen Zeit der großen Herausforderungen nach innen und außen in Berlin möglich ist, bleibt abzuwarten und ist zu bezweifeln. Deutschland ist eben nicht Dänemark!

 

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