Leitartikel

Furcht-Kultur nimmt Überhand

Furcht-Kultur nimmt Überhand

Furcht-Kultur nimmt Überhand

Apenrade/Aabenraa
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Angst
Keine Panik: Die Menschen in Dänemark machen sich Sorgen, wo es eigentlich bergauf geht. Foto: Mubariz Mehdizadeh/Unsplash

Mit einer kleinen Portion Realitätssinn müsste es doch zu schaffen sein, sich die Furcht-Kultur aus dem Kopf zu schlagen, meint Chefredakteur Gwyn Nissen. Anlass: Die dänische Bevölkerung glaubt, dass die Kriminalität in Dänemark zugenommen habe – dabei ist das Gegenteil der Fall.

Das Justizministerium hat eine interessante Studie veröffentlicht: 80 Prozent der Dänen schätzen die Kriminalität im Lande falsch ein. Sie glauben, dass die Anzahl der Straftaten in Dänemark in den letzten fünf Jahren gestiegen ist. Dabei nimmt die Kriminalität ab.
In einer Meinungsumfrage hat das Ministerium dazu 900 Personen  befragt. Nur in einem Bereich hatten die Befragten recht, nämlich dass die Gewalt zugenommen hat. Ansonsten aber sind Autodiebstähle, Raubüberfälle, die Jugendkriminalität und Straftaten generell rückläufig.

Michael Kjeldgaard vom Nationalen Nachforschungszentrum der Polizei macht  den heutigen Informationsfluss dafür verantwortlich, dass wir die Situation falsch einschätzen. Die  traditionellen Medien sind schnell vor Ort und noch schneller verbreiten sich die Geschichten über die sozialen Netzwerke, erklärt er gegenüber Politiken. Außerdem nehmen einige wenige, spektakuläre Fälle verhältnismäßig viel Platz ein und geben so einen falschen Eindruck des Umfangs der Kriminalität wieder. Journalisten, so Kjeldgaard müssten aber auch die  wirkliche Entwicklung darstellen, indem sie die positiven Statistiken veröffentlichen.

Soziologieprofessor Michael Hviid Jacobsen erklärt der Zeitung, dass wir in einer Furcht-Kultur leben. Wir wollen einfach nicht daran glauben, dass es besser geht. Das sei menschlich, so Jacobsen: Wir überschätzen den Umfang der Dinge, die wir nicht mögen oder die wir fürchten. In diesem Fall die Kriminalität.

Hinzu kommt, dass unsere Angst geschürt wird: Politiker fordern immer wieder  mehr Polizei (und Grenzkontrollen, die Verbrecher aus dem Land halten sollen) und die Sicherheitsbranche wirbt massiv für Überwachungs- und Alarmsysteme. Also muss etwas dran sein, denken sich viele. Alarmsysteme haben heute unter anderem einen Alarmknopf, falls man zu Hause Opfer eines Raubüberfalls werden sollte. Statistisch gesehen ist die Gefahr zwar minimal, aber das Signal der Sicherheitsbranche gibt einen falschen Eindruck.

Es gibt immer einen Grund zur Vorsicht, aber keinen Grund im Alltag  Angst zu haben. Die Furcht-Kultur muss jeder für sich aus dem Kopf schlagen. Mit einer  kleinen Portion Realitätssinn müsste das gehen.

 

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