Leitartikel

Theorie und Praxis

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Apenrade/Aabenraa
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Arbeit, Handwerker, Baustelle
In der Baubranche brummt das Geschäft. Foto: Annie Gray/Unsplash

Viele handwerkliche Betriebe suchen händeringend nach Facharbeitern. Doch es mangelt an Nachwuchs. Und dafür sind die Betriebe genauso mitverantwortlich wie die „Jugend von heute“, meint Cornelius von Tiedemann.

Das Handwerk, es hat auch in Dänemark noch immer goldenen Boden. Viele Betriebe suchen händeringend nach Facharbeitern. Doch es mangelt an Nachwuchs. Und dafür sind die Betriebe genauso mitverantwortlich wie die „Jugend von heute“.

Dänemarks Regierung hat es sich derweil löblich zum Ziel gemacht, dass mehr Schulabsolventen eine Berufsausbildung machen, anstatt sich an den Universitäten einzuschreiben. Denn wenn alle nur ganz nach dem vermeintlichen „Oben“ streben, fehlt es „unten“ an Fachpersonal, das auch anpacken kann.    

Doch in Dänemark mangelt es an Praktikumsplätzen – also an Betrieben, die Jugendliche neben Berufs- und Gewerbeschulen praktisch ausbilden. Das schreckt ab, den Ausbildungsweg überhaupt einzuschlagen. Und so toll es ist, dass immer mehr Azubis aus Dänemark den deutschen Arbeitsmarkt für sich entdecken und dank grenzüberschreitender Initiativen die einmalige Erfahrung sammeln, das Praktikum zum Beispiel in einem deutschen Hotel zu machen – eine Lösung für alle und für immer kann das nicht sein.

Die Regierung hat einiges getan, um die Anreize zu steigern. Der Bonus für Unternehmen, die Praktikanten aufnehmen, wurde erhöht. Auch gibt es mehr Ausgleich, wenn der Lehrling die Schulbank drückt. Zugleich müssen Unternehmen, die nicht die ihrer Unternehmensgröße angemessene Anzahl von Schülern aufnehmen, einen „Ausbildungsbeitrag der Arbeitgeber“ leisten.
Trotz erster kleiner Erfolge –  die Flaute hält an.  

Zwei Faktoren sind dabei entscheidend: Die meisten jungen Menschen in Dänemark (und deren Eltern) träumen von einem Hochschulabschluss und den sich daraus ergebenden Berufs-, Karriere- und Gehaltschancen und sehen die Berufsausbildung nicht als gleichwertige Alternative.
Und auch seitens der Betriebe mangelt es am Willen, auszubilden. Viele sehen schlicht nicht den Nutzen darin, einen jungen Menschen anzulernen. Schließlich produziert er in dieser Zeit nicht wie die übrigen Angestellten – und zieht sogar noch andere Arbeitskräfte ab, die ihn einweisen müssen.

Es braucht also einen Mentalitätswandel auf beiden Seiten. Das ist einfacher gesagt als getan. Der gesellschaftliche und politische Mainstream sieht derzeit das Heil sehr einseitig in Wachstum  und Profit – wobei Nachhaltigkeit häufig auf der Strecke bleibt.   Jugendliche und Eltern sehen das Hochschulstudium als besten Weg, sich in diesem härter werdenden Wettbewerb behaupten zu können.  Dass eine solide Ausbildung häufig glücklicher und manchmal sogar wohlhabender machen kann, wird aus vielerlei Gründen offenbar immer schwerer zu vermitteln.  
Hier sind Politik, Schulen und nicht zuletzt die Eltern gefragt.

Und auch wer einen Betrieb leitet, übernimmt Verantwortung. Für seine Mitarbeiter, für die Gesellschaft insgesamt. Wer in die Rolle des Arbeitgebers schlüpft, darf  nicht nur als Profiteur der Infrastruktur und des Wohlstandes agieren, zu denen er beiträgt, die sein Wirken aber auch erst möglich machen. Er hat die Pflicht, zu ihrem Fortbestand und ihrem Ausbau, zum eigenen und zum Wohle aller, beizutragen. Das heißt auch, junge Menschen auszubilden. Auch wenn das auf kurze Sicht teuer sein, vielleicht sogar zu teuer scheinen mag. Noch viel teurer für alle ist es, dies nicht zu tun.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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