Leitartikel

„Wir haben ja nichts zu verbergen“

Wir haben ja nichts zu verbergen

Wir haben ja nichts zu verbergen

Apenrade/Aabenraa
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Foto: Rishabh Varshney/Unsplash

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Ich habe nichts zu verbergen. Das ist das weitverbreitetste Argument unter den Befürwortern der Massenüberwachung. Cornelius von Tiedemann stellt das in Frage – und wundert sich, dass Bürger und Politiker in Dänemark sich so sehr für Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit einsetzen, beim Schutz der Privatsphäre aber beide Augen zudrücken.

Die Überwachung richtet sich gegen Kriminelle und Terroristen, nicht gegen mich. Ich habe nichts zu verbergen. Das ist das weitverbreitetste Argument unter den Befürwortern der Massenüberwachung. Und sie sind offenbar in der Mehrheit, zumindest gibt es hierzulande noch immer keine weit verbreitete öffentliche Debatte zum Thema. Anlässe gäbe es derweil genug.

So will Unterrichtsministerin Merete Riisager von der Liberalen Allianz, dass die Schulen künftig das digitale Leben ihrer Schüler vor Abschlussprüfungen durchleuchten. Wonach haben die Schüler gesucht, was haben sie in sozialen Netzen geteilt. Nur wer diese Razzia über sich ergehen lässt, soll künftig seine Prüfung schreiben dürfen.
Erst vor wenigen Tagen haben Sozialdemokraten und Dänische Volkspartei gefordert, dass die unter Datenschützern ohnehin schon umstrittene Nummernschild-Erkennung auf dänischen Straßen ausgeweitet und die Behörden die sich daraus ergebenden Informationen zum Aufenthalt auch vollkommen unbescholtener Bürger ohne richterliche Genehmigung einen Monat lang speichern können.

Der dänische Staat überwacht seine Bürger derweil ohnehin schon systematisch. Zumindest jene, die telefonieren und das Internet nutzen. Und das werden zwangsläufig immer mehr, weil fast die gesamte Kommunikation mit dänischen Behörden heute online verläuft. Ein Jahr lang werden die Kommunikationsinformationen aller Bürger Dänemarks von den Telekommunikationsgesellschaften für die Behörden bereitgehalten. Wer wurde wann angerufen, wem wurde wann eine SMS geschickt und von wo aus.

Diese Massenüberwachung wird auf Druck von Justizminister Søren Pape weiter durchgeführt, obwohl der Europäische Gerichtshof in einem Grundsatzurteil dagegen entschieden hat. „Es gibt keine Regeln, wie schnell sich die Mitgliedsländer nach einem EU-Urteil richten sollen“, so Papes Reaktion im März. Er sei „vollkommen erschüttert“, dass Oppositionspolitiker dieses Vorgehen kritisieren.

Was der Staat nicht weiß, das wissen Google, Apple und Facebook. Hier sind die dänischen Behörden übrigens weniger eifrig als andere. Französische und deutsche Polizeibeamte fragen regelmäßig bei Google an, um Kommunikationsprotokolle von Verdächtigen ausgehändigt zu bekommen, in Dänemark ist das noch eher die Ausnahme. Die Dänen fragen eben einfach die Telekommunikationsanbieter – die allerdings längst nicht so umfangreiche Datensammlungen haben wie Google und Co., die von der Schuhgröße bis zur Lieblingsmusik so ziemlich alles über ihre Nutzer wissen.

Es ist schon verwunderlich, dass Bürger und Politiker in Dänemark sich so sehr für Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit einsetzen – beim Schutz der Privatsphäre aber beide Augen zudrücken.

Edward Snowden hat es einmal so formuliert: „Zu argumentieren, dass Sie keine Privatsphäre brauchen, weil Sie nichts zu verbergen haben, ist so, als würden Sie sagen, dass Sie keine Freiheit der Meinungsäußerung brauchen, weil Sie nichts zu sagen haben.“

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