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Kampf um jede Stimme

Kampf um jede Stimme

Kampf um jede Stimme

Hauke Grella
Hauke Grella Museumsleiter
Nordschleswig
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Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Aus Nord- und Mittelschleswig verzogene Stimmberechtigte wurden sogar mit Zügen und Schiffen zur Volksabstimmung 1920 gebracht

Nun nähert sich das Ende des Jahres 2020. Dies nehmen wir nochmals zum Anlass, sich mit einem besonderen Teilaspekt der Volksabstimmung 1920 zu beschäftigen.
Die Abbildung zeigt einen „Fahrplan der Sonderzüge und der sonstigen wichtigen Zugverbindungen zur Reise in das Abstimmungsgebiet Nordschleswig I. Zone“. Aber welche Geschichte liegt hinter diesem Gegenstand?
Im Versailler Vertrags wurde nach dem Ersten Weltkrieg bestimmt, dass diejenigen, die in einer der beiden Abstimmungszonen geboren waren und das 20. Lebensjahr vollendet hatten, auch Stimmrecht bei der Volksabstimmung 1920 hatten. Stimmrecht hatten sie in der Gemeinde, aus der sie stammten.
In dem Fahrplan wurde auch festgehalten, dass die Stimmberechtigten nicht selbst für die Fahrkosten aufkommen mussten. Hin- und Rückreise konnte mit einem Gutschein angetreten werden. Des Weiteren wurde darauf aufmerksam gemacht, dass in Hamburg und Kiel die Züge und Reisenden, je nach Zielort, neu sortiert werden würden. So gingen dann die Züge direkt nach Tondern, Hadersleben, Apenrade und Sonderburg. Und von wo starteten die Sonderzüge? Natürlich aus allen möglichen Bereichen Schleswig-Holsteins, aber es wurden auch Züge für den Fernverkehr eingesetzt. So etwa  aus Köln, Frankfurt am Main, Leipzig und Berlin.

Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Aber welchen Anteil an den Wahlen hatten die nicht mehr in den Abstimmungsgebieten wohnhaften Stimmberechtigen, wenn sogar extra Sonderzüge eingesetzt wurden?

In der Abstimmungszone 1 in Nordschleswig waren es 24.274 Personen von außerhalb, die am 10. Februar 1920 ihre Stimme abgaben. Davon kamen 14.491 Personen aus Dänemark und 11.069  aus Deutschland.
In Mittelschleswig, der zweiten Abstimmungszone, waren es insgesamt 16.639 Personen, die von außerhalb kamen und ihre Stimme abgaben; davon 1.460 aus Dänemark und 15.121 aus Deutschland.

Welchen Einfluss haben diese Stimmen nun aber auf das Gesamtergebnis der Volksabstimmung 1920 gehabt? Dies unter der Annahme, dass diejenigen, die aus Dänemark kamen auch Dänisch gestimmt haben und diejenigen die aus Deutschland kamen auch Deutsch.
Durch die En-bloc-Abstimmung in Nordschleswig ist es logisch, dass die Auswärtswohnenden nicht unbedingt einen ausschlaggebenden Einfluss auf das Gesamtergebnis nehmen konnten. Das Gesamtergebnis inklusive der Auswärtswohnenden lag bei rund 74,86 Prozent  für Dänemark und 25,14 Prozent für Deutschland. Rechnet man die Auswärtswohnenden heraus, wären es ungefähr 81,04 Prozent für Dänemark und 18,96 Prozent für Deutschland. Auch wenn dies eine Verschiebung von über 6 Prozent ist, hätte es eben nichts am Gesamtergebnis geändert.

Der Blick auf einige lokale Abstimmungsergebnisse zeigt ein anderes Bild. Die Stadt Sonderburg hatte mit den Auswärtswohnenden eine deutsche Mehrheit von etwa 56,18 Prozent. Hätten die Auswärtswohnenden nicht mit abstimmen dürfen, hätte es eine dänische Mehrheit von 51,24 Prozent gegeben. Aber wie geschrieben, hat dies in diesem Sinne keine Bedeutung gehabt, da das Gesamtresultat der Abstimmungszone zählte.

Foto: Deutsches Museum Sonderburg

In Mittelschleswig hätten die Stimmen der Auswärtswohnenden mehr Einfluss nehmen können, da dort ja gemeindeweise abgestimmt wurde. Hätten die Auswärtswohnenden nicht mit abstimmen können, wäre es in den Gemeinden Kupfermühle, Harrislee und Gottrupel  ausgeglichener gewesen, aber es wäre immer noch eine deutsche Mehrheit in den drei Gebieten zustande gekommen. Spannend wäre es in der Gemeinde Jardelund geworden. Würde man die Auswärtswohnenden abziehen, käme es dort fast zu einem Gleichstand zwischen deutschen und dänischen Stimmen.

Im Großen und Ganzen lässt sich feststellen, dass die auswärtswohnenden Stimmberechtigten in dem Sinne keinen Einfluss auf die Ergebnisse der Wahl hatten. Fakt ist, dass beide Seiten natürlich versuchten, alle ihre Stimmberechtigten zu motivieren, zur Abstimmung zu kommen. Von beiden Seiten wurden, wie hier angeführt, Züge eingesetzt. Aber gerade auch von Dänemark wurden Schiffe genutzt. Um überhaupt auf das Stimmrecht von verzogenen Nord- und Mittelschleswigern aufmerksam zu machen, produzierte man von Deutschland sogar  extra einen Werbefilm für die deutschen Kinos.

Foto: Deutsches Museum Sonderburg
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