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Kriegsfreiwillig – wie Zufälle über Leben und Tod entscheiden

Kriegsfreiwillig – wie Zufälle über Leben und Tod entscheiden

Wie Zufälle über Leben und Tod entscheiden

Hauke Grella
Hauke Grella Museumsleiter
Nordschleswig
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Bei der Pilotenausbildung 1944 Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Die hier skizzierte Geschichte eines Nordschleswigers ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass alles auch anders hätte kommen können

Viele Angehörige der deutschen Minderheit meldeten sich während des Zweiten Weltkriegs freiwillig für den deutschen Kriegsdienst. Oftmals steckt hinter dem Begriff „Freiwillig“ eine tiefergehende Geschichte, die nicht immer mit der Realität in Einklang zu bringen war. Es gab diejenigen, die sich wirklich freiwillig meldeten, aber auch diejenigen, die durch Druck, ob nun von Einzelpersonen oder Gruppen, zur Entscheidung gedrängt wurden. Und natürlich spielte es auch eine Rolle, in welchen gesellschaftlichen Rahmen man aufwuchs.

Viele, die sich zum deutschen Kriegsdienst meldeten, konnten nicht erahnen, zu was sie sich gemeldet hatten. Für ungefähr ein Drittel der Kriegsfreiwilligen sollte diese Entscheidung mit dem Tod enden.
Die vorliegende Lebensgeschichte soll einen kleinen Einblick davon geben, wie zufällig es sich verhielt, ob man mit seinem Leben davonkam oder nicht. Natürlich ist die Darstellung des betreffenden Kriegsfreiwilligen eine subjektive Erzählung. Es ist also nicht im Detail zu prüfen, ob sich wirklich alles so abgespielt hat. Trotzdem gibt es uns einen Einblick über die Zufälligkeit des Krieges und die Entscheidung über Leben und Tod.

Die betreffende Person wurde 1926 in Nordschleswig geboren. 1935 wurde er Mitglied der Deutschen Jungenschaft Nordschleswig. Mit den dort angebotenen Aktivitäten wurde er in diesem Sinne schon auf einen späteren militärischen Einsatz hin vorbereitet. Auf dem Programm standen typischerweise Geländespiel zur Orientierung, aber auch schon Schießübungen.
Mit der Sozialisierung innerhalb der Deutschen Jungenschaft Nordschleswig und der Tatsache, dass sich ältere Freunde schon vorher freiwillig gemeldet hatten, war es nicht verwunderlich, dass auch der betreffende junge Mann sich 1942 freiwillig meldete. Laut seiner Erzählung meldete er sich auch wirklich freiwillig. 1942 verbrachte er drei Wochen in einem Wehrertüchtigungslager. Bei dieser Gelegenheit meldete er sich zur Waffen-SS.

Durchschossene Brieftasche mit Bildern, die wohl zum Lebensretter wurde Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Nach der Heimkehr aus dem Lager kam die Besinnung, dass er doch lieber Teil der Luftwaffe sein wollte. 1943, nach bestandenem Schulabschluss und dem 17. Geburtstag, kam dann die Einberufung in die Luftwaffe. Aber anstatt zur Ausbildung zum Piloten ging es zum Partisanen-Kampf auf den Balkan. Hier ergab sich laut Erzählung eine erste Begebenheit, die für die betreffende Person schon das Ende seines Lebens hätte bedeuten können. Zusammen mit zwei Kameraden war er in einem friedlichen Gebiet unterwegs. Die beiden Kameraden wollten in einem nahe gelegenen Ort etwas zu trinken besorgen. Unsere betreffende Person blieb an einem Waldrand zurück und ruhte sich dort aus. Stunden später waren die Kameraden immer noch nicht zurück. Später fand man die Leichen der beiden.
Als Pause vom Partisanen-Kampf ging es darauf nach Griechenland. Dort erreichte den jungen Mann die Nachricht, dass er jetzt doch seine Ausbildung als Pilot beginnen konnte. Er war der Einzige seiner Kompanie, der diese Meldung erhielt. Die Begründung lag wohl darin, dass ein Bekannter der Familie an einer hohen Stelle der Luftwaffenverwaltung saß. Dieser sorge für die Versetzung. Dies bedeutete für den jungen Mann, dass er sich das ganze Jahr 1944 in Ausbildung befand. Also weit weg von jeglichen Kampfhandlungen.

 

Anfang 1945 ging es aber an die Ostfront. Mit seiner Einheit nahm er immer wieder an Rückzugsgefechten teil, um das Vordringen der Roten Armee zu stoppen. Diese zogen sich für ihn bis Anfang Mai hin. Bei einer der wenigen Ruhepausen nutzte er die Zeit, um sich zu waschen und seine Kleidung durchzuschauen. Dabei fiel ihm auf, dass seine Brieftasche durchschossen war. Scheinbar hatten die vielen darin liegenden Briefe ein Durchdringen des Geschosses verhindert. Abgebildet ist die durchgeschossene Brieftasche. Die Briefe sind nicht erhalten geblieben. Diese wurden später in Gefangenschaft zu Zigaretten verarbeitet und gegen Lebensmittel eingetauscht.

Bei Ende des Krieges wurde der junge Mann zuerst von russischen, dann von amerikanischen und dann zuletzt von englischen Soldaten gefangen genommen. Jedes Mal gelang es ihm zu fliehen. Bis er dann an der deutsch-dänischen Grenze gefangen genommen wurde und ins Faarhus-Lager kam.

Nur diese kleinen Erzählungen zeigen, wie zufällig es gewesen ist, ob man den Krieg überlebte oder nicht.

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