Auktion

Emil Nolde unter dem Hammer

Emil Nolde unter dem Hammer

Emil Nolde unter dem Hammer

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Hamburg
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Bei den Briefen handelt es sich unter anderem um Korrespondenz zwischen Emil Nolde und seiner Großnichte Cathrine Hoeck. Foto: Archiv

Acht Briefe des Malers aus den Jahren 1947 bis 1951 werden in einem Hamburger Auktionshaus versteigert.

Als vor einigen Wochen auch in unserer Zeitung über die Auktion eines Briefes von Vincent van Gogh in Paris berichtet wurde, staunten viele nicht schlecht: Das kleine Schriftstück wurde für 210.600 Euro ersteigert, also ca. eineinhalb Millionen Kronen (ohne Aufgeld und Mehrwertsteuer). Er gehört nun dem Amsterdamer Van-Gogh-Museum, das, wie seine Direktorin Emilie Gordenker mitteilte, bereits 875 Briefe des Malers verwahrt.

Am Montag nun kommen acht Briefe Emil Noldes unter den Hammer. Die sind etwas preiswerter und angemessen mit 3.000 Euro taxiert. Das Auktionshaus Ketterer in Hamburg bietet die späten Autografe des Malers, die vom 19. April 1947 bis zum 2. März 1951 reichen, an. Es ist zu wünschen, dass die Stücke ins Nolde-Museum nach Seebüll gelangen, wo bereits viele Briefe Noldes lagern. Denn beide Künstler, Nolde wie van Gogh, waren fleißige Epistelografen. Eine deutsche Ausgabe mit Briefen van Goghs erschien bereits 1906 in Berlin. Sie wurde sehr erfolgreich, Nolde kannte die Ausgabe. Briefe Noldes erschienen erstmals 1927 im damals neu gegründeten protestantischen und ehrgeizigen Furche Kunstverlag, der auch Bücher über Käthe Kollwitz und Ernst Barlach herausgab. Max Sauerlandt, der Förderer Noldes, publizierte die kleine Briefausgabe, die auch in einer Neuausgabe von 1967 vorliegt.

Brief an die Großnichte

Was wird nun angeboten? Der erste Brief von „Großonkel Emil“ an Noldes Großnichte Cathrine Hoeck vom 19. April 1947 beginnt  so: „Liebe kleine Cathrine, ich dachte Dich noch einmal dort zu sehen u. am Sonntag am Bahnhof schauten wir nach Dir, aber sahen Dich nicht. – Nun bin ich hier auf unserem schönen Seebüll, mit Wehmut im Herzen gehend in den Räumen u. im Garten, wo die vielen Blumen blühen, aber nicht mehr meiner geliebten Ada zur Freude.“ Der Tod von Ada Nolde im Jahr zuvor, der Maler war 79 Jahre alt, stürzte ihn in eine tiefe Krise, war doch die Lebensgemeinschaft der beiden geradezu symbiotisch.  „Es ist für mich sehr schwer dies zu tragen u. so allein zu sein, d. h. allein bin ich ja nicht, ein junger lieber Freund macht alles was er kann. (…) Es war durch die Härte des Winters still. Aber nun melden sich die Menschen von überall, u. eine Kunst findet ja große Anerkennung“, heißt es auf einer anderen Seite der Auktions-Briefe vom April 1947.

Der junge liebe Freund war Joachim von Lepel, der Jahre zuvor Noldes Kunst für sich entdeckt hatte und ihr (und ihm) geradezu verfallen war. Er suchte die Nähe Noldes, wurde gewissermaßen sein bedingungsloser Sekretär und später der erste Leiter der Nolde-Stiftung. Er starb überraschend mit 49 Jahren 1962. Die Nachkriegszeit von Emil Nolde und seiner Frau, die 1947 starb, stand ganz im Zeichen der unermüdlichen Bemühungen um das Werk des Malers. Der Nolde-Mythos entstand, der bis vor Kurzem unser Nolde-Bild beherrschte. Modernität, Eigenständigkeit und besonders die  Gegnerschaft zum NS-Regime und die vermeintlichen Malverbote waren die Ingredenzien eines Nolde-Bildes, das der Maler selbst zu schaffen suchte.

Zum 79. Geburtstag 1946 erhielt er die Urkunde zur Ehrenprofessur des neu entstandenen Landes Schleswig-Holstein, unterzeichnet von Theodor Steltzer, der zum Widerstand gegen Hitler gehört hatte und wenige Tage nach der Urkundenunterzeichnung von der britischen Militärverwaltung der ehemaligen Provinz zum ersten Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins eingesetzt werden sollte. Wichtiger aber noch als die Ehrenprofessur für Nolde war der Spruch des Entnazifizierungsausschusses vom August 1946, der die öffentliche Grundlage für die Legende vom verfolgten Maler werden sollte. Aber nicht nur das.

„Rehabilitierung“ des Malers

Die „Rehabilitierung“ des Malers erlaubte ihm die Ausstellung von Persilscheinen für NS-Leute, unter denen auch Täter waren, sodass diese ihrerseits bei den Entnazifizierungsausschüssen günstigere Ergebnisse erzielen konnten. Zugleich machten Emil und Ada Nolde in privaten Gesprächen keinen Hehl aus ihrer nationalsozialistischen Überzeugung, ihrer Bewunderung für Adolf Hitler (die bei Ada Nolde extreme Züge angenommen hatte) und ihrem Antisemitismus, dem eigentlich einmal eine genauere Untersuchung gewidmet werden müsste. Noldes  latenter Antisemitismus brach ja bekanntlich bereits vor dem Ersten Weltkrieg durch die Gegnerschaft zu Max Liebermann, Paul Cassirer und die Berliner Sezession aus und entwickelte sich zum blinden Hass. Rätselhaft ist der plötzliche Bruch von heute auf morgen zu seiner früheren Förderin in Hamburg, Rosa Schapire. Diese privaten  mündlichen NS-Ausfälle Noldes in den Nachkriegsjahren versuchten Freunde und Nolde-Verehrer möglichst einzuhegen und nicht öffentlich werden zu lassen. Der Nolde-Mythos wuchs.

Der 80. Geburtstag nahte. Der alte Freund Hans Fehr (1874-1961), den Nolde schon 50 Jahre kannte, hatte in Bern eine Ausstellung organisiert, auf der er selbst die Eröffnungsrede hielt. Weitere Jubiläums-Ausstellungen folgten, zahlreiche Würdigungen erschienen in der außerordentlich lebhaften Zeitschriften-Welt der deutschen Nachkriegszeit. Auch diese zahlreichen Ausstellungen und publizistischen Äußerungen befestigten den im Entstehen begriffenen Nolde-Mythos: „Nolde hat erst heute die Höchststufe seiner Berufung erstiegen“, hieß es 1947 im gelesenen „Dreiklang“ , den „Blättern für Kunst, Kultur und Literatur“ von Ernst Lorenzen, der zum Nolde-Netzwerk gehörte.

Einladung nach Bern

Nolde war natürlich nach Bern eingeladen. Aber in einem der heute zu verauktionierenden Briefe heißt es (der Mythos zeigte schon Wirkung): „Ich aber gehe nicht nach dort, ich kann dies nicht, weil hier wohl manche Gäste kommen u. auch Regierungspräsident u. Kultusminister der Provinz – einer oder beide – haben sich angemeldet.“ In dem Brief vom 21. Oktober heißt es weiter: „Der Direktor Swane vom Statens Museum in Kopenhagen war kürzlich hier mich besuchend u. die Bilder sehend u. heute kam von ihm ein sehr freundlicher Brief, meine Bilder gefielen ihm sehr.“ Leo Swane (1887-1968) war ein äußerst produktiver dänischer Kunsthistoriker aus der heute noch tätigen Künstler-Familie Swane. Er war der Sohn des bekannten Malers Leo Swane, Bruder des Malers Sigurd Swane und von 1931 bis 1952 Direktor des Statens Museum.

Mit der deutschen Kultur war er seit seinem Studium vertraut, seine Liebe galt aber der neuen französischen Kunst seit 1900, wie ja die dänische Kunst überhaupt sich dieser zuzuneigen bestrebt war. Umstritten war (und ist bis heute) seine Tätigkeit als Museumsdirektor während der deutschen Besetzung. In Statens Museum zogen Werke pro-nazistischer Haltung ein, Ausstellungen, die nach dem Krieg zu heftigen Kontroversen führten. In seinem schönen kleinen Erinnerungsband „Ved mit vinduessejl“ von 1955 ist davon allerdings nicht die Rede. Es muss allerdings gesagt werden: Als Swane Nolde besuchte hatte er gerade in Statens Museum eine große Ausstellung mit den französischen Abstrakten Charles Lapicque, Jean Bazain, Maurice Estève und Louis Carré durchgeführt – Jahre bevor diese in Westdeutschland bekannt gemacht worden sind.

Kunst beschlagnahmt

Während seines Besuches in Seebüll wird vielleicht auch schon die große Schenkung Noldes an Statens Museum besprochen worden sein, die heute den Nolde-Raum des Museums ausmacht. Swane hatte bereits im Sommer 1939 ein Gemälde Noldes für Statens Museum gekauft, „Figuren mit Georginen“, die Nolde so gerne malte. Es war 1913 entstanden und gehörte einstmals der Kunsthalle in Mannheim. 1937 wurde es im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmt, der bekanntlich alle Werke Noldes in öffentlichem Besitz zum Opfer fielen. Auf der Versteigerung der beschlagnahmten Arbeiten erwarb der Kopenhagener Kunsthändler Aage Vilstrup das Werk und verkaufte es am 3. Juli 1939 in seiner Galerie in Hellerup an Swane.

Und damit kommen wir wieder zu Noldes Großnichte Cathrine zurück. Denn diese wohnte damals in Kopenhagen, und Nolde schrieb ihr (zum zu versteigernden Konvolut gehören auch zwei dänischsprachige Briefe Noldes an seine Nichte) in die Christian X. Alle in Lyngby, wo auch die Familie Vilstrup wohnte. Die Galerie befand sich südöstlich in Hellerup am Strandvej 195. Cathrine Hoek stammte aus der Familie Bonnichsen. Noldes Schwester hatte in die Bauernfamilie Bonnichsen eingeheiratet. Der Maler hat die Familie mehrfach porträtiert. In dieser Familie ist Cathrine aufgewachsen und heiratete später. Als Cathrine Hoeck war sie in den späteren Jahren im Sonderburger Stadtbauamt tätig. Sie starb 61-jährig in Tombüll bei Feldstedt. Ihr Bruder August war Hofpächter in der Nähe des  Dorfes Nolde, der Bruder Lorenz führte den elterlichen Hof weiter, und Hans Friedrich wanderte offenbar nach Kanada aus. Auch zur Familie Hoeck hatte der Familienmensch Emil Nolde Beziehungen.

Briefe gehören ins Nolde-Museum

Der Galerist Aage Vilstrup (1885-1953), dem Dänemark das erste Nolde Gemälde verdankt, war kein anderer als der Bruder von Noldes Ehefrau Ada. Sie kannten einander also schon seit Jahrzehnten. Und so bestand ein lebenslanger Besuchs- und Schriftverkehr. Vor wenigen Tagen erst wurde der 1949 in Flensburg erschienene Erinnerungsband Emil Noldes, „Das eigene Leben“, in Kopenhagen versteigert (ca. zweitausend Kronen). Er trägt eine eigenhändige Widmung Noldes für den Schwager Aage Vilstrup. Auch dieses Buch – eine Neuauflage – wurde in jahrelanger Arbeit von Nolde und seinen Vertrauten von den gröbsten antisemitischen Ausfällen usw. gereinigt, die die Erstauflagen der Zug um Zug erschienenen Bände noch enthalten hatten. Es ist zu vermuten, dass die Briefe Noldes heute in den Besitz des Nolde-Museums in Seebüll gelangen, wo sie hingehören.

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