Klimawandel

Tauender Permafrost: Russen bricht der Boden unter Füßen weg

Tauender Permafrost: Russen bricht der Boden unter Füßen weg

Tauender Permafrost: Russen bricht der Boden unter Füßen weg

dpa
Norilsk (dpa) - 
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Luftaufnahme der russischen Tundra im Lena-Delta, das das typische Muster der Permafrostgebiete zeigt. Foto: Torsten Sachs/Alfred-Wegener-Institut/dpa

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Wenn die Temperaturen steigen, dann bekommen die Menschen in Russland die Folgen mitunter drastisch zu spüren. Straßen sacken ab. Häuser können einstürzen. Doch was tut man dagegen?

In manchen Regionen Russlands lebt es sich mittlerweile gefährlich. Hier bricht den Menschen buchstäblich der Boden unter den Füßen weg. Dazu kommt es immer häufiger, weil mit steigenden Temperaturen der bis in große Tiefen gefrorene Boden auftaut.

Riesige Löcher in den Straßen und abrutschende Hänge sind die sichtbarsten Folgen der Erderwärmung. Bedroht sind zudem Wohnhäuser. «Wenn der Permafrostboden auftaut, besteht die Gefahr, dass sie einstürzen - gegenwärtig ein gefährlicher Trend», sagt der Ingenieur Ali Kerimow. Er und andere Experten der Stadt Norilsk wollen das Leben am Nordpolarmeer nun sicherer machen.

In der Industriestadt Norilsk stehen die Häuser auf Pfählen, wie vielerorts in Permafrostgebieten. «Sie sind 10 bis 30 Meter tief», sagt Kerimow, Direktor der Forschungs- und Produktionsgesellschaft Fundament. Mit dieser Bauweise wird verhindert, dass Gebäude bei Temperaturschwankungen zusammenbrechen. Eigentlich. Risse an den Außenwänden von Häusern zeigen: Der Boden ist in Bewegung.

Wenn es immer wärmer wird, dann senkt sich der Boden tiefer ab - und Pfähle könnten Häuser kaum noch vorm Einsturz bewahren, sagt der 55-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Sei der Boden drei bis fünf Meter in die Tiefe hinein aufgetaut, dann könne er sich bis zu einem Meter absenken.

Das ist ein ernsthaftes Problem im flächenmäßig größten Land der Erde. Fast zwei Drittel der Bodenfläche in Russland sind dauerhaft gefroren. Dieses Phänomen wird Permafrost genannt. In dieser riesigen Tiefkühltruhe liegen immense Mengen an Resten von Pflanzen und Tieren, die noch nicht von Mikroben zersetzt wurden. Aktiv werden diese erst, wenn die Temperaturen steigen und der Boden aufweicht.

Genau das passiert in vielen Regionen, die normalerweise für strengen Frost bekannt sind. «Die Erderwärmung lässt sich nicht mehr bestreiten», sagt Mathias Ulrich, Geograf an der Universität Leipzig. «Die Arktis ist das Epizentrum der globalen Erwärmung. Nirgendwo sonst auf diesem Planeten ist sie so ausgeprägt wie dort.»

Das bleibt nicht ohne Folgen für die Dauerfrostböden. Zu finden sind sie vor allem in Alaska, Kanada sowie in Sibirien vom Nordpolarmeer bis teilweise zum Ural und im Süden bis in die Mongolei. Forscher sind besorgt, dass mit dem Tauen des Permafrosts große Mengen von Treibhausgasen wie Methan oder Kohlendioxid freigesetzt werden könnten. «Das wiederum würde den Treibhauseffekt noch weiter verstärken», prognostiziert Ulrich.

Ein Team um den Bonner Wissenschaftler Nikolaus Froitzheim hat nun zudem herausgefunden, dass im Hitzesommer 2020 im Norden Sibiriens in zwei Gebieten mit Kalkstein viel Methan freigesetzt worden ist. Die Experten befürchten, dass die bisher mit Eis und Gashydrat gefüllten Kluft- und Höhlensysteme im Kalkstein durch die Erwärmung durchlässig geworden sind und das schädliche Gas in die Atmosphäre gelangt ist. Die Untersuchung ist in dem Fachblatt «Proceedings of the National Academy of Sciences» (PNAS) veröffentlicht worden.

Die unmittelbaren Folgen der Klimaveränderung bekommen viele Menschen in Gebieten mit Permafrost schon jetzt zu spüren - vor der eigenen Haustür. Gebäude, Straßen und Wege werden instabil oder stürzen ein.

Akribisch dokumentiert werden die Folgen in der nördlichsten Großstadt der Erde, Norilsk. 240 Häuser stehen auf der Liste von Bürgermeister Dmitri Karassjow, die wegen Schäden grundhaft saniert werden müssen oder nicht mehr bewohnbar sind. Jedes dritte Gebäude habe schon jetzt Deformationen. «Wir müssen alles tun, um die Häuser zu stabilisieren, damit es nicht zu Unfällen kommt», sagt Karassjow kürzlich bei einer deutsch-russischen Rohstoff-Konferenz.

Nach aktuellen Studien seien derzeit weltweit mehr als 1000 Siedlungen und Städte mit zusammen etwa fünf Millionen Menschen auf den arktischen gefrorenen Böden gebaut, sagt der Experte Ulrich. «Prognosen gehen davon aus, dass in 30 Jahren 42 Prozent dieser Siedlungen permafrostfrei sind.» Allein in Russland könnten demnach 20 Prozent aller Bauwerke und 19 Prozent der Infrastruktur von den Folgen der Klimaerwärmung betroffen sein.

Das russische Umweltministerium schätzt, dass sich bis 2050 die Schäden im Zusammenhang mit dem Auftauen gefrorener Böden auf bis umgerechnet 57 Milliarden Euro belaufen könnten. Geld, das an anderer Stelle fehlen könnte, etwa für Sozialausgaben.

Ein Beispiel aus dem Frühjahr 2020 zeigt, dass Umweltverschmutzungen drohen können. Nahe Norilsk waren mehr als 21 000 Liter Diesel aus einem beschädigten Tank ausgelaufen, weil Stützen im auftauenden Boden versunken waren. Umweltschützer sprachen danach von einer Katastrophe für die Natur.

Um Unglücke wie dieses oder Hauseinstürze zu verhindern, plädiert der Ingenieur Kerimow für regelmäßige Überwachungen von gefrorenen Böden. «Das Überwachungssystem sollte so aufgebaut sein, dass Änderungen der Bodentemperatur und eine mögliche geringere Tragfähigkeit des Fundaments fünf bis zehn Jahre im Voraus vorhergesagt werden können.» Dann bliebe genug Zeit, um Mittel und Wege zu finden, «geeignete Maßnahmen» für mehr Sicherheit rechtzeitig umzusetzen.

Schon jetzt werden mitunter Fundamente und Böden künstlich gekühlt, damit Häuser auf schmelzendem Permafrost nicht zusammenbrechen. Dabei greifen die Experten auf sogenannte Thermostabilisatoren zurück. Der Permafrost-Experte und sein Team forschen zudem an neuen Materialien für Fundamente, die Temperaturschwankungen besser gewachsen sind.

Ohne neue Lösungen könnten in Zukunft wohl keine Gebäude mehr gebaut werden - oder Schäden wären vorprogrammiert. Auf neue Hochhäuser verzichte Norilsk bereits, sagt Bürgermeister Karassjow. Seit 2002 wurden nur noch kleinere Gebäude auf dem tauenden Boden gebaut.

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