Leitartikel

„Nordschleswig(er)-Geschichte“

Nordschleswig (er)-Geschichte

Nordschleswig (er)-Geschichte

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Siegfried Matlok, ehemaliger Chefredakteur des „Nordschleswigers“ blickt zurück auf 75 Jahre Papierzeitung.

Dies ist der Leitartikel am letzten Wochenende unserer Tageszeitung. Die 75-jährige Geschichte des „Nordschleswigers“ – ab 2. Februar 1946 als Wochenzeitung und seit dem 1. Dezember 1951 als Tageszeitung – ist nur mit einem Wort zusammenzufassen: Danke!

Die Zeitung kam als freundlicher Gast in die nordschleswigschen Stuben, mitten im schwersten Sturm gehörte sogar großer persönlicher Mut dazu, die Zeitung privat zu empfangen, aber durch ihre physische Präsenz wurde sie nach innen zum wichtigen Bindeglied und zum unverzichtbaren Sprachrohr nach außen. Wahrlich nicht, ja (glücklicherweise) nie ganz unumstritten, aber sie trug dazu bei, das Gesicht der deutschen Minderheit richtungsweisend neu zu gestalten.

Man möge dies nicht als wehmütiges Eigenlob verstehen, aber es ist eben nicht nur eine Anerkennung unserer Leserschaft, sondern auch der Leistung, die vor allem in der Anfangszeit vollbracht wurde: eine historische Leistung!

1920 brachte für die deutsche Volksgruppe die Stunde null, aber die zweite Stunde null war 1945 noch schmerzhafter, ja verzweifelter nach den Jahren der Besetzung und des Nationalsozialismus, dem auch die „Nordschleswigsche Zeitung“ (NZ), seit 1929 das Organ der deutschen Minderheit, gehuldigt hatte.

Am 5. Mai 1945 wurden Tausende von deutschen Nordschleswigern bei revolutionsähnlichen Verhältnissen eingesperrt, doch die „NZ“ durfte trotz schwerer  Verfehlungen weiter erscheinen – vom 17. Mai bis 12. Juli aber unter Zensur des dänischen Außenministeriums!

Im August 1945 wurde die „NZ“ von noch heute unbekannten Tätern durch einen Brandanschlag ausgeschaltet, im späteren Minderheiten-Prozess wurden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen, mit Gefängnis bestraft. Die deutsche Minderheit lag am Boden – geistig-seelisch allemal, und es stellte sich die Existenzfrage, zumal die deutsche Katastrophe alles überschattete. Wer nennt die Namen?

In dieser Zeit meldeten sich couragierte Männer wie Fabrikant Matthias Hansen und Ernst Siegfried Hansen, und schon im November 1945 wurde in kleinem Kreise beschlossen, wieder eine Tageszeitung herauszugeben, um die zeitungslose Zeit zu beenden; ein deutsches Lichtlein in dunkler Nacht. Wenn über die Verdienste jener dramatischen Epoche zu sprechen ist, so ist vor allem Ernst Siegfried Hansen als erster Chefredakteur und „primus motor“ des Neuaufbaus hervorzuheben.

Während Matthias Hansen zunächst den Vorsitz im BdN übernahm, war „Ensi“ in Doppelfunktion auch Leiter des deutschen Sekretariats. Und es war Ernst Siegfried Hansen, der gegen energischen Widerstand aus eigenen Reihen als Signal die deutsche Minderheit 1946 zur Teilnahme an den Kommunalwahlen „zwang“ und 1947 zur Folketingswahl.

Ernst Siegfried Hansens eigene Vergangenheit war gewiss nicht ohne braune Flecken, und sein Zeitungs-Kurs gefiel wahrlich nicht allen. Im Gegenteil, noch 1947 versuchten rechte Gruppen in der Minderheit, ihn als Chefredakteur zu stürzen – und die Minderheit in eine schwere Krise. Trotz seiner Kritik an der dänischen Rechtsabrechnung war er ihnen nicht scharf genug. „Ensi“ musste also den täglichen Spagat meistern, um den Wiederaufbau auf eine demokratische Grundlage stellen. Die Tragödie war auf dem Marsch gewesen, 1952 warnte „Ensi“ einen seinen Kritiker mit den Worten: „... landen wir schließlich im Neofaschismus. Ohne mich. Hoffentlich auch ohne dich.“

Beim Jubiläum zum 50-jährigen Bestehen der Zeitung 1996 sagte der damalige Vize-Staatsminister Bendt Bendtsen im Namen der dänischen Regierung: „Ohne den ,Nordschleswiger’ hätte das deutsch-dänische Grenzland heute nicht so gut ausgesehen.“

Nach Jes Schmidt hatte ich das Privilegium, über Jahrzehnte in leitender Funktion Zeitung und Volksgruppe zu dienen. Deshalb fällt dieser Abschied schwer – ebenso vielen anderen Nordschleswigern. Die Zeitung als Herz-Lungen-Maschine der Minderheit wird nun an ein digitales Gerät angeschlossen. Darüber lässt sich streiten, aber den heutigen Verantwortlichen ist dennoch zu wünschen, dass ihre Entscheidung dem Wohle des „Nordschleswigers“ dient und dass sie erfolgreich neue Weichen für die Zukunft der deutschen Minderheit stellen.  

Nach 75 Jahren Mission erfüllt?

Nein, das ist der Auftrag!  

 

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