Politik im Kreis Nordfriesland

Kultfigur versus Kolonialherr und Rassist: Sönke Nissen im neuen Licht

Kultfigur versus Kolonialherr und Rassist: Sönke Nissen im neuen Licht

Kultfigur versus Kolonialherr und Rassist: Sönke Nissen im neuen Licht

SHZ
Nordfriesland
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Einfahrt zum Sönke-Nissen-Koog: Die Kreispolitik überlegt, wie sie den durch den Kolonialismus reich gewordenen Nissen in den richtigen Kontext setzen könnte.Montage:shz.de /Foto Einfahrt Koog: T. Steensen/Abbildung Sönke Nissen aus "Nis Paulsen: Sönke- Nissen -Koog" Foto: 90037

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Im ehemaligen deutschen Süd-West- Afrika, heute Namibia, wurden die Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama von den Kolonialherren zu unmenschlicher Arbeit gezwungen. Mittendrin: Volksheld Sönke Nissen aus Nordfriesland.

Schweigend und mit bedröppelten Mienen lauschten die Mitglieder des Kultur- und Bildungsausschusses des Kreises Nordfriesland der Präsentation des FSJlers Tobias Lauer. Ungeschönt brachte er in einem kurzen aber prägnanten Vortrag die Gräueltaten in der ehemaligen deutschen Kolonie Süd-West-Afrika, heute Namibia, auf den Punkt.

Dabei wurden die beiden einheimischen Bevölkerungsgruppen, die Nama und Herero, von Anfang an misshandelt, ausgenutzt, betrogen, afrikanische Frauen von Deutschen vergewaltigt. Dahinter steckte ein rassistisches Motiv: Die deutsche Herrenrasse stünde über allem. Widerstand wurde brutal niedergeschlagen und endete im Völkermord, bei dem bis zu 60.000 Herero und rund 10.000 Nama getötet wurden.

Sönke Nissen nahm Tod von Zwangsarbeitern in Kauf

Mittendrin der nordfriesische Volksheld Sönke Nissen. Bis heute kennt vermutlich jedes Kind, auch über die Kreisgrenzen hinweg, die Geschichte von dem erfolgreichen Eisenbahn-Ingenieur, der sich aufmachte ins ferne Afrika und mit einem Sack Diamanten zurückkam, um das nordfriesische Vorland einzudeichen, es bewohnbar machte – den heutigen Sönke- Nissen -Koog.


Nur wurde dabei ein wichtiges Detail ausgelassen, wie so oft bei den Geschichten der Vorfahren, die irgendwo in Afrika ihr „Glück“ suchten. Nämlich die oben benannten Taten, die in dem Apartheit-Regime begangen wurden, das bis 1915 Bestand hatte.

Weiterlesen: Diskussion um Kolonialherr: Muss der Name Sönke Nissen neu bewertet werden?

Für Nordfriesland seht nun die Frage im Raum, wie mit der Lokallegende Sönke Nissen umgegangen werden soll. Schilder umbenennen? Ausstellungen arrangieren? War alles nicht so schlimm, weil das damals der Zeitgeist war? Alles schon dabei gewesen, in dem Aufarbeitungsprozess der nordfriesischen Kreispolitiker

Diesen hatte der Historiker Marko L. Petersen von der Dänischen Zentralbibliothek in Flensburg 2020 mit seinem Buch ins Rollen gebracht. Petersen hat wochenlang im namibischen Staatsarchiv geforscht und einen fast 500-seitigen Sammelband zur regionalen Kolonialgeschichte herausgegeben. Auch der Name Sönke Nissen taucht dort auf, allerdings weniger rühmlich als in den Dorfchroniken der nordfriesischen Reußenköge.

Herero und Nama schufteten in Diamantenmienen

So war der 1870 in Klockrieß geborenen Sönke Nissen ab 1903 Eisenbahn-Bauingenieur zunächst im damaligen Deutsch-Ostafrika, heute Tansania. Zwischen 1906 und 1909 baut Nissen eine Bahnstrecke in Süd-West-Afrika. Beim Bau der Eisbahn setzt Nissen Herero und Nama als Zwangsarbeiter ein, von denen 70 Prozent an den Folgen der Arbeitsbedingungen starben.

Nissen nimmt das unbeirrt in Kauf, fordert immer neue Arbeitskräfte an und stößt beim Bau der Bahnstrecke auf Diamanten, setzt in der Schürfmiene ebenfalls Zwangsarbeiter ein und kommt so zu einem Vermögen.

Und dort beginnt sie, die Legende um den Nordfriesen, der mit einem Sack Diamanten nach Nordfriesland zurückkehrt. Im vom ersten Weltkrieg gebeutelten Deutschland kommen Nissens Wohltaten gut an. Dem Staat fehlt das Geld, um das Vorland vor Bredstedt zwischen Ockholm und dem Cecilienkoog einzudeichen.

Alltagsrassismus und politisches Handeln

Nissen stirbt vor dem Bau des Deiches, doch der neue Koog wird nach ihm benannt und sieben Höfe aus dem Nachlass der Familie Nissen tragen bis heute den Namen der Bahnstationen aus der damaligen Afrika-Kolonie.

Doch kann das so stehen bleiben? Diese Frage stellt FSJler Tobias Lauer rhetorisch in den Raum. Lauer zitiert auch einen Artikel von shz.de, der vor 15 Jahren erschien und im heutigen Kontext zynisch klingt: Nissen sei seltenes Beispiel dafür, dass plötzlicher Reichtum nicht unbedingt zu einer Raubfischmentalität und Habgier führen müsse. Und: „Nissen galt als bodenständiger Mensch mit sozialem Verantwortungsgefühl“, sei ein „Großer Schleswig-Holsteiner".

Ortsschilder, Ausstellungen und Hinweistafeln

Nein, es könne nicht so stehen bleiben, lautet Lauers Fazit. Es führe zu Alltagsrassismus, die kolonialistischen Denkmuster steckten immer noch in den Köpfen einer postkolonialistischen Gesellschaft. Es gehe um den politischen Umgang mit der historischen Schuld. Auch in Nordfriesland. Eine Ausstellung im Schloss vor Husum zum Thema könne ein Anfang sein. Und wie geht es weiter?

Die Kreispolitiker schlugen, zwei Jahre nachdem das Thema erstmalig auf dem Tisch landete – damals stieß das Rütteln an der Nissen-Legende lange nicht bei allen auf großen Jubel – schon ganz andere Töne an. Man sei auf einem guten Weg, sagte etwa Jens Peter Jensen (SPD). Die SPD hatte damals mit einem Antrag den maßgeblichen Anschub zur Neubewertung Nissens gegeben.

In Absprache mit der Gemeinde sollten Hinweisschilder zu Nissen Vergangenheit aufgestellt werden, um den Kontext herzustellen, schlug Jensen vor. Die Grünen wollten ebenfalls pragmatische Ansätze: „Wann findet eine Ausstellung statt, können Fahrten organsiert werden, kann man den Historiker Marco Petersen als Experten hinzuziehen“.

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