Klimawandel und Innovation

Northvolt und Yara: Wie die Energiewende die Zukunft der Arbeit verändert

Northvolt und Yara: Wie die Energiewende die Zukunft der Arbeit verändert

Wie die Energiewende die Zukunft der Arbeit verändert

Peter Riesbeck/shz.de
Heide
Zuletzt aktualisiert um:
Neuer Antrieb, neue Arbeit: Testlauf für die Batterieproduktion beim deutsch-französischen Hersteller ACC.  Foto: ACC/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Der Batteriehersteller Northvolt plant ein neues Werk in Heide. Der norwegische Konzern Yara setzt auf Wasserstoff aus Heide. Ein Blick auf den Wandel an alten Standorten und neue ökonomische Zentren.

Zunächst ein wenig Nachhilfe aus dem Norden. Rein sprachlicher Art. „Yara kommt aus dem Alt-Norwegischen und bedeutet so viel wie reiche Ernte“, erläutert Hilde Steinfeld in einer Medienrunde in Berlin.

Steinfeld muss es wissen. Die Norwegerin arbeitet für Yara. Seit mehr als hundert Jahren produziert das norwegische Unternehmen Düngemittel. Nun denkt der Konzern um und setzt in seinen Ernteerträgen verstärkt auf grünen Wasserstoff – auch aus Deutschland.

Yara setzt auf vertrautes Knowhow

Im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel, elbabwärts von Hamburg, produzierte einst ein AKW Strom. Seit mehr als zehn Jahren ist es vom Netz. Einige Hundert Meter entfernt will Yara nun bis Mitte 2026 die Kapazität für die Herstellung von 250 Megawatt grünen Wasserstoff aufbauen. Um die Bedeutung des Energieträgers zu erläutern, unternimmt Steinfeld einen kurzen Ausflug in die Chemie.

Wasserstoff – chemisches Zeichen H2 – kann leicht aus Wasser (H20) gewonnen werden. Dazu braucht es Energie, sprich Strom. Den liefert im Norden der Wind. Wird Wasserstoff verbrannt, entsteht mit dem Sauerstoff (02) der Luft wieder Wasser. Ein idealer klimaneutraler Kreislauf für die Wirtschaft der Zukunft.

Yara geht aber noch einen Schritt weiter. Und so setzt Steinfeld ihren Crash-Kurs in Chemie fort. Wasserstoff lässt sich schwer speichern. Bei Yara vertrauen sie deshalb auf altes Knowhow. Seit hundert Jahren stellt der Konzern Ammoniak (NH3) her, als Ausgangsstoff für Düngemittel. Die Verbindung wird aus Wasserstoff (H2) und Stickstoff (N2) hergestellt. Auch dazu braucht es Energie. Auch die liefert der Wind.

Und noch einen Vorteil liefert die vertraute Technik: Ammoniak zerfällt in Stickstoff – ohnehin ein Bestandteil der Luft – und Wasserstoff, den Energieträger der Zukunft. Deshalb bauen sie bei Yara in Brunsbüttel auf ihre alte Verbindung zu Ammoniak. Der ist ein idealer Energiespeicher, etwa für den Antrieb von Schiffen, die auf dem Meer elektrisch nicht nachladen können.

Der Norden? Macht vieles richtig!

Deutschland steigt beim Atomstrom aus. Und macht sich auf den Weg in eine klimaneutrale Zukunft. Viele fragen sich, wie das künftig werden soll, ohne Öl- oder Gasheizung im Keller und ohne den Verbrenner unter der Motorhaube. Im Norden lässt sich erahnen, wie das gelingen kann mit der Zukunft der Arbeit. Nicht nur am alten Atom-Standort in Brunsbüttel.

In Neumünster baut das Startup Hypion den Kern eines Tankstellennetzes für Wasserstoff auf. Die neue Energie zieht auch neue Wirtschaft an. Letzter großer Erfolg: Der Batteriehersteller Northvolt plant ein neues Werk in Heide.

In Frankreich sprechen sie in solchen Fällen vollmundig von Reindustriealisierung.

Liefner trägt ein weißes T-Shirt unter dem blauen Hemd. Privat fährt er einen E-Smart, auf dem Dach seines Hauses blitzen Solarzellen. Beruflich ist der Mann Professor für Wirtschaftsgeographie an der Leibniz-Universität in Hannover. Gerade hat Liefner ein neues Buch vorgelegt. „Nachhaltige Wirtschaftsgeographie“.

Auf gut zweihundert Seiten erläutert der Forscher kurz und verständlich nicht nur, wie sich wirtschaftliche Wandel in der Vergangenheit vollzogen haben, sondern auch wie die klimaneutrale Wende gelingen kann. Die Botschaft: Die Wirtschaft hat sich immer neu erfunden. Wird schon.

Berlin? Setzt auf Innovationen und eine neugierige Bevölkerung

Innovation hat es immer gegeben. Im Berlin des 21. Jahrhunderts vollzieht sie sich manchmal sogar noch in Hinterhöfen. Selbst am Prenzlauer Berg. Das ließ zuletzt selbst den EU-Währungskommissar Paolo Gentiloni bei einem Besuch in der Stadt kurz zögern. „Das hätte ich nicht erwartet“, so der Politiker.

Im Vorderhaus wirkt der Durchgang wie aus Ostzeiten, der Putz bröckelt, die Treppen sind leicht abgetreten, ein Hauch von gestern. Im Hinterhof leuchtet die Zukunft. Dort steht ein schmucker neuer Flachbau mit großen Fensterfassaden: die Basis von Neggst. Das Startup arbeitet am ersten veganen Ei mit Schale. Natürlich biologisch abbaubar.

„Wir haben Neggst sehr früh nach Berlin verlegt“, sagt Verónica García-Arteaga. Die Ernährungswissenschaftlerin stammt aus Mexiko. Sie hat in Deutschland promoviert und am Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung im bayerischen Freising das vegane Ei
mit Schale entwickelt.

Und wie kam das Ei aus Bayern nach Berlin? „Die Stadt hat einfachen Zugang zu Food-Gründerzentren wie KitchenTown, die es uns ermöglichen, unsere Arbeiten voranzutreiben. Und Berlin verfügt über die entsprechende Forschungslandschaft, um Talente von Universitäten und Hochschulen ins Team zu holen.“

Wissen schafft Arbeit - Wissenschaft treibt Innovationen

Wissensstadt heißt das in der Sprache von Fachleuten wie Liefner. An den gut vierzig Hochschuleinrichtungen Berlins studieren, arbeiten und forschen rund 250.000 Menschen. Wissen schafft Arbeit. Auch deshalb zieht es Gründerinnen wie Verónica García-Arteaga nach Berlin.

Die genaue Komposition ihrer Erfindung bleibt geheim. Nur so viel wird verraten: Eine Kombination aus Hülsenfrüchten, Gemüse und pflanzlichem Öl sorgt für Farbe und Geschmack. Die Schale (klassisch weiß) aus Bio-Kunststoff und Calciumcarbonat verspricht das vertraute Klacken beim Aufschlagen. Das Ohr isst mit.

Veganes Ei? Das klingt jetzt sehr nach Berlin. Doch geht’s um neue grüne Technik. Auch die EU fördert García-Arteagas Firma mit Blick auf den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Auch deshalb war Gentiloni zu Gast. Beim Test des veganen Spiegeleis zögert der Politiker noch ein
wenig. Beim veganen Marmorkuchen greift der Italiener schon mutiger zu. Gentiloni: „Das hier ist wirklich gut.“

Wissenschaft treibt die Innovation. Innovation treibt Gründung. Und dabei geht es nicht allein ums Ei. Rund 4,9 Millionen Euro Risikokapital hat Berlins Startup-Szene im Vorjahr angezogen. 13,6 Neugründungen pro 100.000 Einwohner gab es 2022 in der Hauptstadt, nur München (14,5) ist besser.

Geograph Liefner erklärt zum besonderen Mix urbaner Zentren wie Berlin, Bremen und Hamburg: „Wir brauche ein Unterstützungsklima für Startups. Dabei geht es nicht nur um Geldgeber, sondern auch um Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen, sprich experimentierfreudige
Konsumentinnen und Konsumenten.“ Die kritische Masse macht’s.

Verkehrswende? Ist längst schon angelaufen

Keine Experimente? Das war gestern. Das zeigt auch ein Blick nach Kaiserslautern. Dort wird das deutsch- französische Unternehmen ACC - Automotive Cells Company - künftig Batteriezellen für E-Autos herstellen. Die Firma, 2020 gegründet, ist ein Gemeinschaftsunternehmen des Opel-Mutterkonzerns Stellantis und Saft, einer Tochter des französischen Energieriesen TotalEnergies. Später stieß noch Mercedes-Benz dazu.

Die Autoindustrie steht vor einer Wende. Auf einem Teil des alten Opel-Motorenwerks in Kaiserslautern ist das schon zu sehen. Dort baut ACC eine neue Batteriefabrik. Von 2025 an sollen die ersten Batterien für E-Autos vom Band rollen, 2030 liefert das Werk pro Jahr Batterien
für bis zu 800.000 E-Autos.

„Kaiserslautern wird zum Kern einer neuen Industrie in Europa“, sagt Peter Hamel. Hamel ist Sprecher von ACC in Kaiserslautern. Sein Kollege Matthieu Hubert in Paris kann das im Videogespräch nur unterstreichen. Er betont: „Wir arbeiten an etwas komplett Neuem.“

Batteriefabriken an alten Automobilstandorten

Komplett neu trifft es gut. Der Autobranche ist im Umbruch. Ab 2035 ist in Europa für die Fossile Diesel und Benzin im Tank Schluss. Neuwagen laufen dann überwiegend mit Strom. Bei ACC sind sie angetreten, diesen Wandel mit voranzutreiben. Auch dabei geht ACC neue Wege und vertraut auf die alte Belegschaft.

In Kaiserslautern wird die neue Fertigung auf dem Areal des Opel-Geländes hochgezogen, im französischen Douvrin werden Teile eines Peugeot-Werks weitergenutzt. Beide Automarken verschmolzen 2019 mit Fiat Chrysler zum neuen Konzern Stellantis. Seither fahren von A wie Alfa Romeo über F wie Fiat bis O wie Opel vierzehn Marken unter einem Dach. Den neuen Antrieb
sollen Batterien liefern - auch aus Kaiserslautern. Die Pfalz wird zur Powerbank.

Neue Ausbildungspläne für neue Berufe

Disruptive Technologien, nennen Fachleute wie Liefner solche Entwicklungen, bei denen die neue Technik nicht auf der alten aufbaut. Der Forscher spricht auch von einer „Destabilisierung der bestehenden Systeme“.

Bei ACC wollen sie die Sache stabilisieren und den Wandel gemeinsam mit den Menschen bestreiten. „Wir bauen bewusst auf Fachkräfte aus der klassischen Autoindustrie“, betont Matthieu Hubert. Sein Kollege Peter Hamel erklärt: „Den Beruf des Batteriezellenfertigers gibt es in der Form so noch nicht. Die neue Tätigkeit ist eine Mischung zwischen Chemiefacharbeiter und Mechatroniker.“

In Kaiserslautern haben sie deshalb neue Ausbildungspläne entworfen. Die ersten Fachkräfte sind schon eingestellt, auch aus dem Opel-Werk. Mit 700 Fachkräften soll das neue Werk in Deutschland 2025 starten, 2030 sollen es 2000 sein. An einem eigenen Ausbildungszentrum Kaiserslautern werden künftig auch Opel-Beschäftigte für die neuen Arbeiten im Batteriewerk qualifiziert.

Geograph Liefner bilanziert:

Industrie hat Zukunft - auch abseits der Energieparks

Eine Investitionsentscheidung wie Northvolt in Heide zieht Kreise. Das zeigt sich im Südwesten schon. Der Autozulieferer ZF aus Friedrichshafen am Bodensee baut im saarländischen Ensdorf gemeinsam mit dem US-Halbleiterunternehmen Wolfspeed eine neue Chip-Fabrik - vornehmlich
für den Autobau.

„Die Region wird ein neues innovatives Cluster der Automobilindustrie“, sagt Hubert. Industrie hat Zukunft – selbst abseits der Energieparks im Norden. Auch Forscher Liefner macht dem Süden Mut: „Die Energiepreise zwischen Nord- und Süddeutschland werden nicht stark divergieren. Für die energienutzende Industrie wird es deshalb kaum große Auswirkungen geben.“ Auch südlich des Mains geht’s künftig weiter.

Die Sache mit dem Staat - warum kabbeln sich Habeck und Lindner?

Bleibt die Debatte über den richtigen Weg: Staat oder Markt. Oder politisch ausgedrückt: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gegen Finanzminister Christian Lindner (FDP). Habeck setzt auf den Staat und Zielvorgaben. Oder wie das das seine Lieblingsökonomin Mariana Mazzucato nennt: Missionsziele.

Habeck ist auf diesem Weg übrigens nicht allein. Auch die EU setzt mit ihrem Green Deal auf ihrem Weg in die Klimaneutralität auf Ziele und Vorgaben. Ein paar Beispiele? Mindestens 55 Prozent Kohlendioxid solle bis 2030 in Europa eingespart werden. Europa gibt die Richtung vor.

Das Ziel ist da, der Weg dahin offen. Für Lindner klingt das dennoch zu sehr nach grünem Fünfjahresplan. Er setzt auf den Markt und die Anreize des Preises. Wird der Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid nur entsprechend besteuert, werden auch klimaschädliche Produkte teurer – vom Benzin im Tank bis zum Öl im Heizungskeller.

Und was sagt Wirtschaftsgeograph Liefner? Wie sieht er den grün-liberalen Richtungsstreit? Der Forscher zögert nicht lange. „Angesichts der Klima- und der Biodiversitätskrise erleben wir einen
gewaltigen Zeitdruck. Deshalb müssen wir die Transition stark beschleunigen“, sagt Liefner und schiebt hinterher: „Es ist sinnvoll, wenn der Staat Richtungsvorgaben gibt.“

Die Zeit drängt. Nicht nur beim Klimaschutz. Auch der ökonomische Wandel ist längst in Gang.

Mehr lesen