Kardels Tagebuch: 1915-1918

Einträge von August bis Dezember 1916

Einträge von August bis Dezember 1916

Einträge von August bis Dezember 1916

Harboe Kardel
Frankreich
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Kardels Tochter Elsbeth Kardel Knutz hat unserer Zeitung die eigenhändig abgetippten Tagebücher zur Verfügung gestellt, sodass Der Nordschleswiger bis zum Ende der Aufzeichnungen bis 2018 Kardels Tagebucheintragungen abdrucken kann. Die Einträge sind immer am 1. eines Monats 100 Jahre später abrufbar.

Dezember 1916

2. Dezember 1916
Gestern war es ruhig. Wir bauten weiter am Postenstand. Husfeldt löste mich um 11 Uhr ab. Es speist wieder mit im Kasino. Das ist der „Lohn“ dafür, dass er sich drei Monate wegen Geschlechtskrankheit dem Frontdienst entzogen hat.
Ich bin dem Kasino noch ausgeschlossen. Selbst nach 28 Kriegsmonaten lassen die Preußen den Bürokratismus nicht fahren.
Ich besuchte mit Leutnant Hewel Reservestellungen und ritt dann mit ihm nach Hause. Das Zimmer fand ich in der gewohnten Unordnung vor.
Stieger, Dierks, Hess, Bey, und Strauss sind Offiziers-Stellvertreter geworden. Wann werden endlich die Schranken fallen, die mein Fortkommen hindern?

4. Dezember 1916
Leutnant Hewel ist zur 8. Batterie versetzt. Hauptmann Waltfried kommt wahrscheinlich auch bald fort. So gehen alle weg, die ich kenne, und die mir helfen möchten. Ich werde vergessen.

5. Dezember 1916
Ich fühle mich vereinsamt. Keinem Freund, keiner mitfühlenden Freundin, auch meinen lieben Eltern kann ich nicht mein Herz öffnen. Ich muss allein meine Last tragen, bis mir Gott wieder ein „getreues Herz“ beschert.
Ich passe ganz und gar nicht unter die Soldaten. Ich bin weder noch in Worten noch in Taten befähigt, ein rechter Soldat zu sein. Ist es ein Wunder, dass ich nichts werde? Bruder Hans (Johannes) schrieb mir, es geht ihm, Gott sei Dank, gut.

6. Dezember 1916
Um 9 Uhr lässt Leutnant Stern die Batterie antreten: „Bukarest ist gefallen“! Hurra! Den Sieg feierten wir bei einer Flasche Wein. Leutnant Stern war Mensch und Kamerad. „Den Krieg gewinnen wir!“, sagte er.

9. Dezember 1916
Gestern machte ich verschiedene Schnitzer. Brach 100 Meter ab statt 50 beim Einschießen und vergaß, die Grundrichtung des 3. Geschützes zu ändern. Leutnant Stern war deshalb nicht mit mir zufrieden.
Heute morgen ging ich mit mehreren Unteroffizieren die Läuferkette ab. Es regnete. Der Engländer macht Feuerüberfälle auf den Graben.

11. Dezember 1916
Gestern, Sonntag, war ich in Roulers.

13. Dezember 1916
Unteroffizier Kröger spielte gerade auf seiner geliebten Fiedel, als Bolsmann mit der Nachricht eintrat, dass der Kaiser unsern Feinden den Frieden angeboten habe. Ausdenken können wir’s nicht, nur hoffen und wünschen, dass dieser hochherzige Schritt unseres Kaisers Erfolg habe. Gott gebe es!

14. Dezember 1916
Am nächsten Tag war ich in Roulers und las dort die ergreifende Ansprache des Reichskanzlers und die Note des Kaisers an die feindlichen Mächte. O, wie sehr wünschte ich ihrem vollen Erfolg.
Was wird bei weiterer Kriegführung von Europa übrig bleiben als eine traurige Ruine.
Im Cafè wurde ich wieder freundlich aufgenommen im Familienzimmer. Der Schweinebraten am Abend, welch ein Genuss!
In der Batterie fand ich heute morgen Hauptmann Schneider und Leutnant Schuster. Beim Einschiessen auf neues Sperrfeuer fielen einige feindliche Schüsse; einer neben dem Munitionsbunker. Und immer noch höre ich die Kanone. Herrgott, wenn der Friede jetzt wieder in weite Ferne rückt, was dann? Dann ist alles dunkel, alle Hoffnung dahin, zuletzt trifft’s vielleicht auch mich.17. Dezember 1916
Wegen der Munition bekam ich gestern einen reingewürgt, und ich kann doch nichts dafür, dass die Zahl nicht stimmt. Sie wird ja nie stimmen.
Abends spreche ich mit Wachtmeister Wenzel über Urlaub. Er will mich noch nicht einreichen, weil es entgegen den Bestimmungen ist. Als ich dann vom übernächsten Freitag sprach, berief er sich auf die Liste und rechnete mir vor, wer noch all vor mir führe. – Mit Ungeduld erwarte ich den Augenblick, wo ich keinen Wachtmeister mehr um Urlaub anzugehen habe.
Um halb vier etwa wird „Nebelbereitschaft“ befohlen. 5 Kanonen werden als Läufer in die Gegend gehetzt und Trompeter Kröger mit „Unruh“ und Trompete ohne Mundstück an irgendeiner Straßenkreuzung aufgestellt.
Ich bekam Abends noch eine „Sonntagszigarre“ von Leutnant Stern. Das
1. Geschütz hatte nicht geladen. Er meinte, ich hätte mich darum kümmern müssen.

18. Dezember 1916
Husfeld ist zum Offizier eingereicht. Die 7 Offizier-Stellvertreter sind Leutnant geworden. Und ich sitze hier, ohne jegliche Aussicht auf fortkommen.

20. Dezember 1916
Das war mal wieder ein bunter Tag! Weil Husfeld hier seinen Antrag auf Beförderung zum Offizier stellen sollte, musste ich ihn so lange als Abteilungs-Beobachter vorne vertreten.
Zweiter und dritter Graben wurde mit 12 cm Kaliber beschossen. Gegen 6 gingen 12 Schuss in die Nähe der Batterie. Die Bunker schaukelten. O, dass doch der Friede bald käme! Kann ich noch hoffen? Die feindliche Presse macht mich fast mutlos. Doch was ist Wahrheit, und was ist Bluff?

21. Dezember 1916
Fast den ganzen Tag habe ich gelesen, verschiedene Zeitungen. Fettigkeiten hat‘s nicht gegeben. Wir essen trockenes Brot.

22. Dezember 1916
Es ist wieder Abend. Eigentlich müsste ich jedem Tag eine Träne nachweinen, weil ich hier in Flandern so tatenlos und freudlos sitze. Wie viel besser könnte ich es haben auf der „alma mata“ und daheim, bei einem niedlichen süßen Mädel.

23. Dezember 1916
Von 7 bis 7.45 Uhr schossen wir „Feuervereinigung Süd“, denn der Engländer betrommelte die Gräben der 163er. Es wehte und regnete und gab nasse Füße.
Nachmittags ritt Leutnant Stern nach hinten, und ich war Batterie-Führer. Wachtmeister Wenzel zahlte im Sanitäts-Unterstand Beute- und Kantinengelder aus.
Mutters Tannenbäumchen zündete ich an, als ich allein war und sang einige Weihnachtslieder dazu. Das war eine schöne Feier.
Wird morgen Weihnachtsstimmung aufkommen? Ich bezweifle es. Weihnachten ist und bleibt ein Familienfest. Es wird leider meistens zu einer Art Kaisers-Geburtstagsfeier.

25. Dezember 1916
Accidit(Passiert)—kann ich heute sagen.
Trotz aller Bemühungen, das Weihnachtsfest schön zu gestalten, verlief es doch so stimmungslos wie nur möglich. Die ganze Feier beschränkte sich nur aufs Biertrinken und den Vortrag zum größtenteils zotigen Gedichte. Und das am Weihnachtsabend!
Herrgott, lass es das letzte Weihnachten sein, dass ich als Soldat feiern muss.
Wilson sendet eine Friedensnote an die Kriegführenden.


 

November 1916

1. November 1916
Um 12 Uhr nachts verließen wir die Stellung „Schanze 109“. In flottenTrabe ging’s durch Langemarck nach Mangelaare. Am Abend bekam ich noch den Bescheid, morgen mit dem Batterietrupp (R I) nach der neuen Stellung zu reiten, um 7.40 Uhr Abmarsch. Also gleich wieder Bewegung! – Heute morgen ritten wir über Viefwege nach West-Roosebeke, von dort zur Stellung, die besser zu sein scheint als die vorige.

2. November 1916
Vizewachtmeister Kriegeris will morgen auf Urlaub fahren, und Wachtmeister Venzel muss erst seine Sachen packen (!), deshalb bin ich heute wieder mit der Batterie hinausgegangen. Die Geschütze fuhren um halb 4. Doch war es sehr hell, und Leutnant Hewel und ich hielten es für gut, in Langemarck die Dämmerstunde abzuwarten. Ich landete schließlich auf der „Beobachtung Bärenloch“ im 2. Graben, die ich mit Vizewachtmeister Martens besetze. Hier ist’s ganz gemütlich. Uns stört keiner, und morgens, wenn es klar ist, wird beobachtet. Hier können sie mich ruhig
ein paar Tage sitzen lassen.

3. November 1916
Heute Morgen waren Hauptmann W. und Leutnant Pape hier, um die Batterie einzuschießen. Der alte Stieger kam auch. Er ist augenblicklich Verbindungsoffizier beim 2. Bataillon des Regiments 162. Ich lernte schnell das neue Gelände kennen, die Kathedrale und die Tuchhalle von Ypern Wieltje, St. Jean und die Ferme Markey.
Unser Unterstand ist sehr niedrig und der Eingang eng. Läuse hat er auch.

5. November 1916
In der Nacht stellte ich 2 großen, dicken Ratten nach, die hier im Unterstand herumliefen und unsere Brotvorräte verzehrten. Das Bajonett lag stets neben mir. Leider gelang es mir nicht, eins von diesen widerlichen Tieren zur Strecke zu bringen.

7. November 1916
Ich war im „Lausoleum“ in Roulers. Nachher Kaffee getrunken. Kaufte einige wichtige Sachen: Kochtopf, Trichter, Teller, rote Lampe, Stiefelbänder, so dass mein Haushalt jetzt beinahe komplett ist. Nur etwas viel Gepäck für den Krieg. Viele Offiziere amüsierten sich in Roulers. Ich sah so manchen blutjungen Trainoffizier (!!), der sicher Protektion hatte. Um 6.23 Uhr fuhr ich nach Westroosebeke und ging von da nach Hause. Die Feldwege waren grundlos. Heute regnet es und stürmt. Doch mein Feuer brennt, nachdem ich den Ofen etwas nachgesehen habe. Polen ist zum selbständigen Königreich erklärt worden. Da muss unsere Diplomatie ja mit  Sieg rechnen. Sollte an den Sonderfriedensgerüchten doch etwas Wahres sein?

9. November 1916
Heute ist mein letzter Ruhetag. Ich will ihn gemütlich in meinem Zimmer verleben. Nachts um halb eins sagte mir der Wachtmeister, ich brauche heute nicht in den Graben. Darauf drehte ich mich auf die andere Seite und schlief noch einmal so gut.

10. November 1916
Spazierritt nach dem Kaffee. „Hans“ war sehr übermütig. Prächtiges klares Herbstwetter. Von Höhe 21 aus sah ich im Dunst die Kathedrale von Ypern und den Kemmel-Berg.
Ich richtete ein Gesuch um Gewährung der Immatrikulation an den Rektor der Universität in Kiel. Meine militärische Laufbahn ist verkorkst. Da will ich wenigstens für meine Zivile sorgen.

11. November 1916
Morgen geht’s dann also wirklich los. Ich soll Wachtmeister Wenzel in der Batterie ablösen. Dieser geht ins „Bärenloch“. Er sagt: „Das ooch noch!“
Kriegeris geht als Verbindungsoffizier zum Batall. 1.-Stab.
Zwei Kastenwagen fahren raus. Da will man uns mit hinaufpacken, damit wir den Rest von Autorität verlieren, den wir bei den Leuten noch haben. Wird nicht gemacht, ich gehe lieber zu Fuß!
Nun, wir bekamen zuletzt doch noch eine Gig. Ich zog wieder ins „Bärenloch“. Mit der Verpflegung klappte es nicht. Ich ging zum Abschnitts-Kommandeur, der unsere Verpflegung gleich in freundlicher Weise regelte. Er meinte, ich müsste bald Offizier werden. Wenn doch unser Regimentskommandeur es auch meinte!

13. November 1916
Das Schlafen hier im „Bärenloch“ ist eine sehr unbequeme Sache – selbst für kleine Leute. Kaum ausstrecken kann man sich.

14. November 1916
Ich verschlafe die Zeit und Kriegeris wartet von 8-8.45 auf mich an der Strasse Fortuin-Wieltje. Ich zeigte ihm die „Pfefferbüchse“, wo ich leider am Sonntag meinen Regenmantel habe liegen lassen. In der Batterie traf ich Hauptmann Schneider und Leutnant Stern. Von Höhe 36 tat ich bei dem klaren Wetter einen Blick tief ins feindliche Land. Hier im Sanitäts-Unterstand ist es ganz gemütlich, jedenfalls besser als im „Bährenloch“.

16. November 1916
Wenn doch der Krieg bald zu Ende wäre! Stieger wird bald Offizier. In der Tat werden in erster Linie die Vornehmen und Reichen Offizier. Und dann in einem Schleswigschen Regiment! Ich habe so viele Ungerechtigkeiten gesehen, dass ich vor dem preußisch-deutschen Militarismus Abscheu empfinde.

19. November 1916
Am 17. waren Kriegeris und ich in Iseghem. Den Weg hatten wir uns näher vorgestellt. Wir besuchten dort meine Wirtsleute. Alle waren hocherfreut, uns wiederzusehen. Trotz Dunkelheit und Ortsunkenntnis, fanden wir glücklich wieder zurück in unser Nest.
Gestern raffte ich mich auf und ging zum Zahnarzt nach Roluers. Hagemeier sorgte dafür, dass ich bald an die Reihe kam. Am 25. soll ich wieder hin. Interessant war es mir, dass die beiden Ärzte im Militärverhältnis Musketiere sind.

23. November 1916
Seit gestern bin ich in der Batteriestellung. Leutnant Niemeyer sagte, ich solle den Mut nicht sinken lassen. Ich könne trotz meines Missgeschicks beim Kursus noch Offizier werden. Die Offiziere sind augenblicklich bei uns knapp. Ich muss über diese Angelegenheit mit Hauptmann W. sprechen.
Plötzlich ist Leutnant Niemeyer zur 8. Batterie versetzt. Leutnant Hewel, vom Urlaub zurückgekehrt, ist in die Batterie gekommen.

27. November 1916
Sonntag war ich mit Sergeant Meyer, Kriegeris und Fahnenschmied Bolsmann in Iseghem pr. Gig.
Bruder Rudi schickte mir 10 M zum Geburtstag. Der gute Kerl! Geld kann ich gut gebrauchen.

28. November 1916
Die Postgig, gezogen von Meyers faulen „Alex“, brachte uns in Stellung. Ich sollte die Batterie auf Pkt. 305-307 einschießen. Ich hatte der Batterie Bescheid gesagt, und die richtige Beobachtung gewählt –da schießt der Tommy die Verbindung entzwei, und nachher hindert dichter Nebel das Einschießen.
Nun muss es morgen geschehen.

30. November 1916
Gestern war für uns ein Kampftag. Wir schossen von 5-7 und um 10 noch mal: 573 Schuss. Im Graben hörte ich heute das Nähere: Die Engländer sind im Abschnitt v in unseren Graben gewesen und haben fünf Mann mitgenommen. Ich watete in Wasser und Schlamm. Und mulmig war’s. Alle Augenblicke schlugen Geschosse ein. Die Infanterie behauptete wieder, wir hätten zu kurz geschossen, das tat auch der Oberstleutnant von Rettberg, der mich ansprach. – Unser Sperrfeuer, das ich von der „Pfefferbüchse“ aus prüfte, lag gut. – Eben sagte Leutnant Stern uns Unteroffizieren, dass es schwer sein werde den kommenden Angriffen zu wiederstehen. Mir sagte er vertraulich, dass er und Hauptmann W. alles Mögliche für mein Fortkommen tun wollen. Augenblicklich scheine das Regiment aber noch an den Bestimmungen des Kursus festhalten zu wollen.
Mir trat es heute Morgen im Graben und bei der Ansprache Leutnant Sterns so recht vor Augen, wie schwere Kämpfe uns noch bevorstehen, bis wir in Frieden heimkehren können.


 

Oktober 1916

1. Oktober 1916
Gestern Abend war ich im Kino. – Was sollte ich anders tun? – Heute war nun Sonntag, ein wirklicher Sonnentag. Morgens machte ein Unteroffizier eine Aufnahme von mir, die ich meiner lieben Mutter schicken will. Nach Mittag machte ich einen Spazierritt, „Hans“ ging großartig. Es war eine Lust ihn zu reiten. Um 5 Uhr kam Glienicke angefahren, nahm mich mit nach Carvin und ins dortige Offizier-Kaffee.

2. Oktober 1916
Ich reite zum Pionierpark Meurchin, um Kies zu bestellen, aber es ist keiner da. Früchtenicht bringt mein Schuhwerk großartig in Ordnung. Eben habe ich Angèle einen Besuch abgestattet, die sich heute Abend wirklich niedlich angezogen hatte. Nur wollten die lieben Anverwandten bei meinem Besuch nicht leer ausgehen und blieben so lange auf, bis ich Abschied nahm. Morgen geht es denn wieder nach vorn.

3. Oktober 1916
Leutnant Pape fuhr auch mit, um Leutnant Schwerdtfeger abzulösen, der morgen auf Urlaub fährt. Es ging eilig. Kaffee bekam ich nicht, den trank ich nachher mit Dr. Cohn in der Küche zu Wingles. Das Wetter ist nasskalt. Ich habe im Unterstand Feuer gemacht. Eben kam das 1. Geschütz und das 4. ging nach hinten, um nachgesehen zu werden. Eben hub plötzlich starkes Maschinengewehr- und Minenfeuer an. Die Kugeln flogen bis zur unserer Stellung. Gut geschlafen. Die Leute vom 4. Geschütz waschen die Kanone; die vom 3. benagelten die Tür zum Munitions-Unterstand mit Blech; die vom 2. und 1. Geschütz arbeiteten am Laufgraben und an der Schulterwehr, ich wollte gerade einige Aufnahmen machen, da fing es wieder an zu regnen. Ich schätze solches Dreckwetter gar nicht. Gestern Morgen brachten sie in einer Zeltbahn einen Pionier von vorn. Nachher legten sie ihn auf die Lore und fuhren ihn hinunter.

5. Oktober 1916
Ärgerlich – die Munition stimmt wieder nicht. Wir haben 40 Schuss zu wenig.

6. Oktober 1916
Gestern Abend machte Tommy drei Gasangriffe. Rote Leuchtkugeln gingen hoch, und wir schossen Sperrfeuer. Jetzt stimmt unsere Munition wieder! Heute Morgen war es sehr hell, und wir mussten die Arbeit leider abbrechen.
Von 6 bis 8 Uhr heute Abend wurde viel geschafft. Morgen früh wird die tarnende Haube fertig. Ich werde nicht abgelöst. Die Königliche 6. Batterie hat gerade noch zwei Offiziere und einen Vize. Früher hatten wir fünf Offiziere und vier Vizes. Zwei Offiziere und ein Vize waren in Feuerstellung.

7./8. Oktober 1916
Ja, die Haube ist fertig. Zwei Loren waren heute Morgen noch nötig. Ich tue mein Bestes und erfülle meine Pflicht. Aber es wird mir in keiner Weise gedankt. Eben war Leutnant Pape hier. Er hatte gleich wieder neue Arbeit – bei den wenigen Leuten, was soll man da viel machen!
Ich wurde fürs erste noch nicht abgelöst, ich stehe hier ja auch nichts aus. Wenn ich die Offiziere ansehe, so ergreift mich ein bitteres Gefühl. Sie denken nur an sich, freuen sich über das viele Geld, das sie verdienen und amüsieren sich. So traurig es auch wäre, ich fürchte, dieser Krieg nimmt trotz aller Erfolge, trotz allen Heldenmuts noch ein schlimmes Ende. Es fehlt die himmelstürmende Begeisterung, die unsere Unterlegenheit an materiellen Kräften ersetzen müsste.
Der Engländer lässt nicht locker, er hat die Zeit für sich, und wir verbluten. Besiegt werden können wir nicht, aber zu Boden werfen können wir den Gegner auch nicht. All die Herren, die so laut von „völliger Niederwerfung“ reden, sollten doch herkommen und uns dabei helfen, aber das sind solche, die sicher in der Heimat, günstigstenfalls in einer fetten Etappe sitzen. Warum können die Völker sich nicht zu einem vernünftigen Frieden aufraffen?
Ich will mich, wenn’s geht, immatrikulieren lassen. Schrieb deswegen nach Kiel und an Vater. Ich hasse den preußischen Militarismus. Mein Vaterland, meine Heimat liebe ich. Für die stehe ich hier im fremden Land. Für sie will ich gerne kämpfen, aber nicht für Eroberungspläne.
Warum soll ich kein Offizier werden? Wenn ich gut genug bin, Offiziersdienste zu tun?

8. Oktober 1916
Wenn ich hier nur genug zu lesen habe, bekomme ich auch keine Langeweile.
Es ist Sonntag! In Tondern kommen sie nun aus der Kirche. Wie lange soll ich meinen Lieben noch fern bleiben! In diesem konzentrierten Elend. Die Ferien haben angefangen. Meine Geschwister sind zu Hause. Fluch über die Leute, die diesen schrecklichen Krieg noch verlängern.
Ich empfinde in diesen Tagen eine mächtige Sehnsucht nach Hause – Heimweh.
Wie ich denken Millionen. Warum zerfleischen sich die Völker noch? Sehen unsere Feinde denn nicht, dass es unmöglich ist, uns zu besiegen? Wie es
schließlich doch kommen muss, könnte es schon jetzt enden: Jeder geht hinter seine Grenzen zurück und trägt die Lasten und Kosten des Krieges selbst. Wir können keine Entscheidung herbeiführen.
Dazu ist die Übermacht zu groß.

9. Oktober 1916
In der vergangenen Nacht gegen vier schossen wir Sperrfeuer. Einer hatte zwei rote Leuchtkugeln gesehen. Es schien aber nichts los zu sein. Um halb zehn kam Major Kohlbach und ging prüfenden Blicks durch die Batterie, fand einen, der seine Gasmaske nicht da hatte und war darob sehr missgestimmt. Er ermahnte mich stets zu kontrollieren, ob die Leute die Gasmaske immer bei sich haben. Leutnant Pape wurde durch Leutnant Hewel abgelöst.
Von einer Besserung meines Hustens ist noch nichts zu spüren.

11. Oktober 1916
Für den Generalmajor, der eben hier war, schien der Mensch auch erst bei Offizier anzufangen. Er kritisierte nur. „Was haben Sie letzte Nacht gearbeitet?“ – „Wir arbeiten morgens.“ – „Nennen Sie das arbeiten, was die Leute da machen?“
Dabei arbeiteten sie fleißig am absteifen der Gräben. Die Herren sollen uns doch vom Halse bleiben! Ist ja leicht, Anordnungen und Befehle zu geben, danach sich in sein Schloss zu setzen und gut zu leben, was bei uns gearbeitet wird, davon haben diese Herren keine Ahnung.
Für mich ist noch keine Ablösung hier. Heut’ ist schon der 9. Tag.

14. Oktober 1916
Vizewachtmeister Kriegeris, früher 10. Batterie, Hamburger (Finanzdeputation), kommt in Stellung. Ich soll noch ein oder zwei Tage bleiben, um ihn einzuführen. Er ist ein vernünftiger Mensch, hat es abgelehnt, im Kasino mitzuessen wegen der Kosten. Es machte mir Spaß, ihm den flotten Betrieb in der Batterie vorzustellen.
Die Leute waren zufrieden und taten die Arbeit mit Lust und Liebe. Ich kann nicht anders, ich achte jeden Soldaten und behandle ihn als Mensch, und das danken sie mir.
Nun ist Befehl gekommen, dass immer ein Offizier in der Stellung sein soll. Das tut gar nicht nötig, und ich sehe es nicht gern.
Am Donnerstagabend fuhr ich zurück mit dem Küchenwagen. Hundert Handgranaten lieferte ich unterwegs in Faschoda ab.
Die Badereise wurde programmgemäß am nächsten Tag nach Carvin angetreten. Bei der Gelegenheit konnte ich auch einige Gaslichtpostkarten erwerben. Abends ging ich auf Einladung zur Kantine.
Außerdem bin ich heut geritten und habe gegen Abend mit Leutnant Hewel einen Spaziergang nach Carvin gemacht. Dieser war freundlich und kameradschaftlich zu mir. Im Übrigen stehe ich jetzt den Offizier- und Aspirantenkreisen fern. Das Geld ist es, das mir fehlt, mit allem anderen hat mich die Natur reichlich ausgestattet.
Meine Immatrikulation ist möglich. Wird also gemacht.
Montag will ich nach Lille zum „Freischütz“.

15. Oktober 1916
Ein Sonntag ist zu Ende, ein kühler aber trockener Herbsttag.
Ich war gerade bei den Vorbereitungen zum Nachmittagstee, als Wachtmeister Venzel mir mitteilte, dass wir heut’ oder morgen Carnin verlassen müssten, um in Camphin Quartier zu beziehen. Ich solle nur mal mit Kröger hinreiten und die Quartiere besehen. 
Ist es recht, dass man die Zivilisten wegen ungelegter Eier einsperrt?
Heute ein unbescholtenes  junges Mädchen. Morgen eine sechzigjährige fromme Frau?

17. Oktober 1916
Montagmorgen musste ich dann mit Wilhelm Kröger los und Quartier machen in Ennecourt bei Camphin. Es war Platz genug da, und als die Batterie kam, konnten sie gut untergebracht werden.

18. Oktober 1916
Im Regen fuhren wir mit einigen Wagen nach Ennecourt. Wir wollten nach Carvin, endeten aber schließlich auf freiem Feld und mussten absteigen, weil es den Gäulen zu schwer wurde. Über Stoppel- und Sturzäcker erreichten wir schließlich die Straße Camphin-Carvin. Kriegeris überreichte mir einen Zettel, was gemacht werden sollte. Hauptmann W. hatte gefunden, dass in den 4 Wochen nichts geschafft sei.
Jetzt fängt es so allmählich an gemütlich zu werden. Ich taue auf bei dem lustig brennenden Feuer, Kälte ist widerlich. Auf meiner Husumer Bude war’s immer warm.

20. Oktober 1916
Heut´ hatten wir klaren Himmel, aber es war kalt. Zur Tarnung flochten wir Weidenmatten. Um 11 kam Major Kohlbach, ging durch die Stellung, ließ sich einen Karabiner zeigen und fragte nach dem Verhalten der Langgranaten.
Nach Mittag zeigte ich den neuen Leuten das Richtkreisverfahren. Gegen 5 Uhr schoss der Feind in die Nähe der Batterie. Rechts vom 1. Geschütz traf ein Schuss die Betonwand. Ein Biertonnen großer Klotz liegt mitten im Graben. Ich hatte an der Stelle gerade den neuen Postenstand eingerichtet. Unteroffizier Bentzin war 2 Schritt von dem Einschlagsort entfernt, als er den Schuss ankommen hörte. Er lief zurück (zur Latrine)!! Und blieb bewahrt.

21. Oktober 1916
Um 10 Uhr kommt Leutnant Stern und lässt sich  im Offiziersunterstand nieder. Der Himmel war wieder tiefblau. Die Weidenmasken an den Geschützen sind jetzt fertig, auch der Schaden beim 1. Geschütz ist repariert. Um 5 schossen wir 20 Schuss „Vergeltungsfeuer“.

23. Oktober 1916
Gestern wurde ich durch Kriegeris abgelöst. Kurz vor Camphin sagte Leutnant Hewel zu mir, dass wir morgen fortkämen. Er gäbe eine Bahnfart!! Wohin--?
Nachmittag war ich noch nach Carvin geritten, sah Angèle und genoss euf meinem „Hans“ die schöne Herbstluft. Jetzt harre ich,-- alles gepackt,-- des Abmarsches.

25. Oktober 1916
Um 11 ging’s los. Das Verladen, fand auf dem Bahnhof Carvin statt. Abends um 7 kamen wir auf dem Bahnhof Iseghem an, im I. sollten wir Quartier beziehen. Das war mal wieder so ein richtiges Schlamassel. Wir konnten nicht die Hand vor den Augen sehen. Vor jedem Wagen musste ein Mann mit einem Licht gehen. Schließlich fand mit der Hilfe der Feldpolizei aber doch jeder seinen Stall – und ich ein gutes Quartier.
Vorher hatte ich noch einen Auftritt mit Hauptmann Hedicke, den es offenbar ärgerte, dass der Gendarm von Kriegeris und mir immer als von den „Herren“ sprach.

26. Oktober 1916
Iseghem ist eine Stadt von 17.000 Einwohnern. Meistens wird flämisch gesprochen, dass wir Deutschen bei einiger Aufmerksamkeit gut verstehen können. Die Batterie liegt weit verstreut in der ganzen Stadt, ich in der Rousselaerestr. 73, in der Nähe der Feldküche.
Man gibt hier sehr viel Geld aus. Tagsüber bummelt man in den Straßen umher, besieht die Schaufenster und empfindet  stets den Wunsch, dies oder jenes zu kaufen. Abends war ich schon zwei Mal mit Kriegeris am Markt bei den beiden „Grünen“, die so niedlich deutsch sprechen und mit uns Deutschen wie mit Kameraden verkehren. Gestern war auch der Wachtmeister, jetzt Off. Stellvertreter mit. Wir bewältigten eine Menge Bier und „Cuisiniers“ und gingen sehr heiter nach Haus. Das war mal wieder etwas anderes. Schmutz gibt‘s hier auch genug. Aber wer mag sich daran besudeln? Alle zweifelhaften Lokale sind für Militärpersonen verboten.

27. Oktober 1916
Um 2 sind die Quartiermacher fortgeritten. Nun sind die großen Wagen fort, und um 1.30 folgen Geschütze und Protzen. Es regnet schon wieder – das ist eine nasse Ecke hier.

28. Oktober 1916
Bevor wir Iseghem verließen, war es mir noch gelungen, Speck und Schmalz einzukaufen.
Wir berührten Roeselaere, Staden, Viefwege und landeten in einem weltverlassenen, öden Nest, 2 km nordwestlich von Langemarck. Die Stellung, in der wir heute tagsüber arbeiteten, ist sehr nass. Nun, mit der Zeit werden wir uns auch hier einleben.
Im Herbst 1914 (10. Nov.) stürmten die Freiwilligen-Regimenter Langemarck unter dem Gesang: „Deutschland, Deutschland über alles“.
Man sieht hier viele, viele Gräber.

30. Oktober 1916
Gesternmorgen sind wir vor Langemarck in Stellung gegangen in „Schanze 109“.
An den Geschütz- und Unterständen wurde weiter gearbeitet. Allmählich wird auch mein Unterstand wohnlich, nur das Feuer, für mich das Wichtigste, fehlt noch.
Letzte Nacht war vorn eine Schießerei, wir hielten uns bereit und standen schimpfend Eine Stunde lang im Regen.
Heute Mittag leiteten Hauptmann Waltfried und Leutnant Stern das genauere Einschießen. Hauptrichtung ist die Kathedrale von Ypern.
Der Verpflegung war heute und gestern sehr knapp. Brot war nicht da. Und schon erklärten die Leute, sie könnten deshalb nicht arbeiten. Der Magen hat eine große Macht über die Menschen. Oft hört man die Worte: „ Denn lot se doch Schluss moken, wenn se nix mehr to freten hebbt.“

31. Oktober 1916
Soeben kommt Befehl, dass wir die Stellung sofort räumen sollen. Jetzt, wo wir einigermaßen eingerichtet sind, da müssen wir fort. Keiner weiß, wohin. Jeder der in Stellung ist, schimpft.


 

September 1916

1. September 1916
Es geht mir noch nicht besser. Obgleich ich sehr mäßig lebe und alle Vorschriften des Arztes befolge, will mein Magenleiden nicht aufhören, und alle Augenblicke laufe ich unter die Bäume, die neben dem Schusterhäuschen stehen. Es war ja hier hinten meine Lieblingsbeschäftigung: gut zu Essen – dass ich jetzt hungern muss, ist gemein, aber notwendig.

2. September 1916
In der Nacht und heute ist mein Zustand ein ganz klein wenig besser geworden. Glienicke kam heute Morgen. Er erzählte: „Unsere Stellung ist sehr beschossen worden, gestern 3 mal: 2 Splitter trafen Mucke und Löffler. Der ein traf den Hintern, der andere den Fuß.“ Zum Glück haben die Mannschaften zuletzt die Stellung verlassen, sonst wäre wohl mehr passiert. Es heisst, ein Zug wird schon heute Abend abgelöst, jedenfalls ist unsere Ablösung nahe – darüber freuen wir uns alle. – Das Huhn, dass uns die Bäckerin so gut bereitete, war ein Festessen.

4. September 1916
Glienicke und ich nehmen einen Spaziergang nach Bèthincourt, Butter bekamen wir aber nicht. Ein schwerer Schlag hat die Batterie getroffen: Unteroffizier Duve, Gefreiter Thiessen, Wehrmann Wöhlk und Kanonier Früchtenicht, sind durch einen Volltreffer, den das 2. Geschütz bekam, alle auf einmal getötet worden. Sie zählten zu den besten. Sie waren herzensgut und fleißig. Wie viel Tränen wird Duve‘s hübsche kleine Freundin vergießen, deren Bild er mir oft zeigte. Gestern Abend waren Glienicke und ich in Ruyalcourt, um dem Pfarrer wegen der Beerdigung Bescheid zu sagen. Nachher behielt Hauptmann W. mich noch etwas im Kasino. Nun haben wir die 4 Kameraden, in einfachen Holzsärgen in Frankreichs Erde bestattet. Mein Husten wird immer schlimmer. Er greift mich furchtbar an.

5. September 1916
Um 11 Uhr verließen wir Neuville und ritten über Hermies, Moevres, Aubigny, Bugnicourt, Cantin nach Roucourt Teils bei strömendem Regen, wobei ich vertretungsweise den 2. Zug führte. Im Schloss von Roucourt wohne ich mit Glienicke in einem Zimmer, und oben wohnen die Kanoniere. Morgen geht‘s weiter in unsere neue Stellung.

7. September 1916
Ich wohne mit Glienicke zusammen bei netten Leuten. Alles sind nur Notquartiere, bald sollen sie besser werden.
Es sind verschiedene zum Eisernen Kreuz eingegeben. Ob ich auch darunter bin?

8. September 1916
Gestern Abend – ich spielte gerade nach 6 Wochen zum ersten Mal Klavier – kam Befehl, ich solle sofort in die neue Stellung, um die Munition zu übernehmen. Es ging so Hals über Kopf, dass ich meine Sachen nicht mitkriegte. Ich fand sofort die Batterie 4/bayr. 5 und übernahm alles.
Darauf legte ich mich schlafen, bis die Batterie eintraf. Ich bekam den rechten Zug, wohne in einem Wellblechunterstand neben den Offizieren. Die Stellung ist gut und sicher. Nur fehlt das Wasser und die Küche. Flieger scheint man hier nicht zu kennen, denn die Stellung ist, obgleich sehr auffällig, noch nicht entdeckt.

9. September 1916
Die Nacht über konnte ich schlafen. Um halb sieben stand ich auf. Wir erledigten kleine Arbeiten; Zählen der Munition und Latrinenbau. Major Kohlbach besah die Stellung. Der Posten wusste den Sperrfeuerraum nicht anzugeben. Wir stellten ihn genau mit 2 Richtkreisen fest.

11. September 1916
Hauptmann Waltfried hat das E.K. I bekommen und 8 Mann das E.K. II.
Ich erkundigte die Stellung und machte eine Skizze darüber.
Kurz danach beglückwünschte mich der Hauptmann zum E.K. II. Ich war froh, mein Wunsch ist damit erfüllt. Kein Orden wird mich je so freuen wie dies schlichte Kreuz von Eisen. Gott hat meine Arbeit gesegnet. Ihm alle Ehre!

15. September 1916
Ich bin abgelöst durch Hussfeld.
Glienicke und ich gehen zu Fuss nach Carnin. Ein gutes Quartier bei einem Becker wird bezogen. Mittagessen gibt es im Unteroffizier-Kasino. Glienicke fotografiert mich mit dem E.K.
Vorgestern war ich mit Glienicke in Carvin. Wir badeten, aber die Wäscherinnen besuchte ich nicht. Gestern spazierten wir, obgleich ganz schlapp von der Impfung, nach Provin, dann nach Carvin. Wir bekamen aber keine Butter. Und somit war der Zweck unserer Reise verfehlt.
Um 7 Uhr war Appell. Hauptmann Waltfried kam mit dem E.K. I. Nachher behielt er mich zurück und sagte, er könne mich nicht mit ins Kasino bringen, weil ich kein Offizier-Aspirant sei. Ich merkte aber, dass er mir gut ist, und mir viel Vertrauen schenkt: „ Sie wissen, dass ich Sie gern habe, ebenso wie die anderen“, sagte er.
Gestern Abend, der Bierabend, verlief gemütlich. Nur schade, dass ich um halb fünf wieder raus musste. Glienicke und ich ritten nach vorn. Leutnant Litzmann kommt zur 3. Batterie, Leutnant Häwel zu unserer.

16. September 1916
Gestern Nachmittag wurde die Batterie beschossen. Herr Hauptmann war mit dem Einschiessen von Leutnant Schwerdtfeger unzufrieden.

18. September 1916
Gestern und heute regnete es. Glienicke lässt Feuer anmachen,  der Ofen raucht zu stark.
Heute Morgen besah Leutnant Häwel die Batterie. Glienicke besetzte so lange die Beobachtung.
Mutter, Grete und Willi beglückwünschen mich in herzlicher Weise, schicken mir Schokolade und Heidezweiglein. Wäre ich doch erst wieder bei ihnen! Einer Freundin schrieb ich ins Stammbuch: „O schöner Tag, wenn endlich der Soldat ins Leben heimkehrt,
in die Menschlichkeit!“

19. September 1916
Heute Morgen fuhren Glienicke und ich zurück – auf dem Kastenwagen – ich sagte, wie ein krankes Pferd zum Pferde-Lazarett gefahren wird.
Es wird gemunkelt, wir kommen bald wieder weg. – Hoffentlich nicht nach der Somme.

21. September 1916
Heute will ich meine Zähne nachsehen lassen. Reite mit Glienicke nach Carvin – Galopp übers Feld.
Meine Zähne sind gut. Plombieren will der Zahnarzt nicht. – Im Kaffeehaus bediente uns ein niedliches Mädel. Wir hatten großes Gefallen aneinander. Aber was nützt das alles? Vom Sehen werde ich nicht mehr satt. Es drängt mich mit Ungestüm zum Weibe. Aber überall sind Hindernisse. Ich bleibe ehrbar, und will nicht hinab in den Schmutz.

23. September 1916
Als ich schon im Bett liege, sagt Glienicke zu mir, dass ich heute für Husfeld, der an Hodenentzündung (!) erkrankt ist, in Feuerstellung soll. Nun, das eilte ja nicht. Um halb neun fuhr ich in der Gig mit dem Wachtmeister, der löhnen wollte, los. Das Wetter ist jetzt trocken. –Für unser Regiment geht der Urlaub weiter—es scheint also, dass wir noch nicht wegkommen.-- Vorne herrscht noch immer Grabesruhe.
Gestern Nachmittag besuchte ich die Beobachtung in Douvrin. Vizewachtmeister Glienicke ist zur 2. Batterie versetzt. Er wird wohl bald Leutnant werden mit den anderen. Ich komme nicht weiter, obgleich ich es ebenso gut verdient hätte. Ich weiß sehr gut, dass die Offiziere mir am meisten von allen Vizewachtmeistern vertrauen. Nur den Herren vom Kursus habe ich es zu verdanken, dass ich noch kein Offizier werde. Ich will es ihnen nicht vergessen, wenn ich je an etwas Ungerechtes denke, dann will ich mir den Kursus Frèniches-Courcelles ins Gedächtnis zurückrufen.
Eben ist der „Extrazug“ angekommen – die kleine Lore – auf der Kaffee und Mittagessen herangerollt werden von der Küche, die sich in Wingles befindet. Das ist der einzige Dienst – das Essenholen–, den die Leute gern tun.
Die ersten 90 Schuss auf feindliche Minenwerfer sind raus.
Ich denke oft an die schönen friedlichen Zeiten in der Heimat. Werden sie wiederkommen? Und wann? Bald bin ich mit meinen Gedanken in Husum, bald in Tondern, bald auf Alsen.

25. September 1916
Morgens schossen wir wieder auf feindliche Minenwerfer.
Um 3 Uhr nachm. ging ich über Feld zur Beobachtung und ans Scherenfernrohr. Bei klarem Wetter muss man vom Dach des hohen Hauses viel sehen können. Es war diesig, trotzdem sah ich auf feindlichem Gebiet die rauchenden Schornsteine, die Drahtseilbahnen, den Rauch der Eisenbahnen und unzählige Kirchtürme.
Die Schlacht an der Somme ist noch in vollem Gange. Wollen die denn gar nicht aufhören? Sie erreichen ja doch nichts. Ich fürchte, wir müssen noch einmal nach der Somme.

26. September 1916
Eben ist Wachtmeister Wenzel 2 Tage in Ruhe gegangen. Ich soll mit Leutnant Schwerdtfeger noch vorne bleiben. Aber ich kann ja nicht mit ihm in einem Unterstand wohnen, bewahre, ich bin ja nicht „standesgemäß“!!

28. September 1916
Sergeant Meyer kommt. Ich suche die Stellung 22 in Wingles. Finde sie schließlich in der Kolonne St. Leonhard. – Inzwischen findet Major Kohlbach in der Stellung große Unordnung und Unwissenheit. – Ich trinke mit Leutnant Pape Tee.
Jetzt gibt’s Instruktion für die neuen Leute.

30. September 1916
Gestern Morgen kam Wenzel um mich abzulösen.
Die Leute mischten Beton beim Bahnwärterhaus, und fuhren ihn auf der Lore heran. Bis Mittag herrschte dicker Nebel. Ich ging mit Leutnant Pape zur Ausweichstellung 22 und fuhr dann mit Leutnant Plaut und Sergeant Jahnke zurück.
Ich nahm ein Wannenbad, machte Einkäufe, bekam aber keine Schnürstiefel. Abends lud Leutnant Schwerdtfeger mich zum Abendessen ein, und nachher spielte ich ihm etwas vor. So konnte ich der Einladung meiner kleinen Freundin nicht folgen, die sagte, ich solle nur um acht kommen, dann sei ihre Tante in der Kirche. Ich ging später hin, aber da war die Tante schon wieder zurück.



 

August 1916

1. August 1916
Gestern war ich mit Hussfeldt in Havrincourt beim Korpsveterinär H., seinem Vater.
Vor 2 Jahren um diese Zeit war ich Hoyerschleuse, sah die ersten Feldgrauen Uniformen und fühlte den großen Weltkrieg herannahen. Abends hallten dann die Glocken über die kleine Stadt und verkündeten, dass eine schwere Leidenszeit über die Welt hereingebrochen sei. Möchte sie doch bald zu Ende sein! – Wie lange soll’s noch dauern! Es sind längst genug gestorben!

2. August 1916
Nun bin ich wieder in der Stellung. Ich ritt voran zwei Wagen und eine Kanone folgten. Um 3 Uhr waren wir abgerückt. Der Brand- und Leichengeruch in Le Sars war entsetzlich. Als wir die Stellung erreichten, lag dichter Nebel über dem Land. Die 3. Batterie ist gestern ausgeräuchert. Hoffentlich geht´s uns nicht ebenso.
Nach Mittag wurden wir 5/4 Stunde lang mit schwerem Kaliber (anscheinend 24ern) beschossen. Zum Glück lagen die Schüsse alle am rechten Ende der Batterie. Es ist keiner verletzt. Also ist unsere Stellung doch erkannt.
Trotz der schweren Beschießung erfüllten wir unsere Schieß-Aufgaben und rissen zwischen 2 Einschlägen 12 Schüsse ab.

3. August 1916
Wenn man in dieser Zeit, ausgefüllt von Gefahren und Entbehrungen das romantische „Leben eines Taugenichts“ lesen würde könnte man verrückt werden.
Was für ein großes Unglück ist doch dieser Krieg!!
Jetzt habe ich etwas sehr trauriges zu berichten:
Hastiges vorbeigehen weckte mich nach Mitternacht aus dem Schlaf. Der tiefe Gang beim 4. Geschütz ist eingefallen. Drei Mann, die friedlich in ihren Kaninchenlöchern lagen, sind von den Erdmassen begraben. In Schweiß gebadet arbeiteten die Kanoniere. Aber nur tot, mit bleichen, verzerrten Gesichtern, gruben sie ihre Kameraden aus. Nachher schossen wir Sperrfeuer.
Wieder arbeitete alles, dazwischen lagen die Toten. Ich hatte vorher geträumt, der Küchenwagen nähme 3 Tote mit. Und so geschah es auch. Wie hatte der Kanonier-Führer sich gesträubt, hinauszukommen! Hatte er eine Vorahnung? Er, Kleiböcker und Schulze waren gute Soldaten.

4. August 1916
Letzte Nacht um 11, um 1 und morgens um 7 schossen wir Sperrfeuer. Der Engländer schießt fast dauernd. Ist es mal einen Augenblick still, so ist das eine wahre Erholung.
Morgens kam Munition unter persönlicher Führung von Oberleutnant von Arnim, der kühle Ruhe bewahrte, das Monockel keck im Auge, während die Fahrer sehr aufgeregt waren. Lüthje, Leutnant Sterns Bursche, der gestern mit der Gig vor Le Sars hielt, ist durch einen Kopfschuss getötet worden.

5. August 1916
Le Sars wird stark beschossen. Eine Scheune brennt lichterloh. Neben dieser steht eine 15 cm Batterie. Jetzt explodiert deren Munition, und die schwarzen Rauchschwaden ziehen langsam über unsere Stellung hin.
Gegen 8 Uhr schießt der Engländer auf unsere Batterie mit Fliegerbeobachtung. Wir gingen solange in die Riegelstellung. Die ganze Nacht schossen wir, denn die Infanterie hatte keine roten Leuchtkugeln mehr, um unser Feuer anzufordern.

6. August 1916
Ich habe meine Zimmer in Neuville gründlich reinigen lassen. Es sah mit dem Stroh zu unordentlich aus.
Gegen Abend gab’s auf dem Biwak Platz Fassbier, dazu improvisierte Musik, die alle Zuhörer gut unterhielt. Ich zog es vor ein gutes Abendessen zu verzehren.

7. August 1916
Ich kopiere Films aus Lièvin. Die Kanonen donnern ohne Unterlass. Vor meinem Fenster rasselt eine Kraftwagen-Kolonne vorbei.
Wie schnell sind die schönen Tage vergangen. Morgen früh reite ich auf Meyers Fuchs an die Front.
Meine Sachen sind alle gepackt.
Vater schickte mir Stachelbeeren.
Gott, ich stelle mich unter deinen Schutz. Verlass mich nicht!

8. August 1916
Jetzt bin ich in unserer neuen Stellung. Sie liegt in einer tiefeingeschnittenen Mulde.
Wir müssen zu ebener Erde schlafen. – In der Nähe der Stellung sind große, tiefe Trichter. – Die Hauptsache ist auch hier wieder: Fliegerabdeckung. Sonst werden wir hier auch nicht lange bleiben.
Allmählich verschwindet der dicke Nebel wieder, der sich gegen morgen über die ganze Landschaft gelagert hatte.
Alles hofft, dass das Korps bald abgelöst wird. Es hat genug gelitten. Aber es ist ja möglich, dass die Artillerie noch länger hier bleiben muss.
Der Engländer pflastert dauernd dicke Brocken in die Nähe unserer Stellung. Wann er wohl endlich einmal die Nutzlosigkeit seiner Offensive einsehen wird?
Ist‘s doch ein Schlachten geworden und keine Schlacht mehr. Es ist drückend heiß. So hat er den Leichengeruch, und nicht wir.

10. August 1916
Die ersten beiden Tage meiner Anwesenheit hier waren klar und sonnig, der dritte trübe und regnerisch. Ein Glück, denn wir konnten uns tatsächlich vor feindlichen Fliegern nicht rühren, die in dichten Schwärmen über uns umherflogen. Ich grub mir, so lang wie ich bin, an dem kleinen Abhang, an dem unsere Batterie steht, ein kleines Loch, und legte drei Schutzschilde darüber. Da schlafe ich – tagsüber. Nachts wird nämlich geschossen und gearbeitet. Angegriffen wird jetzt nur noch nachts.
Tagsüber schicken sich die Artillerien ihre Geschosse hinüber und herüber. In dem ganzen Kampfgelände deuten nur die Granattrichter darauf hin, dass hier Krieg ist. Man sieht sonst nichts.
In der ersten Nacht schossen wir zwei Mal Sperrfeuer, arbeiteten an den Unterständen und stellten das 2. Geschütz tiefer. Unteroffizier Sieboldt holte aus der alten Stellung Munition, blieb 6 Stunden aus, kam aber doch zuletzt glücklich an. – Als es dämmerte, verschleierten wir das Werk unserer Hände, alles erblühte in jungem lieblichem Grün. Das nötige Gras mähten wir mit einer Sense. Sogar der Hauptmann selbst beteiligte sich an dieser wichtigen Arbeit.
Am zweiten Tage schlief ich bis 2 Uhr nachmittags. – Doch nicht genug, denn in der Nacht wurde ich doch wieder müde. Um 7 schossen wir Sperrfeuer. Dabei passten wir immer die Augenblicke ab, wo kein Flieger da war. Dann pfefferten wir ihm welche rüber. – Nachts schossen wir nur 10 Minuten Sperrfeuer. Rechts vor uns bei Pozières war‘s lebhafter. – Wir schießen nach dem Foureaux-Wald. Unsere Miniertätigkeit nachts wurde unterbrochen, weil wir kein Licht mehr hatten. Um halb sechs fingen wir wieder an unsere Stellung zu maskieren. – Ich schlief heute nur bis halb zwölf. Ich will versuchen heute Nachmittag noch etwas zu pennen.

11. August 1916
Nun bin ich wieder „hinten“. Leider ist mir nicht ganz wohl. Mein Magen ist ganz in Unordnung geraten. Doch ins Lazarett will ich nicht.
Lt. Schwerdtfeger wollte mich noch 3 Tage in der Stellung behalten, aber Leutnant Pape war gerecht und ließ mich reiten. Es war sehr nebelig und ganz ruhig. Jetzt erfolgt eine „General-Reinigung“ draußen im schönen Sonnenschein.

12. August 1916
Gestern sprach ich mit dem Arzt Dr. Cohn. Er sagte: „Eigentlich müsste ich Sie wegschicken.“ Ich bat ihn, das nicht zu tun. Er verordnete mir nur Tee zu trinken.  Diese Diät scheint mir gut zu tun. Der Durchfall scheint sich zu geben. In der Nacht tat ich einen erquickenden Schlaf. – Heute Morgen sagte mir Dr. Cohn: „Wenn der Hunger gar zu groß wird, dürfen Sie Reis essen und warme Milch trinken. Nachher war ich in der Küche. Dort bereitete Hinzel einen entzückenden Gulasch. Ich bedauerte sehr, da nicht mitessen zu können. Ich ließ mir darauf etwas Reis geben und eine Dose kondensierte Milch, da frische Milch nicht zu haben war. Jetzt sitze ich hier im Garten an der Fliederhecke, die Schatten spendet. Als meine Krankheit vorüber war, aß ich abends Bratkartoffeln und 2 Spiegeleier. Vorne scheint‘s heiß herzugehen. In den Abendstunden erschallt unaufhörlicher Kanonendonner.

13. August 1916
Dr. Cohn hat entschieden, ich solle erst übermorgen nach vorn. Hauptmann Wiltfried bestimmte darauf, Husfeld solle einen Tag länger vorn bleiben. Ich soll noch immer Diät halten. Zu Mittag aß ich Reis. Ein Rotwein-Grog wird mir gut tun.
Die 5. Batterie hatte diese Nacht einen Toten. Die 4. Batterie hat all ihre Munition verschossen. Es donnerte auch die ganze Nacht. Ich schlief sehr unruhig, wachte verschiedene Male auf.
Mit Genuss lese ich noch immer „Unsere Heimat Nordschleswig“. Wäre ich nur erst wieder da.

15. August 1916
Gestern war ich sehr matt und fühlte mich gar nicht sehr wohl. Auch die schöne Gans, die wir uns braten ließen, hätte mir besser schmecken können.
Heute Morgen um halb drei ging‘s los. Auf dem großen Leiterwagen hatte ich den schlechtesten Platz. Warum bin ich auch nicht geritten?
Ewerwahn, Piper und Kentrat sind tot. – Ein Volltreffer schlug in ihrem Unterstand ein.
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mir dieser Krieg, besonders wie er hier geführt wird, zuwider ist. Nur Menschen hinschlachten, ohne Sinn und Verstand! – Es ist ein Jammer dass das so lange fortgesetzt wird.
Hinter Warlencourt war mitten auf der Landstraße ein großes Granatloch, da lag ein totes Pferd drin. Weiterhin in der Schlucht lag eine Pferdeleiche, die ganz entsetzlich stank. Unten auf dem Weg vor unserer Batterie schossen sie einen unserer Scharfschützen tot. Er lag bedeckt auf einer Bahre am Abhang – Brustschuss.
Es hat etwas geregnet. Trotzdem ist es nicht ruhig geworden, sondern es wird immer weiter geschossen. Und die Zeit schleicht so langsam.
2 Tage und 3 Nächte liegen noch vor mir. Wenn sie doch bloß erst glücklich vorüber wären!
Von der Ablösung unseres Regiments hört man nichts. Die Infanterie ist schon längst fort.

16. August 1916
Ich war wieder die ganze Nacht auf den Beinen. Dreimal schossen wir Sperrfeuer. Es regnete. Morgens kam die Kolonne mit drei Munitions-Wagen, die beim 8. Zug abgeladen wurden. Kaum waren sie weg, zeigte sich auch schon der erste feindliche Flieger. Wo sind unsere Flieger? Im 2. Geschützstand trank ich Kaffee. Dann legte ich mich schlafen bis halb vier. – Jetzt ist die Hälfte meiner vierten Stellungs-Periode vorüber. Unteroffizier Liebholdt hat einen typischen „Heimatschuss“ –
Schrapnellschuss im Arm!

17. August 1916
Die Nacht war sehr unruhig. Es kamen drei Wagen mit Minierhölzern. Ein Pferd war bei Bapaume totgeschossen. Um 2 Uhr nachts kam erst der Küchenwagen. Wir schossen bis zum Morgen noch oft Sperrfeuer. Um viertel nach sechs hatte das 3. Geschütz einen Rohrkrepierer. Dabei bekamen Thiessen und Proll Brandschäden. Um sieben Uhr mussten wir noch mal Sperrfeuer schiessen, obgleich viele feindliche Flieger über uns waren. Wir bekamen dann auch bald die Quittung: Eine feindliche Batterie schoss sich auf uns ein. 4 Schuss gingen vor die Batterie, 2 Schuss dahinter und 2 unmittelbar auf die Böschung rechts vom 1. Geschütz. Nachher lösten sich Hauptmann Waltfried und Leutnant Schwerdtfeger ab.
Bei mir hat sich die Magenbeschwerde wieder eingestellt, nun muss ich ja während meiner Ruhe wieder den Patienten spielen.

18. August 1916
Wie bin ich glücklich, wohlbehalten wieder hinten zu sein! Und die Sonne scheint wieder so freundlich!
Die letzte Nacht war sehr ungemütlich, kalt und regnerisch. Gegen Abend hatte auch das 1. Geschütz einen Rohrzerspringer. Somit hatten wir nur noch ein feuerbereites Geschütz. Im Laufe der Nacht kam das 4. wieder, instand gesetzt, zurück in den Geschützstand des 1. Geschützes. Von der 8. Batterie kam ein Geschütz, an einen Kastenwagen angehängt, in den Stand des 4. Geschützes. Das beschädigte 3. blieb vorerst stehen. Zweimal kamen tausend Schuss Langgranaten, die leider zum größten Teil nicht bis an die Geschütze gefahren werden konnten, weil die Böschung zu steil war und die Pferde versagten. Eine schwere Arbeit war für die Kanoniere das Hinauftragen der schweren Geschosskörbe!
Um viertel nach sechs kam die Ablösung. Die Wagen und mein Pferd fanden wir in Warlencourt. Im Schritte erledigten wir die 20 km nach Neuville. Die gründliche Waschung war das erste. Glienicke hatte recht, als er sagte: „Das schöne Gefühl, von vorne einige Tage in Ruhe zu kommen, kennt kein Etappenschwein.“
Grüße aus der Heimat fand ich reichlich vor. Sie weckten stets eine Sehnsucht in mir. Als Suppe gab es Haferflocken, ein schönes Gericht für Magenkranke. – Nach Tisch machte ich eine Aufnahme von der Haubitze nebenan, die durch einen Rohrzerspringer total demoliert ist. –Ich sitze auf der Diele der Schusterbude, um mich summen Fliegen, draußen scheint die Sonne, so ist alles gut, und ich bin in der rechten Stimmung, nach Hause zu schreiben. Sie sollen auch wissen, dass es mir gut geht, und dass ich in fröhlicher Stimmung bin.

19. August 1916
Ich soll schon übermorgen wieder raus, obgleich der aktive Vize-Wachtmeister schon 6 Tage in Ruhe ist. Die Offiziere bleiben natürlich immer 6 Tage hinten. Es ist Zeit, dass der Krieg ein Ende nimmt. Er wird immer unerträglicher.

20. August 1916
Beim Konzert vor der Mairie ging ich zu den anderen Vizes, Kleppe und Genossen. Sie gefallen mir alle nicht. Besonders Kleppe dünkt sich hoch über mich erhaben.
Ich habe heftigen, schmerzenden Husten, der wird an der Front sicher nicht besser werden. Aber wenn Hauptmann W. bestimmt, muss ich raus. – Gestern Abend erhielt ich eine Karte aus einer lustigen Husumer Gesellschaft Dammstrasse 17. Wann können auch wir endlich wieder Feste feiern?
Also morgen früh gehe ich wieder hinaus. Es war immer noch nicht das letzte Mal. Ein Genuss war mir jeden Nachmittag das Konzert unter den Linden bei der Kirche, die als Lazarett eingerichtet ist. – Jetzt wird‘s vorn wieder lebhafter. Sie wollen uns gut Empfangen.
Lieber Gott, gib‘ mir Kraft, meine Pflicht zu erfüllen und lass‘ mich, wenn es Dein Wille ist, gesund zurückkehren!

21. August 1916
Der erste Tag hier draußen neigt sich seinem Ende zu. Ich liege auf Stroh im 3. Geschützstand. Als wir heute Morgen zur Front fuhren, war es sehr ruhig. Es fiel kaum ein Schuss. Nur das Aufblitzen des Mündungsfeuers sah ich manchmal.
In der Batterie sind Leutnant Stern und Vizewachtmeister Hussfeldt. Am Tage haben wir nicht geschossen. Das wäre auch unser Verderben: Die feindlichen Flieger sind sehr tätig. Die 2. Batterie haben sie gestern wieder ausgeräuchert. Vor unserer Batterie sieht man viele große Geschosslöcher.

22. August 1916
In der vergangenen Nacht hatte ich die letzte Wache von drei Uhr 30 bis sechs Uhr morgens. Nachmittags fingen wir wieder an zu „kleckern“. Das dritte Geschütz schoss von drei bis fünf, dann kam das erste Geschütz an die Reihe. Um viertel vor sechs wurde die Batterie mit 24ern bis viertel nach sieben beschossen. Wir gingen alle nach rechts heraus und lagerten uns an dem Abhang. Ganz in die Nähe aufs Feld ging ein Schuss, und die Lehmklumpen prasselten auf uns nieder. Mir fiel ein schwerer Erdkloss in die Hüfte, was mir im Augenblick große Schmerzen verursachte, die sich indessen bald gaben. Wir gingen dann noch weiter fort. Leutnant Stern will die Batterie nun unter die Weiden in die Schlucht stellen. Doch ist da viel Feuer hingekommen, als Unteroffizier Langmeier dort heute Nacht mit dem Armierungssoldaten und einigen Kanonieren arbeitete.
Heute Nacht hab ich die zweite Wache. Ich sitze in dem Telefonbunker und habe Keks von Tante Dora gegessen.

25. August 1916
Als ich aufwachte, meinte ich es wäre 8 Uhr, doch es war schon 11 Uhr. So hab ich geschlafen –13 Stunden.
Ich bin einsam. Jeder geht seinen Weg. Jeder ist ein Mensch für sich, einsam, grundeinsam. Jeder hat sein Leben, seinen Kummer, sein Leid, seine Schmerzen. Wir sind so entsetzlich allein.

26. August 1916
Gestern Abend trommelte es vorne wie lange nicht so heftig. Die 6. Batterie erhielt Befehl, sofort 4 Geschütze in Stellung zu bringen. Allzu lange waren wir wohl nur mit zweien kampfbereit.

27. August 1916
Ich bekomme den Auftrag, die 2 Geschütze aus der Schlucht nach der neuen Stellung, in der Nähe der Ferme Eaucourt l‘Abbaye zu führen. In Villers au Elos schlug mit Donnergetöse eine Granate ein, als wir hindurchfuhren. Um 3 Uhr 30 meldete ich mich bei Leutnant Schwerdtfeger in der neuen Stellung. In der Schlucht war‘s stockfinster. – Auf dem weiteren Marsch fielen wir ein paar Mal in große Granattrichter. Warlencourt ist jetzt von dem selben Leichengeruch erfüllt wie Le Sars. Bei der Kirche Ligny bogen wir in einen Feldweg ein, dessen Seiten zuletzt stark abfielen. Da lag, kurz vor der Landstrasse, ein grosser Kastenwagen auf dem Weg. Erst als der beiseite geschafft war, konnten wir hindurch.
In der neuen Stellung war ein grosses Schlamassel. Keiner wusste, wer abgelöst, wer bleiben sollte. Es fehlten klare Befehle. Der Hauptmann schlief bei der 4. Batterie. Endlich fuhren die Protzen und Wagen ab. Glienicke und ich ritten hinterdrein. Ich bin gern mit Gl. zusammen. Er hat ein gutes Herz und ihn verlangt danach, sich mit einem Kameraden auszusprechen.
Vorn wird wieder leidenschaftlich getrommelt. Mich soll wundern, wie lange unsere Gegner das noch aushalten!

28. August 1916
Zu Mittag machte ich Beefsteak und Pellkartoffeln, hinterher gab‘s einen feinen Pudding mit eingemachten Erdbeeren. Das Essen ist ja auch fast das einzige Vergnügen, das man sich in dieser traurigen Gegend leisten kann.

29. August 1916
Eben höre ich, das Rumänien uns den Krieg erklärt hat. Nun wollen sie uns alle an den Kragen. Von allen Seiten bedrängen sie uns, und der Friede rückt in immer weitere Ferne. Wie wird das Ende sein?
Um viertel vor fünf uhr ich mit Leutnant Stern mit der Gig nach vorn. Meine Uhr ging falsch, und ich kam leider etwas zu spät. Die Stellung zwischen der Ferme „Eaucourt l‘Abbaye“ und „Gueudecourt“  ist gut maskiert, aus der Ferne gar nicht zu entdecken. Rechts zieht sich ein Infanteriegraben vorbei. In dem sitze ich jetzt, weil ich Dienst habe. Nachts will ich in dem Granatloch schlafen, das ich mit Dachpappe überdeckt habe. Der Fourcaux-Wald ist gut zu sehen, da die Stellung hoch liegt. Unsere Gräben vorne liegen unter ständiges Artilleriefeuer, das man beobachten kann. – Hoffentlich wird‘s bald wieder trocken. Die Nässe hier gefällt mir nicht. Ein englischer Flieger kreist über uns. Keiner der unseren ist zu sehen.
Die Mannschaften können nicht mehr alle 3 Tage abgelöst werden. Einige sind schon fünf, sechs Tage hier. Im Telefonunterstand will ich nicht sitzen. Da sind Läuse.

31. August 1916
Am ersten Tage regnete es. In der Nacht regnete es, und am zweiten Tage regnete es auch. Alles war ein Dreck und Matsch. Kein trockener Platz war zu finden. Ich war die ganze Zeit über nass bis an die Haut. Vizewachtmeister Glienicke und ich teilten uns in den Dienst. Leutnant Stern war drüben bei der 4. Batterie.
Am Mittag des 2. Tages fing ich wieder an zu laufen. Gegen Abend brach ich vollständig zusammen. Bald fror ich, bald schwitzte ich. Meine Temperatur stieg auf 38,6. Ich musste mich krank melden. Leutnant Stern holte mich zu sich hinüber und gab mir einen Kognak. Um halb 9 fuhr ich mit dem Wagen der 4. Batterie nach hinten. Ich konnte mich kaum noch aufrecht erhalten. Dr. Cohn schickte mich gleich ins Bett. In der Nacht musste ich mehrmals auf, und morgens alle 10 Minuten in den Garten. Ich ging zum Revier. Das Fieber hat nachgelassen. Ich darf nur Tee trinken und Reis essen. Die beiden strapazenreichsten Tage waren zu viel für meine Natur.
Sie kriegten mich unter.

Foto: DN
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