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„Jüdischer Präsident und muslimischer Verteidigungsminister: Moskau spricht weiter von Nazi-Regierung in Kyjiw“

Moskau spricht weiter von Nazi-Regierung in Kyjiw

Moskau spricht weiter von Nazi-Regierung in Kyjiw

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Dänemark
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Wolodymyr Selenskyj (l.) und Rustem Umerov sind die Gesichter auf ukrainischer Seite im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg. Foto: Ritzau/Scanpix

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Nicht nur Rustem Umerov ist als neuer Verteidigungsminister der Ukraine in das Zentrum des Krieges gerückt, sondern auch seine Heimat, die Krim. In seiner Kolumne blickt Jan Diedrichsen genauer auf Umerovs Vergangenheit und die Lage auf der Halbinsel.

Immer wieder behaupten der Kreml und dessen Claqueure, die russische „militärische Spezialoperation“ (laut Putin gibt es keinen Krieg) richte sich gegen „Neonazis“, die in der Ukraine die Macht übernommen hätten. Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, ist zwar Jude und hat soeben einen muslimischen Verteidigungsminister, den Krimtataren Rustem Umerov, ernannt, doch das stört die russische Propaganda nicht.

Beteiligung an Rückführung hochrangiger Gefangener

Einige werden sich an den neuen Verteidigungsminister erinnern. Er vertrat die Ukraine bei den Gesprächen zu Beginn der Moskauer Invasion Anfang 2022. Er war maßgeblich an der Rückführung hochrangiger Gefangener beteiligt und verhandelte über die Ausfuhr ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer.

Er ist ein führendes Mitglied der Gemeinschaft der Krimtataren und wurde vor 42 Jahren in Samarkand im sowjetischen Usbekistan geboren, wohin seine Familie zusammen mit rund 200.000 Tataren während der stalinistischen Herrschaft vertrieben wurde. Als Kind siedelte er im Zuge der Repatriierung mit seiner Familie zurück auf die Krim.

„Die Deportation der Krimtataren ist eines der größten Verbrechen des Sowjetregimes", schrieb er in einem Beitrag im Jahr 2021. „Sie wurde von den damaligen Tyrannen in die Wege geleitet, um ein ganzes Volk auszurotten.“

Umerov beriet Führer der Krimtataren

In demselben Artikel verurteilte er die Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel durch Russland im Jahr 2014. Schon damals hatten zahlreiche Osteuropa-Expertinnen, Menschenrechtler und nicht zuletzt die Krimtataren selbst eindringlich davor gewarnt, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim stillschweigend zu akzeptieren. Die Appeasement-Strategie, der Versuch, Russland durch Zugeständnis zur Kooperation zu bewegen, ist bekanntlich krachend gescheitert.

Viele Jahre lang beriet Rustem Umerov den legendären Führer der Krimtataren, Mustafa Dzhemilev. Der neu ernannte Verteidigungsminister war Vorsitzender der Krim-Plattform, einer internationalen diplomatischen Initiative, die sich auf Verhandlungen mit Russland nach dessen Besetzung der Halbinsel im Jahr 2014 konzentriert.

Militäranalysten: Ukrainer nehmen Krim ins Visier

Nicht nur Rustem Umerov ist als neuer Verteidigungsminister in das Zentrum des Krieges gerückt – auch seine Heimat, die Krim: Während die internationale Aufmerksamkeit auf den langsamen Fortschritt der ukrainischen Gegenoffensive durch die Schützengräben und Minenfelder von Saporischschja und Bakhmut gerichtet ist, erklären Militäranalysten, dass ein wichtiger Teil der ukrainischen Strategie darin besteht, die Krim ins Visier zu nehmen.

Marschflugkörper haben zuletzt die Sewmorsawod-Werft, in der die russische Schwarzmeerflotte untergebracht ist, teilweise zerstört. Filmaufnahmen zeigten einen erleuchteten Himmel über Sewastopol, hervorgerufen durch ein brennendes Landungsschiff und ein U-Boot der russischen Kriegsmarine. Das sind nicht nur für die mediale Kriegsführung wichtige Nachrichten und Bilder für die Ukraine, sondern sie sind nach Angaben von Experten auch militärisch von Bedeutung.

Kurz darauf wurde in Jewpatorija, im Westen der russisch besetzten Halbinsel, ein weiterer Feuerball sichtbar. Diesmal soll eine der hochmodernen russischen S-400-Luftabwehrbatterien vernichtet worden sein. Dies sind alles Ziele, die 200 Kilometer hinter dem aktuellen Frontverlauf in von Russland besetztem ukrainischen Territorium liegen.

Krim als Logistikknotenpunkt

Die seit 2014 besetzte Halbinsel bleibt für Kyjiw ein wichtiges Ziel, nicht nur wegen ihrer symbolischen Bedeutung. Dort zentriert Russland seine Nachschublinien. Die Krim dient als wichtiger Logistikknotenpunkt für die russischen Invasionstruppen, die aktuell versuchen, den Vorstoß der ukrainischen Armee aufzuhalten.

Derweil sind politische Aktivitäten der Krimtataren aktuell nur aus der Diaspora möglich. Das Parlament der Krimtataren – Medschlis – ist Mitglied der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten. Viele Krimtataren sind nach Kyjiw oder in andere Teile der Ukraine geflohen und das bereits 2014, als der Krieg Russlands gegen die Ukraine mit der Besetzung der Krim begann.

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