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Deutsche Minderheit: Wie umgehen mit der AfD?

Deutsche Minderheit: Wie umgehen mit der AfD?

Deutsche Minderheit: Wie umgehen mit der AfD?

Apenrade/Aabenraa
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Deutschland
In Deutschland erstarkt die AfD. Derzeit rollt eine Protestwelle gegen Rechtsextremismus durch das Land. Foto: Francesco Luca Labianca/Unsplash

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Der eine sieht durch ein Erstarken der Alternative für Deutschland die autochtonen Minderheiten in Gefahr, die anderen wollen mit der AfD reden – schließlich sei sie eine demokratisch gewählte Partei. In der deutschen Minderheit scheiden sich die Geister über den Umgang mit der rechtspopulistischen Partei aus dem Nachbarland.

„Eine Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingeschätzt wird, kann und darf kein Gesprächspartner sein“, sagt der frühere Sekretariatsleiter der deutschen Minderheit in Kopenhagen, Jan Diedrichsen, dem „Nordschleswiger“. Es gelte, dass die AfD nicht durch politische Gespräche aufgewertet werden sollte, „solange sie sich nicht auf die Linie des Rechtsstaates begibt“. 

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen (Archivfoto) lehnt eine Zusammenarbeit mit der AfD klar ab. Foto: Karin Riggelsen

Doch während Diedrichsen vor der AfD warnt, scheiden sich die Geister in der Minderheit, wie mit der Alternative für Deutschland umzugehen ist, die in Umfragen immer weiter zulegt. Zuletzt sorgten Zahlen auch über die deutschen Landesgrenzen hinweg für Aufsehen, wonach die AfD in Sachsen rund 37 Prozent der Stimmen bekommen könnte. In dem Bundesland stehen im Herbst Landtagswahlen an. Auch in Thüringen und Brandenburg wird ein neues Landesparlament gewählt.

Die in drei Bundesländern vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestufte Partei dürfte dort aller Voraussicht nach mehr politische Macht bekommen. Im Herbst 2025 ist dann Bundestagswahl – Ausgang ungewiss. Doch wie wollen die Verantwortlichen mit der AfD umgehen?

Deutscher Tag
Harro Hallmann (Archivfoto) leitet das Sekretariat der deutschen Minderheit in Kopenhagen und ist Kommunikationschef des BDN. Foto: Karin Riggelsen

Minderheit will mit allen Parteien reden

„Wir sprechen mit allen demokratisch gewählten Vertreterinnen und Vertretern einer Partei“, sagt Harro Hallmann auf Nachfrage des „Nordschleswigers“. Der Leiter des Sekretariats der deutschen Minderheit in Kopenhagen sieht es nicht als Aufgabe der Minderheit an „zu sortieren“. „Sollten Gerichte eine zu extreme Haltung der Partei feststellen und sie als nicht demokratisch einstufen, dann nehmen wir das zur Kenntnis und ziehen unsere Schlüsse daraus“, so Hallmann. Als Minderheit habe man aber bisher keine schlechten Erfahrungen mit der AfD gemacht.

Ähnlich formuliert es der Hauptvorsitzende des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN), Hinrich Jürgensen: „Alle demokratisch gewählten Parteien sitzen in unserem deutschen ‚Gremium für Fragen der deutschen Minderheit in Nordschleswig‘. Das ist so verankert. Also reden wir auch mit allen demokratisch gewählten Parteien. Das betrifft sowohl die deutsche als auch die dänische Seite.“

Weil die AfD seit der Landtagswahl 2022 nicht mehr im schleswig-holsteinischen Landtag vertreten ist, gehört lediglich der schleswig-holsteinische AfD-Bundestagsabgeordnete Gereon Bollmann zu dem Gremium auf Ebene des Bundeslandes.

AfD nicht mit rechten Parteien in Dänemark vergleichbar

Jan Diedrichsen warnt jedoch vor Vergleichen. „Der gerne von dänischen Politikern und Medienvertreterinnen angebrachte Ratschlag, man müsse es nur wie in Dänemark machen, die Rechten einbinden und sie würden sich schon von ganz allein entzaubern, ist falsch und politisch brandgefährlich“, sagt Diedrichsen, der auch Leiter der Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages bei der Europäischen Union in Brüssel ist.

Die AfD sei in ihren Grundfesten antidemokratisch und somit im Kern anders als zum Beispiel die Dänische Volkspartei (Dansk Folkeparti) in Dänemark. „Die AfD-Funktionäre wollen das politische System stürzen und die Demokratie in Deutschland abschaffen. Das hat eine andere Qualität als die Forderungen der Dänischen Volkspartei, die eine Auflösung des ‚Folkestyret' meines Wissens niemals gefordert hat.“

Dennoch sei die AfD für die deutsche Minderheit politisch kein größeres Problem – weder aktuell oder mittelfristig. „Wir spielen, falls sie uns überhaupt kennen, eher eine Exotenrolle.“ 

Martin Klatt Foto: ECMI

Martin Klatt, Professor am europäischen Zentrum für Minderheiten-Fragen (ECMI) glaubt wie Diedrichsen nicht, dass die deutsche Minderheit in Dänemark ein Kernthema der AfD werden wird oder sich vereinnahmen lässt. Mit einer absoluten Mehrheit der AfD rechnet Klatt nicht. Selbst dann würden die deutsche Minderheit und ihre Finanzierung wohl nicht an erster Stelle der Agenda stehen.

Autochthone Minderheiten in höchstem Maße gefährdet

Etwas anders sehe es für die großen deutschen Minderheiten in Polen oder den ehemaligen GUS-Staaten aus, so Diedrichsen. Dabei geht es auch um die politische Vereinnahmung von Rechts. „Die Gefahr besteht eher für die Minderheiten in Deutschland und in der generellen Vereinnahmung für ,Propagandazwecke'. Autochthone Minderheiten sind vom Erstarken der rechten Parteien und Bewegungen in höchstem Maße gefährdet“, sagt Diedrichsen. Sie würden gerne vor einen nationalistischen Karren gespannt oder dienten häufig als Projektionsfläche, um nationalistische Ressentiments zu schüren.

„Wir kennen das von DF und Rechten in Dänemark. Sie unterstreichen gerne, dass Sie nichts gegen die deutsche Minderheit haben. Wir als ,nationale Minderheit' seien schon ganz okay. Was unterschwellig dabei mitschwingt, ist: Es gibt ,gute Minderheiten', und es gibt ,schlechte Minderheiten' – Migrationsminderheiten. Das Spiel sollte man tunlichst nicht mitspielen“, so Diedrichsen.

AfD will deutsche Minderheiten stärker fördern

Dass der AfD die Minderheiten nicht egal sind, zeigt sich sowohl im Bundestagswahlprogramm der AfD als auch auf der Webseite der Bundestagsfraktion der Partei. So existiert eine „Arbeitsgemeinschaft Heimatvertriebene“. Dort heißt es: „Wir Abgeordnete der AfD-Bundestagsfraktion haben uns zusammengeschlossen, um gemeinsam den deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedlern und deutschen Minderheiten im Ausland eine würdige Vertretung im Deutschen Bundestag zu sein. Wir verstehen uns als Ansprechpartner für diese so wichtigen Gruppen unseres Volkes.“ Die Partei sieht sich als kulturelles Bindeglied zwischen Heimatvertriebenen, deutschen Minderheiten, osteuropäischen Staaten und der Bundesrepublik.

Im Bundestagswahlprogramm für 2021 heißt es unter anderem: „Der Schutz und Ausbau der Sprachkenntnisse in Gebieten mit deutschen Minderheiten erfordern besondere Beachtung und Förderung. Die AfD bekennt sich ausdrücklich zur Fürsorgepflicht Deutschlands gegenüber deutschen Minderheiten und wird deren Interessen im Rahmen ihrer Politik nachdrücklich unterstützen.“ Zudem will die Partei deutsche Kultur und Sprache im Ausland in deutlich stärkerem Maße als bisher fördern.

Eine Anfrage an die Bundespressestelle der AfD vom 8. Januar zum Stellenwert der Minderheiten im In- und Ausland blieb bis zum Erscheinen des Artikels unbeantwortet. 

Sorben erleben Anfeindungen

Ressentiments beobachtet Jan Diedrichsen derzeit bei den Sorben. „Das Zusammenleben zwischen Deutschen und Sorben in der Lausitz funktioniert im Großen und Ganzen gut und ist von Respekt geprägt“, so der 48-Jährige. Es gebe jedoch ein Aber: „Immer wieder werden Beispiele für Rassismus und minderheitenfeindliche Aktionen gegen die slawische Volksgruppe publik.“ Noch 2020 berichtete die sächsische Polizei, dass in den drei Vorjahren 30 Straftaten, unter anderem wegen Körperverletzung, Beleidigung oder Sachbeschädigung, angezeigt wurden. 

Der Dachverband der Lausitzer Sorben, die Domowina, habe in der Vergangenheit sichtbare Zeichen gegen rechten Populismus gesetzt, sagt Diedrichsen. „Wichtig ist, dass sich auch die etablierten oder ,anerkannten' Minderheiten solidarisch zeigen und andere Minderheiten unterstützen.“ 

Gösta Toft Foto: FUEN/László Mihály

Kompromisse ja, geplante Zusammenarbeit nein

Der Vize-Präsident der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN), Gösta Toft, sagte am Rande der Neujahrstagung der deutschen Minderheit im Akademiezentrum Sankelmark: „Eine Zusammenarbeit mit der AfD streben wir in der FUEN nicht an.” Auch wenn man die Partei nicht unterstützen will, müsse man aber miteinander reden können.

Die AfD habe etwa den Entschließungsantrag für die Minority Safepack Initiative im Bundestag mitgetragen, allerdings mit sehr nationalistischen Argumenten, so Toft. Beatrix von Storch sagte am 27. November 2020 während der Bundestagssitzung zu dem Antrag unter anderem: „Beides, die kulturelle Identität nationaler Minderheiten und die kulturelle Identität nationaler Mehrheit, ist wertvoll. Beides muss bewahrt, beides muss geschützt werden.“ Und weiter: „Wir wollen ein Europa kultureller Vielfalt, kein sozialistisches Einheitseuropa und ganz gewiss keine ,One World'“.

„Wir brauchen aber eine Identität, geprägt von Toleranz und einem offenen Verständnis von Nationalität”, sagt hingegen Gösta Toft. Menschen mit anderen Kulturen leisteten einen wertvollen Beitrag in unserer Gesellschaft. „Es ist daher schwer, mit der AfD einen gemeinsamen Nenner zu finden.“

„In Dänemark gibt es viel Alltagsrassismus, den ich ablehne. Die AfD unterstützt darüber hinaus jedoch einen Aktionsrassismus, der sehr gefährlich ist”, sagt Toft. Das Motto muss lauten: „Wehret den Anfängen!”

Fortbestand der Demokratie in Gefahr?

Kritische Stimmen

  • Viele Stimmen in Deutschland warnen vor einem Durchmarsch der AfD. Da ist etwa der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Dem „Tagesspiegel“ sagte er, die politischen Köpfe der Partei zielten auf eine grundsätzliche Systemveränderung. Voßkuhle hält unter den aktuellen Vorzeichen den Fortbestand der Demokratie in Deutschland für nicht gesichert.
  • Der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, warnte vor Weihnachten in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vor der Alternative für Deutschland. „Eine politische Bewegung, die die Wende rückwärts zu Nationalismus beschwört, ist schädlich für dieses Land: für die Wirtschaft und für Ansehen und Erfolg Deutschlands im globalen Kontext.“ Deutschland lebe seiner Meinung nach von Weltoffenheit und internationalem Handel. Die AfD sei schlecht für das Land, da sie ein Klima von Hass, Polarisierung und Ausgrenzung befeuere. 
  • Der Politikberater Johannes Hilje sagte in der „taz“: „Es ist auch ein manifestes Demokratieproblem, wenn Menschen sich aus Unzufriedenheit mit den anderen Parteien für eine in ziemlich weiten Teilen rechtsextreme Anti-System-Partei entscheiden.“

Vertreibungspläne aufgedeckt

  • Im Januar wurden Recherchen der Plattform Correctiv veröffentlicht, wonach hochrangige AfD-Politikerinnen und -Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer im November in einem Hotel bei Potsdam über Pläne sprachen, Millionen von Menschen aus Deutschland zu vertreiben. Parteichefin Alice Weidel feuerte in der vergangenen Woche ihren Referenten Roland Hartwig, der an dem Treffen teilgenommen hatte. Weidel selbst sprach bezüglich der Correctiv-Recherche von „DDR-Methoden“ und einem der „größten Medienskandale“ der Bundesrepublik.
  • In der vergangenen Woche wurde außerdem bekannt, dass AfD-Mitglieder nach einem Parteitag in Bayern in einer Disco fremdenfeindliche Parolen gegrölt haben sollen. Wie mehrere Medien übereinstimmend berichten, sollen etwa 30 Personen „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ skandiert haben. Jetzt ermittelt der Staatsschutz. Der Landesvorsitzende der AfD in Bayern, Stephan Protschka, sagte im Interview mit „BR24“: „Ich finde, so etwas unsäglich, sowas ist unmöglich.“ Er sehe aber keinen Zusammenhang zur AfD. Er habe mit der Polizei telefoniert. Es liege noch kein Beweis vor, dass ein AfD-Mitglied dabei gewesen wäre. „Wenn es so ist, wird es intern geklärt und wird harte Konsequenzen mit sich ziehen.“

Verfassungsfeindliche Ziele

  • Eine Gefahr, die zuletzt auch der sächsische Verfassungsschutz bestätigt hat, in dem er den Landesverband der Partei im Dezember als „gesichert rechtsextremistisch“ einstufte. Der Einschätzung ging eine mehrjährige juristische Prüfung voraus. Diese habe „unzweifelhaft“ ergeben, dass die Partei in Sachsen „verfassungsfeindliche Ziele“ verfolge. Nach Thüringen und Sachsen-Anhalt ist es der dritte Landesverband mit einer solchen Einstufung.
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