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Spannende Einblicke in die Geschichte des Tonderner Grand Hotels

Spannende Einblicke in die Geschichte des Tonderner Grand Hotels

Spannende Einblicke in die Geschichte des Grand Hotels

Tondern/Tønder
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Hauke Grella (stehend) musste bei seinem Vortrag im Grand Hotel zwar ohne Bilder auskommen, aber an den Wänden hatte das Wirtspaar ein paar Fotos aufgehängt, die die wechselvolle Geschichte des Hauses belegen. Foto: Anke Haagensen

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Hauke Grella vom Deutschen Museum Nordschleswig konzentrierte sich in seinem Vortrag über die Geschichte des Grand Hotels auf die Periode von 1928 bis 1938. Es waren äußerst spannende Jahre, wie sich zeigte.

Das Grand Hotel in der Tonderner Richtsensgade hat eine wechselvolle Geschichte aufzuweisen. Das Gebäude mit der Hausnummer 27 wurde 1867 als Bahnhofshotel gebaut, hat aber in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten mehrfach Namen und Verwendungszweck gewechselt.

Ein besonders spannendes Stück der Geschichte hatte sich der Leiter des Deutschen Museums Nordschleswig in Sonderburg (Sønderborg), Hauke Grella, am Sonntagabend für einen Vortragsabend des deutschen Teils der Tonderner Kirchengemeinde herausgepickt.

Gemeinderatsmitglied Dirk Andresen (l.) begrüßte die knapp 30 Teilnehmenden zu einem besonderen Gemeindeabend zu einem besonderen Thema an einem besonderen Ort. Museumsleiter Hauke Grella hatte für seinen Vortrag fleißig die Archive studiert. Foto: Anke Haagensen

Kernsanierung und Restaurantbetrieb

Die jüngeren Generationen kennen das Gebäude primär als kommunales Freizeitheim und Jugendtreff „Ungdomsborgen“. Im Herbst 2021 hatte die Kommune Tondern das Anwesen zum Verkauf angeboten. Nach monatelangem Leerstand „erbarmten“ sich die Eheleute Anita und Brian Telling des ziemlich verfallenen Gebäudes. Seit 1. August 2022 sind sie offizielle Besitzer des Grand Hotel. Sie führen das Haus als Café und Restaurant, während sie gewissermaßen „nebenbei“ eine Kernsanierung in Eigenarbeit bewerkstelligen.

Hauke Grella konzentrierte sich in seinen Ausführungen mit der Hotelgeschichte auf die Periode von 1928 bis 1938. Damals wurde das Grand Hotel zum Deutschen Haus. Für seine Recherchen nutzte er primär das Archiv der „Neuen Tondernschen Zeitung“ und der „Nordschleswigschen Zeitung“.

Dass der Jugendtreff an der Richtsensgade seinerzeit den Namen „Ungdomsborgen“ erhielt, ist durch seine Bauweise leicht nachzuvollziehen. Foto: Kommune Tondern

Die Volksabstimmung 1920

Bei der Volksabstimmung 1920 gab es in der Wiedaustadt eine große deutsche Mehrheit. Mehr als drei Viertel der Stimmberechtigten des Kirchspiels Tondern hatten für eine Zugehörigkeit für Deutschland gestimmt. Da Tondern jedoch zur Abstimmungszone I zählte und hier en bloc abgestimmt wurde, wurde die Stadt Teil des Königreichs Dänemark.

Nach der Abstimmung hatten die in Tondern ansässigen deutsch Gesinnten keine Versammlungsstätten mehr, zumal die kommunalen deutschen Schulen (Bürgerschule und Alexandrinenschule) nicht als solche genutzt werden durften. „Auf die Dauer war es zudem zu teuer, die Treffen und Versammlungen in den Gastwirtschaften durchzuführen“, erläuterte Grella die Gründe der deutschen Gemeinschaft, eine eigene Versammlungsstätte haben zu wollen.

Feierliche Einweihung

1927 wurde daher das Bahnhofshotel gekauft. Die Lage war ideal – lag das Haus doch genau zwischen Bürgerschule (heute: dänische Bibliothek) und Alexandrinenschule (heute: Polizei- und Gerichtsgebäude).

Am 12. Februar 1928 fand die feierliche Einweihung statt. Grella wies darauf hin, dass dieser Termin „exakt acht Jahre und zwei Tage nach der Volksabstimmung“ stattfand. Vor diesem Hintergrund ist dann auch die Tatsache zu erklären, dass sich der damalige Festredner Max Rasch in seiner Ansprache vehement für eine Revision der Grenzlinie einsetzte.

Der Tonderner Singverein wurde bereits 1842 gegründet. Zum 15-jährigen Bestehen wurde diese Münze herausgegeben. Gesungen wurden vor allem Kampflieder. Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Max Rasch war Parteisekretär des Schleswigschen Wählervereins, eine Art Vorläufer der Schleswigschen Partei. Aus dem Zeitungsarchiv hatte Hauke Grella unter anderem herausgefunden, dass als Gastredner Senator Harbeck aus Altona bei Hamburg und Bankdirektor Erichsen aus Kiel ans Rednerpult gingen. Letzterer war Vertreter des Vereins nordschleswigstämmiger Deutscher, die den Erwerb der Versammlungsstätte finanziell unterstützt hatten.

Johannes Schmidt-Wodder, zur damaligen Zeit die führende Person der deutschen Minderheit, konnte persönlich nicht an der Festveranstaltung teilnehmen, weil er zu der Zeit in Greifswald aufhielt. Er hatte jedoch ein Telegramm geschickt.

Im Anschluss an den offiziellen Teil der Einweihung wurde im damaligen Schützenhof von Tondern (am unteren Ende der Vestergade unweit des Postamtes gelegen) ein großes Fest mit Musik und Tanz gefeiert, berichtete Hauke Grella.

Bücherei, Redaktion und Jugendherberge

Das Deutsche Haus war nicht nur das Versammlungshaus, sondern beheimatete auch die deutsche Bücherei. Dort fanden zudem die Probeabende des Singkreises und die Treffen der Wandervögel statt. Im Jahr 1929 wurde in dem Gebäude zudem die Redaktion der „Nordschleswigschen Zeitung“ eingerichtet. Und in den 1930er-Jahren diente das Gebäude auch als Jugendherberge für Reisende und Gruppen aus Deutschland. Grella hatte eine Statistik gefunden, die 1.000 Übernachtungen im Jahr 1932 aufwies.

Der erste Büchereileiter war Reinhold Hesse, der aus Brandenburg stammte. Er war neben seiner Tätigkeit auch Geschäftsführer des damaligen Jugendverbandes. Zu seinem Aufgabenbereich zählte außerdem die Betreuung der Jugendherberge. Später ging er als Mitarbeiter der deutschen Botschaft nach Kopenhagen, bis er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland abgeschoben wurde. Da er deutscher Staatsbürger war, war dies leicht möglich.  

 

Verschiedene Volkskalender über die Jahre – Max Rasch war über mehrere Jahre Redakteur des „Nachschlagewerks“ der Minderheit. Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Kein „Namedropping“ – mit Ausnahmen

Hauke Grella hätte viele weitere Namen von Personen nennen können, die in irgendeiner Weise die Geschichte der deutschen Volksgruppe in Tondern mitgeprägt und mitentschieden haben. Der Historiker unterließ jedoch ganz bewusst dieses „Namedropping“, um noch lebende Nachfahren weder aus- noch bloßzustellen.

Eine kleine Ausnahme machte er jedoch bei der Person Max Rasch. Der 1897 in Hostrup bei Tondern geborene Rasch hatte in Kiel und Marburg Deutsch und Geschichte studiert. Er war Soldat im Ersten Weltkrieg und kehrte nach Kriegsende in die nordschleswigsche Heimat zurück. Er war anfangs als Lokaljournalist für die „Nordschleswigsche Zeitung“ in Tondern tätig und Redakteur des Volkskalenders, dem „Nachschlagewerk“ der Minderheit. 

Spannender Lebenslauf

Dann aber wird sein Lebenslauf spannend und bietet Stoff für Agentenromane: Mitte der 1930er-Jahre ging Max Rasch nämlich als Auslandskorrespondent für die „Deutsche Wochenschau“ nach Kopenhagen. Als „Nebenerwerb“ hat er dort Spionage für die deutsche Abwehr, den militärischen Nachrichtendienst, betrieben. Für diese Tätigkeit wurde er von dänischer Seite verurteilt und kam ins Gefängnis.

Während des Zweiten Weltkriegs kehrte Rasch nach Nordschleswig zurück. Als Leiter des „Amtes für Sippenforschung“ im „Dibbernhaus“ in Apenrade (Aabenraa) stellte er Arierausweise aus. Weil die Akten der Einrichtung bei Kriegsende offenbar vernichtet worden sind, ist die Recherche für Hauke Grella und sein Team sehr schwierig. Rasch wurde bei der Rechtsabrechnung (dänisch: Retsopgør) zu einer recht milden Gefängnisstrafe verurteilt.

Dass in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg auch innerhalb der deutschen Volksgruppe keine wirkliche Vergangenheitsbewältigung stattgefunden hat, wird unter anderem dadurch deutlich, dass Max Rasch in den 1960er-Jahren als Lokalredakteur des „Nordschleswigers“ in Tondern arbeitete.

Eine Jubiläumsfestschrift Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Hitler „färbt“ ab

Die Machtübernahme durch Adolf Hitler 1933 färbte auch auf Nordschleswig ab. Es wurden dort anschließend mehrere nationalsozialistische Gruppen gegründet. Die erste nationalsozialistische Ortsgruppe wurde übrigens im Grand Hotel in Tondern gegründet, hatte aber ihr Büro in der Østergade. Sie schloss sich anfänglich der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig (NSAN) an. Unter diesen NS-Gruppen gab es Streitigkeiten, und jene wurden auch schon mal handgreiflich ausgetragen.

So konnte Hauke Grella aus einem Zeitungsartikel von einer regelrechten Schlägerei aus dem Jahr 1934 im Grand Hotel in Tondern berichten, wo unter anderem die Eingangstür zu Bruch ging. Um die hitzigen Gemüter zur Räson zu bringen, musste sogar die Polizei gerufen werden. Das hatte den Parteivorderen bei aller Rivalität untereinander offensichtlich gar nicht geschmeckt, dass dänische Ordnungshüter einen deutschen Streit schlichten mussten.

Grand Hotel zu klein

Obwohl das Grand Hotel ziemlich groß war, so reichte das Fassungsvermögen nicht aus, um dort Treffen der Jungen- und der Mädchenschaft aber auch der NS-Frauenschaft durchzuführen. Allein die NS-Frauenschaft zählte unmittelbar vor Kriegsbeginn 1.200 Mitglieder.

Schon 1938 gab es deshalb Überlegungen in der deutschen Volksgruppe, ein größeres Versammlungshaus zu bauen. Diese Pläne wurden, so Grella, jedoch aus Kostengründen verworfen.

Turnerheim
Das Turnerheim oder auch Bootshaus in Tondern wurde am 16. Oktober 1938 eingeweiht. Inzwischen ist das Gebäude abgerissen worden. Foto: Monika Thomsen

Das Turnerheim wird gebaut

Stattdessen erstand die Volksgruppe den Schützenhof und das Gebäude Vestergade 72, wo damals die Bücherei einzog. Auf dem Gelände des Bootshauses – der Ruderabteilung des ehemaligen Kaufmännischen Turnvereins (KTV) neben der Bachmann’schen Wassermühle – wird das Vereinsheim des 1936 gegründeten Fusionsvereins Turnerbund Tondern, das sogenannte „Turnerheim“, gebaut. Dieser Verein entstand aus dem Zusammenschluss des KTV und des Männerturnvereins (MTV). Die Einweihung des Turnerheims wurde am 16. Oktober 1938 gefeiert.

 

Brian Telling ist gelernter Maurer und passionierter Koch. Foto: Brigitta Lassen

Das Grand Hotel wurde anschließend als Café weitergeführt. Mit dem Jahr 1938 endeten die Ausführungen Hauke Grellas bei diesem „etwas anderen“ Gemeindeabend.

Kulinarischer Abschluss

Im Anschluss an seine spannenden Erzählungen lud die Deutsche Gemeindepflege die Anwesenden zu einem gemeinsamen Abendessen ein, das Brian Telling in der Küche zubereitet hatte. Das ist primär sein Bereich. Seine Frau Anita ist dagegen für die Gästebetreuung zuständig.

Das Gastwirtspaar hat großes Interesse an der Geschichte seines neuen Zuhauses und geht auch völlig ohne Berührungsängste mit der „braunen Vergangenheit“ des Gebäudes um. Davon zeugen einige Bilder an den Wänden des Restaurants. Insofern war es nicht so schlimm, dass Hauke Grella seinen Vortrag nicht mit Archivbildern belegen konnte, obwohl er bei den Recherchen auf interessantes Fotomaterial gestoßen sei, wie er sagte.

Hauke Grella präsentierte das neu erschienene Buch: 100 Geschichten aus dem Deutschen Museum Nordschleswig. Er wurde noch an Ort und Stelle einige Exemplare „los“. Foto: Anke Haagensen

Werbung in eigener Sache

Der Sonderburger Museumsleiter nutzte zudem die Gelegenheit, ein wenig Werbung für das frisch erschienene Buch „100 Geschichten aus dem Deutschen Museum Nordschleswig“ zu machen. Das Buch besteht aus den Aufsätzen, die Grella im Zuge des Jubiläumsjahres zum 100-jährigen Bestehen der deutschen Minderheit im Jahr 2020 für den „Nordschleswiger“ geschrieben hat.  Der Titel der Rubrik lautete damals 100 Jahre – 100 Gegenstände – 100 Geschichten.

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