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Ärzte besser verstehen: Die Charité erklärt Herz-OPs mit Comics

Ärzte besser verstehen: Die Charité erklärt Herz-OPs mit Comics

Die Charité erklärt Herz-OPs mit Comics

Peter Riesbeck/shz.de
Kiel
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Damit es verständlicher wird: An der Berliner Charité gibt‘s jetzt ein Comic vor der Katheteruntersuchung. Foto: Brand/Gao/Hamann/Martineck/Stangl/Deutsches Herzzentrum der Charité Berlin

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Die Ärzte der Berliner Charité setzen jetzt auf Comics. Sie wollen den Patienten so besser erklären, was sie in einer OP vorhaben. Damit sind sie nicht allein. Aber funktioniert das auch?

Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei den Wissenschaftlern. Aber irgendwie klemmt es mit der Kommunikation zwischen Forschung und Gesellschaft. Denn Wissenschaft ist kompliziert. Comics hingegen sind einfach. Und anschaulich. Darum nutzt sie jetzt auch die Berliner Charité für sich.

Fakten werden dort in Bilder gepackt. „Wir haben einfach gemerkt, dass es große Verständnisprobleme gibt, wenn wir Patienten mit langen Texten konfrontieren“, sagt Anna Brand. Die promovierte Ärztin, Privatdozentin am Deutschen Herzzentrum der Berliner Charité, weiß, wovon sie spricht. Die Herzspezialistin sagt: „Manchmal fangen Patienten unmittelbar vor der geplanten Intervention nochmal an, Fragen zu stellen.“

Deshalb gingen sie an der Berliner Charité neue Wege: Vor der OP gibt‘s einen Comic. „Die Patienten sind besser informiert und viel entspannter“, erzählt Brand.

Blick auf ein belastetes Verhältnis – nicht nur zwischen Ärzten und Patienten

Eine Befürchtung gab es schon.

Aber das war überhaupt nicht der Fall. Die Patienten waren extrem dankbar“, sagt Kardiologin Brand, 41. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Professor Dr. Verena Stangl, der Berliner Zeichnerin Sophia Martineck und der auf Wissenschaftskommunikation spezialisierten Agentur Mintwissen von Alexandra Hamann machten sie sich vor acht Jahren an der Charité ans Werk.

Statt seitenlanger Texte zu möglichen Risiken bei einer Katheter-Untersuchung erhielten die Patienten einen zwanzig Seiten langen Comic. „Die Reaktionen waren einhellig positiv“, sagt Brand. Für eine erste Studie zum Einsatz von Comics in der Medizin erhielt die Ärztin mit ihrem Team den Young Investigators Award des renommierten Journal Annals of Internal Medicine.

Auch Piktogramme erleichtern das Verständnis – wie Comics

Hinter Brand an der Wand ihres Büros auf dem Campus Benjamin Franklin der Berliner Charité hängt ein Poster. Das jüngste Werk der Berliner Bilder-Pioniere: ein großer Comic-Poster für Arztpraxen. Es geht um die Wirkung von Herz-Medikamenten. „Das kann man sich einfach nicht vorstellen, wenn man es nicht sieht“, sagt Brand.

Und hat noch einen Comic parat: eine TAVI-Aufklärungsbroschüre: „Transkatheter-Aortenklappenimplantation“, erklärt die Medizinerin und hält eine daumengroße Herzklappen-Prothese hoch. Der Mensch begreift erst durch Anschauung. Brand sagt dazu nur:

Comics zur Wissensvermittlung

Im 20. Jahrhundert trennte der Soziologe C.P. Snow die Erde in zwei Hälften und sprach von der „Welt der zwei Kulturen“: Natur- und Geisteswissenschaften. Dazwischen gibt es wenig. In München sind sie zuletzt angetreten, eine Brücke zu schlagen. „Bilder für das Unsichtbare“, hieß der Titel einer Tagung über Comics in der Wissensvermittlung. Auch das Beispiel der Berliner Charité war dort Thema.

Passenderweise fand das Treffen im Münchner Literaturhaus statt. Auf der dritten Etage rückten Kunst und Wissenschaft zusammen. „Wir wollen die Möglichkeit des Comics zeigen“, so Barbara Yelin, eine der Initiatorinnen der Tagung. Die Comic-Zeichnerin weiß, wovon sie spricht. Mit dem Historiker Paul-Moritz Rabe vom NS-Dokumentationszentrum in München hat Yelin den Band „Tagebuch eines Zwangsarbeiters“ vorgelegt, in Bildern werden dort die Aufzeichnungen des Niederländers Jan Bazuin greifbar gemacht, der von den Nationalsozialsten nach Bayern verschleppt worden war. Nun geht es darum, Naturwissenschaften erfahrbar zu machen.

Comics als Bindeglied zwischen Kunst und Wissenschaft

„Das Zeichnen war immer da“, sagt Lukas Jüliger, 34. Der Zeichner kam über Umwege zu den Wissenschaften. Oder besser gesagt: Die Forschung kam zu ihm. Vor drei Jahren legte Jüliger seinen neuen Comic-Band „Unfollow“ vor, eine dystopische Geschichte über Klimawandel, Artensterben und den Influencer Earthboi. Ein Mix aus Umweltdrama und Social-Media-Kritik.

Das Magazin der Umweltorganisation Greenpeace besprach den Band und fragte Jüliger, ob er nicht für eine der kommenden Ausgaben den Kohlestoffkreislauf skizzieren könne. Zum besseren Verständnis: Das sind jene recht verschlungene Wege, den der Kohlenstoff in seinen vielfältigen Erscheinungsarten wie Methan und Kohlendioxid zwischen Wasser, Boden und Luft nimmt. Und dabei auch das Klima beeinflusst.

Comics zwingen, das Komplexe auf den Punkt zu bringen

Jüliger hat das Ganze auf vier Seiten verständlich in Bildern zusammengetragen. „Das war ein langer Prozess“, sagt er im Rückblick. Er spricht langsam und leise. Und es lässt sich erahnen, wie gewissenhaft er sich der Sache angenommen hat. „Der betreuende Redakteur Wolfgang Hassenstein hat mir das möglichst niedrigschwellig erklärt“, erzählt Jüliger.

Mit der zeichnerischen Umsetzung war es aber nicht getan. „Es gibt nichts Unangenehmeres als einen Comic mit zu viel Text“, sagt Jüliger. Und so wurde nach und nach abgespeckt. Komplexitätsreduktion heißt das in der Sprache der Fachleute.

Nur wenige können das. Auch in den Wissenschaften. Dazu braucht es Mut. Und gegenseitiges Verständnis. Auch ein Lernprozess.

Der Zeichner arbeitet bereits an seinem nächsten Buch. Es geht um Künstliche Intelligenz. Mehr wird erstmal nicht verraten. Nur so viel: Der Künstler Jüliger bleibt dem Erzählen treu. Und den Wissenschaften.

Die Menschen wissen zu wenig – das sollen Comics ändern

Fakten. Fakten. Und immer an die Forschung denken. Das galt auch lange für die Wissenschaftskommunikation. Von Wissensdefizithypothese sprechen die Fachleute. Kurz gesagt: Die Leute haben schlicht zu wenig Ahnung. Wenn sie nur mehr Wissen hätten, würde sich manches ändern. Das klingt sehr nach 18. Jahrhundert, dem Ideal der Aufklärung und Fortschrittsglaube. Längst geht die Kommunikationsforschung andere Wege.

Herzspezialistin Anna Brand hat die Wirkung der Bilder in der Medizin in einer Studie begleitet. Die Untersuchung ist im renommierten Journal Annals of Internal Medicine erschienen. Die Aufmerksamkeit war groß. Auch international.

Der Patient soll durch Comics zum Manager seiner Erkrankung werden

Längst bewegt sich was in den Wissenschaften. An der Penn State University in Philadelphia gibt es sogar ein eigenes Fach für die Umsetzung der medizinischen Forschung in Bildsprache: Graphic Medicine – graphische Medizin. „

Wenn es kompliziert wird im Patientengespräch, greift der Arzt jetzt ja auch schon zum Stift, um komplexe Zusammenhänge und Vorgänge graphisch darzustellen“, sagt Brand. Ihr geht es um mehr als die bildliche Umsetzung: Shared decision making – gemeinsame Entscheidungsfindung – heißt ein Ideal der Medizin, das viel propagiert wird, aber kaum umgesetzt:

Die Bilder bringen Hierarchien ins Wanken. Nicht nur in der Medizin.

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