Ob-Wahl in Flensburg

Knapp 12 Prozent Wahlbeteiligung – Umfrage im Nichtwahlbezirk

Knapp 12 Prozent Wahlbeteiligung – Umfrage im Nichtwahlbezirk

12 Prozent Wahlbeteiligung – Umfrage im Nichtwahlbezirk

Mira Nagar/shz.de
Flensburg
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Die obere Harrisleer Straße in Flensburg: In den wenig gepflegten Häuser an der zeitweise lauten Durchgangsstraße hat sich ein Brennpunkt entwickelt. Foto: Mira Nagar/shz.de

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Bei der Oberbürgermeisterwahl schafft ein Flensburger Wahlbezirk in der Stichwahl nicht einmal die Zwölf-Prozent-Marke. Eine Umfrage im Nichtwähler-Viertel.

Der gut gelaunte Mann hat es sich bequem gemacht auf der blauen Sperrmüllcouch, die zwischen einem Katzenkratzbaum-Ensemble und kaputten Tüten steht, aus denen Videokassetten herausquellen. Sein Blick geht auf die Eckenerstraße, an einem Laternenpfahl hängt noch ein Wahlplakat von Simone Lange.

Dass vor wenigen Tagen eben jene Oberbürgermeisterin auf dem Plakat gegenüber abgewählt wurde, hat Claudiu Valentin nicht mitbekommen. Nicht einmal dass in Flensburg überhaupt Wahlen waren. „Wann sind die, am Samstag?“ Der Mann fragt das geduldig und interessiert über den Online-Übersetzer von Google Translate: Rumänisch-Deutsch. Seit drei Jahren wohne er in Deutschland, seine Sprachkenntnisse reichen aber nur für Gespräche in rumänischer Sprache.

Offenbar haben sie auch nicht gereicht, um etwas von der Oberbürgermeisterwahl mitzubekommen. Valentin zählt zu den fast 90 Prozent Nichtwählern in seinem Viertel. Auf Kommunalebene könnte er mitbestimmen, was in der Politik läuft. So wie alle Bürger aus EU-Ländern, die seit mindestens sechs Wochen in Flensburg gemeldet sind. Von seinem Wahlrecht weiß er, von der Wahl nicht.

Dass EU-Bürger, die im Ausland wohnen, dort seltener zur Wahl gehen als zu Hause, wird schon länger angenommen. Im Wahlbezirk Waldschule 1 sind von 1884 Wahlberechtigten immerhin 681 sogenannte stimmberechtigte EU-Ausländer – fast jeder dritte also. Die zweitgrößte Gruppe befindet sich im Wahlbezirk nebenan mit 566 wahlberechtigten Unionsbürgern. Wegen des Wahlgeheimnisses lassen sich keine genauen Statistiken zum Wahlverhalten erstellen. Es ist lediglich bekannt, wie viele der ausländischen EU-Bürger Briefwahl beantragt haben. Es waren drei.

Leihfirmen in der Informationspflicht?

Tina Henriksen ist sich sicher, dass dies einer der Gründe ist, warum ihr Wahlbezirk bei der Oberbürgermeisterwahl die niedrigste Wahlbeteiligung in ganz Flensburg hatte. Die Dänin gehört zu den 11,7 Prozent ihres Viertels, die bei der Stichwahl abgestimmt haben. Tina Henriksen ist überzeugte Wählerin: „Wenn man gewählt hat, darf man mitreden“, sagt sie. „Sonst muss man den Mund halten.“

Sie ist Wirtin in der urigen Kneipe „St. Petri“ an der Harrisleer Straße. Henriksen hat beobachtet, dass in ihrer Nachbarschaft „viele rumänische Leiharbeiter“ wohnen. Sie sieht die Firmen in der Informationspflicht, die die Menschen dort in dem Billig-Wohnraum unterbringen.

Allerdings: Dies kann nur einer von mehreren Gründen für die hohe Nichtwählerquote sein. Die Mehrheit der Wahlberechtigten hat einen deutschen Pass. Auch bei der Landtagswahl im Mai – bei der ausländische EU-Bürger nicht mitmachen durften – lag die Wahlbeteiligung im Bezirk Waldschule 1 abgeschlagen auf dem letzten Platz – mit 23,4 Prozent.

Bequemlichkeit und Resignation

„Bequemlichkeit“, sagt ein 29-Jähriger aus der halb geöffneten Tür eines Mehrfamilienhauses heraus. „Unter Bundestagswahl gehe ich nicht hin.“ Er habe sich gar nicht erst informiert über die Wahl und daher auch nicht abgestimmt. Ohnehin habe er nicht den Eindruck, dass sich nach Wahlen etwas bessern würde. Die Tür ist schnell wieder zu – so wie viele andere Türen. Mehrere Befragte stellen sich die Frage „Wahl oder nicht Wahl“ gar nicht erst.

In anderen Vierteln in Flensburg sieht das anders aus. In einigen Rand-Bezirken lag die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl um die 50 Prozent, stadtweit waren es 32,8 Prozent. Ausgerechnet in den Bezirken mit besonders großem Handlungsbedarf aber sieht die Wahlbeteiligung schlecht aus.

„Das hier ist ein schwieriges Viertel“, sagt ein Mann, Ende 60, der es sich in einem Hinterhof bequem gemacht hat. „Hier wohnen viele, die kaum Geld haben und hier gibt es nichts, wo die Leute sich mal treffen können.“ Über Politik werde in seiner Nachbarschaft gar nicht geredet.

Ein Brennpunktviertel

„Ein Brennpunktviertel“, sagt auch Astrid Behrendt, die sich vor ihrer Wohnung eine kleine „Oase“ geschaffen hat, eine Klönschnackbank mit Blick auf den frisch gepflegten Rasen. Seit 22 Jahren wohne sie nun schon dort und findet, dass gerade hier drei- bis viermal mehr gemacht werden müsste. Es kämen hier sehr viele Sachen komprimiert zusammen, angefangen bei ganz banalen Dingen. „Hier müsste das TBZ häufiger durchfahren“, sagt sie. Es liege viel Müll herum und Behrendt ist sich sicher: Je gepflegter eine Umgebung ist, desto höher auch die Wertschätzung. An der Ecke, wo die gemütliche blaue Couch steht, da sei fast immer Sperrmüll. Hinzu kommen herumliegende Müllbeutel und deren Inhalt, der sich über Bürgersteige verteile.

„Die Politik macht einen Fehler, wenn sie hier nicht genug hinschaut“, sagt Behrendt – und fügt hinzu, dass sich eine gewisse Politiker-Müdigkeit eingestellt habe. „Dabei haben wir so ein Glück, dass wir wählen können“, sagt Behrendt. „Vielen ist das gar nicht bewusst.“ Doch zu viele seien mit sich selbst beschäftigt.

Viele Sorgen, keine Stimme

Das muss gar nicht nur an Politikverdrossenheit liegen. Eine ältere Frau, Mitte 70, ist mit ihren Blumen beschäftigt – Töpfe mit Heidekraut stehen unten im Treppenhaus. Auch sie habe diesmal nicht gewählt. „Sonst gehe ich immer zur Wahl, damit nicht sowas wie die AfD kommt“, sagt sie. „Doch ich habe ein Jahr lang meinen Mann gepflegt.“ Sie habe keine Kraft mehr gehabt, sich mit der Wahl zu beschäftigen.

Ein paar Blöcke weiter erklärt eine ältere Frau, sie habe die Wahlbenachrichtigung weggeworfen, gleich nachdem sie aus dem Krankenhaus gekommen war. „Man kann ja doch nichts ändern“, sagt sie. „Was die da machen, gefällt mir gar nicht.“

Ähnlich äußert sich eine andere Frau, weiter unten in der Harrisleer: Wahlen würden keinen Unterschied machen, findet sie. So jemanden wie Söder hätte sie gewählt, ein Politiker müsse auch was hermachen.

220 Menschen gaben im Bezirk Waldschule 1 ihre Stimme ab – 1664 nicht. Und das in einem Viertel, in denen auch viele Menschen kein Wahlrecht haben. Simone Lange hätte knapp gewonnen im Nichtwahlbezirk. Wenn man überhaupt von einem Sieg sprechen könnte. Denn verloren haben beide Kandidaten.

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Kommentar

Hannah Dobiaschowski
Hannah Dobiaschowski Projekte / Marketing
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