Leitartikel

„Gemeinsam stark, aber zu welchem Preis? FUEN, Ungarn und der Balanceakt zwischen Kritik und Zusammenhalt“

Minderheiten: Gemeinsam stark, aber zu welchem Preis?

Minderheiten: Gemeinsam stark, aber zu welchem Preis?

Apenrade/Aabenraa
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Große Mehrheit: Die Resolution zur Rolle von Rechtsstaatlichkeit beim Minderheitenschutz wurde am Sonntag in Fünfkirchen verabschiedet. Foto: FUEN/László Mihály

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Ist die Minderheiten-Union nun aus der Krise? Interne Konflikte und Europas Haltung werfen ihre Schatten auf eine heikle Situation. Cornelius von Tiedemann meint: Die EU darf die Minderheiten im Kampf um ihre Werte nicht länger allein lassen.

Trotz Aufforderungen bleibt die Minderheiten-Union FUEN gegenüber Ungarns autoritärer Regierung zurückhaltend. Dies wurde nach dem Kongress in Fünfkirchen (Pécs) deutlich.

Statt direkter Kritik an Ungarn wählten die Delegierten eine allgemeine Resolution. Diese betont, dass echter Minderheitenschutz nur in einer funktionierenden Demokratie gewährleistet werden kann, die auf Rechtsstaatlichkeit fußt. Und sie wurde mit überwältigender Mehrheit verabschiedet.

Dies demonstriert Einheit der Minderheiten. Und immerhin wurde verhindert, dass ein geplanter Gegenentwurf überhaupt auf die Tagesordnung kam: Darin sollte stehen, dass die FUEN sich nur zu spezifisch minderheitenpolitischen Fragen äußert – und nicht zu sonstiger rechtsstaatlicher Praxis der Herbergsstaaten ihrer Mitglieder.

Intern gibt es jedoch weiter Kritik an Ungarns Politik und Vorwürfe gegen die Orbán-Regierung, Minderheiten politisch auszunutzen. Denn Ungarn fungiert zwar als Geldgeber der FUEN und fördert seine Minderheiten, stellt sich aber gegen freiheitliche demokratische Prinzipien.

Einige wünschten eine klare FUEN-Position dagegen. Minderheitenschutz bedeutet schließlich mehr als nur finanzielle Unterstützung. Ohne rechtsstaatliche Absicherung kann er jederzeit aufgehoben werden.

Die FUEN hatte die Chance, Ungarns Regierung zu einem klareren Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie aufzufordern, anstatt Ungarn die Bühne zur Selbstdarstellung auf dem „Heimkongress“ in Ungarn zu überlassen.

Mit der aktuell beschlossenen Resolution zeigt die FUEN zwar, was diplomatisches Geschick ist, doch stellt sich die Frage: Ist das wirklich ein Sieg?

Denn Orbáns autoritäre Regierung spielt nicht nach traditionellen Regeln. Von allgemein gefassten Resolutionen wird sie sich kaum aufgefordert fühlen, auch nur zu reagieren.

Die These, dass sich Autoritäre durch Inklusion und Diplomatie langsam aber sicher zu verlässlichen Freunden bezüglich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wandeln, ist schon vielfach widerlegt worden.

Selbst innerhalb unserer eigenen Demokratien sehen wir, dass autoritäre Stimmen auch dann weiter an Zuspruch gewinnen, wenn wir diese „ins Warme holen“ und ihnen Einfluss gewähren.

Einfluss, um die freiheitliche Demokratie schrittweise auszuhöhlen. 

Um diese freiheitliche Demokratie zu schützen, müssen wir deshalb Grenzen aufzeigen, Dinge (und Regierungen) beim Namen nennen und klar Stellung beziehen.

Demokratin und Demokrat sein bedeutet nämlich auch, dafür zu kämpfen, dass Demokratie und Rechtsstaat aufrechterhalten werden. Auch dann, wenn die, die ihn einschränken oder abschaffen wollen, viele sind – oder beizeiten sogar in der demokratischen Mehrheit.

Das ist kein Widerspruch. Das ist der Rahmen, der alles zusammenhält.

Doch halt! Ist es überhaupt Aufgabe der Minderheiten, diese Bürde auf sich zu nehmen und den „Großen“ zu zeigen, wie der Laden zu laufen hat?

Leider ja. Wie ich bereits vor einem Jahr an dieser Stelle schrieb: Weder Bundesregierung noch EU sind bisher auf die Idee gekommen, die Inklusions-, Demokratisierungs- und Friedensmission der FUEN zuverlässig und nachhaltig zu fördern. Die Strategie, falls es denn eine ist, eine Regierung wie Ungarn die Lücke füllen zu lassen, ist ein Spiel mit dem Feuer.

Es ist nach wie vor zum Haareraufen, dass den Minderheiten eine solche Zerreißprobe überhaupt zugemutet wird.

Brüssel und Berlin hätten das Ungarn-Dilemma der FUEN verhindern können und müssen. Stattdessen müssen die Minderheiten nun selbst ihren großen Geldgeber – indirekt – dazu auffordern, sich an die europäischen Spielregeln von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu halten.

Zeigt das einmal mehr, wie schwach Europa ist? Das hätten manche gerne.

Doch nein: Es zeigt nur, wie wenig die zahme Riesin Europa noch immer gewillt ist, die Muskeln im eigenen Interesse spielen zu lassen. Aus Sorge, abzuschrecken und an Einfluss zu verlieren. Doch was bringt der Einfluss, wenn er nicht genutzt wird?

Die große Aufgabe, auch der kleinen FUEN, ist es, Europa wachzurütteln, bevor es zu spät ist. Dafür kämpft sie tapfer weiter – unter anderem vor dem Europäischen Gerichtshof.

 

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