Digitalisierung

Abschied: „Ich hatte die Zeitung, seit ich lesen kann“

Abschied: „Ich hatte die Zeitung, seit ich lesen kann“

Abschied: „Ich hatte die Zeitung, seit ich lesen kann“

Sonderburg/Sønderborg
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Gerhard Bertelsen mit der vorletzten Ausgabe des gedruckten „Nordschleswigers“ Foto: Karin Riggelsen

Ein Stück Alltag zum Anfassen ist nun bald nicht mehr: Am Tag vor Erscheinen der letzten Papierzeitung sagen vier langjährige Leser ihrem Medium Lebewohl.

Seit vielen Jahrzehnten hat sie ihre Abonnenten durch den Alltag begleitet, nun steht die Papierzeitung des „Nordschleswigers“ vor dem Ende. Am letzten Tag vor Erscheinen der letzten gedruckten Tageszeitung blicken vier Leser auf das Leben mit „ihrer“ Papierzeitung zurück. Und sprechen über Lesegewohnheiten, die sich nun neu bilden müssen.

Stadtratspolitiker Gerhard Bertelsen (SP) hält den „Nordschleswiger“ seit Kindesbeinen an in den Händen. „Ich hatte die Zeitung, seit ich lesen kann“, so der 69-jährige Sonderburger. „Am Anfang war es ja hauptsächlich der Sport, der uns Junge interessiert hat. Das war der Höhepunkt für uns Jungs, wenn wir am Montag die Zeitung aufgeschlagen haben, um zu sehen, ob wir in den Berichten über die Spiele erwähnt wurden“, so Gerhard Bertelsen, Handballer im Ruhestand. „Wenn wir in einem Artikel von Matlok im Spielbericht erwähnt wurden, war das eine große Sache. Meine Mutter hat alle Artikel über mich ausgeschnitten und gesammelt.“

Als Erwachsener und von einem Auslandsaufenthalt aus Frankfurt zurückgekehrt, abonnierte er die Zeitung selbst.

Der Stadtratspolitiker Gerhard Bertelsen hat die Zeitung schon gelesen, als er noch ein Kind war – anfangs vor allem wegen der Sportberichte über die eigenen Handballspiele. Foto: Karin Riggelsen

Jetzt geht es anders weiter, und ich werde weiterhin jeden Morgen den Nordschleswiger lesen und versuchen, mich auf der Internetseite zurechtzufinden. Es ist wohl eine Frage der Gewohnheit.

Gerhard Bertelsen, langjähriger Leser

„Das ist das Erste, was ich am Tag mache: Zum Briefkasten gehen und den Nordschleswiger holen. Jydske und andere Zeitungen lese ich bereits als digitale Ausgabe, und wenn man verreist war, hat man den Nordschleswiger ja auch schon als E-Paper online gelesen. Jetzt muss ich mich also auch an den Nordschleswiger digital gewöhnen. Ich kann verstehen, dass es mit weniger als 1.000 Abonnenten keinen Sinn mehr gemacht hat, die Zeitung zu drucken. Doch die E-Version der Zeitung hätte ich gerne behalten. Aber jetzt geht es anders weiter, und ich werde weiterhin jeden Morgen den Nordschleswiger lesen und versuchen, mich auf der Internetseite zurechtzufinden. Es ist wohl eine Frage der Gewohnheit.“

 

Anna und Walter Christensen an ihrem Küchentisch: Die Zeitung wurde bislang immer gemeinschaftlich geteilt. Foto: Karin Riggelsen

Walter Christensen und seine Frau Anna nehmen schweren Herzens Abschied von ihrer Papierzeitung. „Wir haben den Nordschleswiger abonniert, seit wir 1976 aus Deutschland zurück nach Nordalsen gezogen sind. Und schon meine Eltern hatten die Zeitung von Anfang an zu Hause. Das ist immer ein Teil unseres Alltags gewesen“, so Walter Christensen.

„Bislang lesen wir die Zeitung gemeinsam, jeder kriegt einen Teil und dann wird getauscht. Jetzt müssen wir bald jeder auf seinen Bildschirm schauen und jeder sitzt mit seinem Tablet oder Computer. Das wird gewöhnungsbedürftig, die Zeitung ist immer Teil unseres Alltags gewesen“, so der Freizeitruderer von Nordalsen (Nordals).

Bei einer Zeitung weiß man, wenn man alles durchgeblättert hat, dass man alles Wichtige gelesen hat. Online muss man sich von Seite zu Seite klicken und weiß nie, wann man fertig ist. Aber wir werden uns jetzt umstellen.

Walter Christensen, langjähriger Leser

Er habe schon mal auf die Internetseite des „Nordschleswigers“ geschaut. „Da muss man sich dran gewöhnen, man muss sich erstmal zurechtfinden und entdecken, wo was steht. Bei einer Zeitung weiß man, wenn man alles durchgeblättert hat, dass man alles Wichtige gelesen hat. Online muss man sich von Seite zu Seite klicken und weiß nie, wann man fertig ist. Aber wir werden uns jetzt umstellen. Uns ist es wichtig, dass wir auf unserem Lokalteil weiterhin lesen können, was bei uns passiert.“

 

Hildegard Weber am Küchentisch ihrer Wohnung in der Perlegade, wo sie fast ihr ganzes Leben lang gelebt hat Foto: Karin Riggelsen

Renate Weber-Ehlers liest den „Nordschleswiger“ jeden Morgen am Küchentisch zusammen mit ihrer Mutter Hildegard. Genauer gesagt: Sie liest vor. „Seit meine Mutter nicht mehr richtig sehen kann, lese ich ihr die Artikel vor. Den Nordschleswiger hatten meine Eltern seit ihrer Hochzeit, wir hatten ihn zu Hause, seit ich denken kann.“

Jetzt gelte es, sich umzustellen, so die Vorsitzende des Sonderburger Frauenbundes.

Das Durchblättern und der Überblick werden mir fehlen. Aber ich werde versuchen, mich an die Online-Zeitung zu gewöhnen. Das kriegen wir schon hin. Natürlich lese ich meiner Mutter die Artikel auch weiterhin vor.

Renate Weber-Ehlers, langjährige Leserin

„Da bleibt mir ja nichts anderes übrig. Aber das wird nicht das Gleiche sein. Ich werde es sehr vermissen und halte es auch für eine Fehlentscheidung, die Zeitung ganz einzustellen. Optimal wäre die Lösung mit einer Wochenzeitung gewesen. Das Durchblättern und der Überblick werden mir fehlen. Aber ich werde versuchen, mich an die Online-Zeitung zu gewöhnen. Das kriegen wir schon hin. Natürlich lese ich meiner Mutter die Artikel auch weiterhin vor. Und wir haben uns auch beide die 14-tägige Papierzeitung abonniert. Und falls ich mal Entzugserscheinungen kriege: Ich habe seit Mitte Dezember alle Zeitungen in einer Kiste aufbewahrt“, so die Sonderburgerin.

 

Irmgard Kleinschmidt abonniert die Zeitung seit 1968. Sie sagt zum neuen Online-Medium: „Vielleicht gewöhnen wir uns ja daran.“ Foto: Karin Riggelsen

Irmgard Kleinschmidt aus Rinkenis (Rinkenæs) abonniert die Papierzeitung seit 1968. „Als ich nach meiner Ausbildung begonnen habe, im Kindergarten zu arbeiten, habe ich den Nordschleswiger abonniert. Ich lese ihn jeden Morgen zum Frühstück. Was ich in Zukunft mache, weiß ich noch nicht so richtig. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass wir beide mit unseren Tablets am Frühstückstisch sitzen“, sagt die 72-Jährige. „Aber ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen.“

Alles hat seine Zeit und ich denke, die jungen Leute kommen mit all dem besser klar. Aber wir werden sehen. Vielleicht gewöhnen wir uns ja daran.

Irmgard Kleinschmidt, langjährige Leserin

Auf der Internetseite des „Nordschleswigers“ hat sie sich noch nicht umgesehen. „Noch nicht wirklich. Aber das muss ich dann jetzt wohl mal machen.“ Sie wird vermissen, dass man einen Artikel einfach mal liegenlassen konnte, um ihn dann später nachzulesen. „Aber alles hat seine Zeit und ich denke, die jungen Leute kommen mit all dem besser klar. Aber wir werden sehen. Vielleicht gewöhnen wir uns ja daran.“

 

 

 

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