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Menschen an der Küste müssen mit höheren Wasserständen leben

Menschen an der Küste müssen mit höheren Wasserständen leben

Küste muss mit höherem Wasserstand leben

Sankelmark
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Der Küstenforscher Karsten Reise sprach bei der Tagung der HAG in Sankelmark über Strategien, die Inseln und Küstenlandschaften des Wattenmeeres trotz steigenden Meeresspiegels zu erhalten. Foto: Volker Heesch

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Der Biologe und Wattenmeerexperte Karsten Reise plädiert für ein „Mitwachsen“ der Marschen bei steigendem Meeresspiegel. Der Diplomingenieur Carsten Jürgensen fordert einen wirksamen Einsatz gegen Überdüngung und Sauerstoffschwund in der Flensburger Förde, Umweltverträglichkeitsprüfungen als Naturschutzmaßnahmen und eine Antwort auf erhöhte Pegelstände in der Ostsee.

Eine sehr interessierte und diskussionsfreudige Schar von Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat die Vereinsvorsitzende der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft für Nordschleswig (HAG), Gisela Jespsen, am Sonnabend während der Jahrestagung in der Akademie Sankelmark begrüßen können. 

Die Pfuhlschnepfen (rot gefärbt Männchen der Art) zählen zu den Rastvögeln des Wattenmeers. Die in Sibirieren brütende Unterart leidet akut unter dem Klimawandel, da den Küken dort die Nahrung angesichts einer früheren Schneeschmelze ausgeht. Die Langstreckenzieher fliegen nämlich inzwischen zu spät aus dem Wattenmeer Richtung Norden. Foto: Volker Heesch

Mit Prof. Karsten Reise, er war viele Jahre der Leiter der Wattenmeerforschung des Alfred-Wegener-Instituts in List auf Sylt (Sild), stellte Jepsen einen engagierten Wissenschaftler vor, der sich seit vielen Jahren mit den Folgen des Klimawandels besonders im Wattenmeer und deren Inseln und angrenzenden Festlandsgebieten beschäftigt. 

Nach dem Wattenmeer war die Ostsee Thema

Zum Abschluss der HAG-Jahrestagung mit bester Betreuung und Verpflegung in der Bildungsstätte lieferte Carsten Jürgensen seinen Vortrag über „Effekte des Klimawandels auf Infrastruktur und Naturprojekte in der Ostsee“.

Während der Tagung der HAG zum Thema Klimawandel dirkutierte die Teilnehmerschaft – moderiert von der Vereinsvorsitzenden Gisela Jepsen – eifrig mit den Referenten. Carsten Jürgensen (rechts) widmete sich dabei den Konsequenzen im Bereich der Ostsee. Foto: Volker Heesch

Karsten Reise leitete seine Ausführungen mit Grafiken ein, die eindrücklich belegen, wie rasant sich in den jüngsten Jahrzehnten die weltweite Klimaerwärmung in einem Anstieg der Durchschnittstemperaturen des Wattenmeerwassers widerspiegelt – und wie rasant das mit einem Anstieg des Meeresspiegels einhergeht. 

Wattenmeer entstand nach jüngster Eiszeit

Reise erläuterte, wie es innerhalb weniger Jahrtausende nach dem Ende der jüngsten Eiszeit zur Bildung von Watt, Dünen und Marschen gekommen ist. 

Anhand eines Satellitenfotos vom Wattenmeer erklärte Karsten Reise die Elemente des Wattenmeeres, Watt, Dünen und Marschen, als „Leihgaben“ des Meeres, die es sich angesichts des Klimawandels zurückholt. Foto: Volker Heesch

Vor der Projektion eines Satellitenfotos der Küstenlandschaft bezeichnete der Wissenschaftler diese als „Leihgaben des Meeres“. „Das Meer wird in Zukunft auf das Ausgeliehene Eigenbedarf anmelden“, so der auf Sylt lebende Biologe. 

Bedeutung des Wattenmeeres heute im Bewusstsein

Er erinnerte daran, dass erst in den vergangenen 100 Jahren die Bedeutung des Wattenmeeres als wertvoller Lebensraum erkannt worden sei. Und seit gut 50 Jahren werde durch die Anliegerstaaten Dänemark, Deutschland und die Niederlande die durch ihre Bedeutung beispielsweise als Drehscheibe des Zuges von Watvögeln berühmte Wattenmeernatur international geschützt. 

Der Schutz der Seehunde war ein erster gemeinsamer Erfolg der dänisch-deutsch-niederländischen Zusammenarbeit im Wattenmeer. Foto: Volker Heesch

Reise erklärte, dass einst bedrohte Arten wie der Seehund und viele Seevögel sich durch Jagdverbote im Bestand erholt haben.

Einige Folgen des Klimawandels gravierend

Die Wirkung der Klimaerwärmung sei in vielen Lebensgemeinschaften des Watts bisher wenig folgenreich, allerdings zeigten sich gravierende Folgen beispielsweise bei bekannten Rastvogelarten des Watts wie der Pfuhlschnepfe (Lille Koppersnæppe). „Seit 1995 haben die Bestände der Population der Pfuhlschnepfen, die in Westafrika überwintern und nach Reserveauftanken im Wattenmeer in ihr Brutgebiet auf der sibirischen Taimyr-Halbinsel fliegen, stark abgenommen“, so Reise. Ihre Flugzeiten sind unverändert geblieben, allerdings lassen steigende Temperaturen in Sibirien Schnakenlarven, die Hauptnahrung der Pfuhlschnepfen-Küken, sich bei früherer Schneeschmelze früher entwickeln. 

Die Pfuhlschnepfen, die zwischen Westafrika als Winterquartier und Nordsibirien als Brutgebiet pendeln, rasten im Wattenmeer. Sie haben ihre Flugzeiten beibehalten, was den Bruterfolg in der erwärmten Arktis vermindert. Auf dem Foto eine rotgefiederte Pfuhlschnepfe zusammen mit Kiebitzregenpfeifern, die sich vor dem Flug in den hohen Norden im nahrungsreichen Watt „stärken“, um den Langstreckenflug meistern zu können. Foto: Volker Heesch

Die Vögel bekommen zu wenig Nahrung. Besser geht es der Population der Pfuhlschnepfen, die in Skandinavien brütet, lange im Watt und ganzjährig im Nordseebereich verweilt. „Jede Vogelart macht ihr eigenes Ding“, so Reise und weist auf ein weiteres Gefahrenpotenzial hin, da es unklar ist, ob bei verlängertem Aufenthalt von Rastvögeln im Watt das dortige Nahrungsangebot reicht. „Mein Herz liegt bei den Wattwürmern“, so der Wissenschaftler, der einräumt, dass viel älteres Wissen über das Wattenmeer inzwischen überholt sei. 

Meeresspiegel war schon einmal über heutigem Niveau

„Wie geht es weiter?“, so Reise in der Überleitung zur weiteren Schicksalsfrage des Wattenmeeres, wie stark der Meeresspiegel steigen wird. Er verwies darauf, dass in der Eem-Warmzeit vor rund 120.000 Jahren vor der jüngsten Eiszeit hierzulande der Wasserspiegel schon einmal bis zu neun Meter über dem heutigen Niveau gelegen hat. Die Experten seien sich unsicher über die Entwicklung, betonte Reise und verwies darauf, dass allein die Ausdehnung des Meerwassers durch Erwärmung und Eisschmelzen in Gebirgen in den nächsten Jahrzehnten zu einem ein Meter höheren Meeresspiegel beitrage werde. 

Im dänischen Teil des Wattenmeers mehr Sedimentation

Reise berichtete, dass aktuell der dänische Teil des Wattenmeers von Röm (Rømø) bis Fanø besser dastehe als der deutsche mit Sylt. Untersuchungen zeigten, dass sich nördlich von Sylt Sediment ablagert, während weiter südlich Küstenabtrag herrsche. Angesichts der hohen Einnahmen durch den Tourismus könnten Sandaufspülungen Sylt stabilisieren. Wichtig sei aber, dass man das Konzept aufgibt, die Dünen auf den Inseln zu befestigen. „Man muss die Dünen wandern lassen“, so Reise und verwies auf Vorteile für den Naturschutz. So würden aktuell besonders auch in den Niederlanden Forderungen laut, anstelle der Küstensicherung durch Bollwerke auf zeitweise offene Deiche zu setzen, durch die Meerwasser samt Sedimenten ein Mitwachsen von Wattenmeer und Marschen mit steigendem Meeresspiegel ermöglichen. Allerdings zeigten Untersuchungen, dass die Hallig Hooge jährlich zwar 2 Millimeter höher werde, das Wasser aber gleichzeitig 5 Millimeter steige. Auf eine Frage, ob durch den Klimawandel die Sturmfluten häufiger würden und höher stiegen, meinte Reise, dass nach einer Zunahme zwischen 1960 und Ende der 1990er-Jahre zuletzt weniger Sturmfluten registriert werden. Leider gelte aber die Erkenntnis, dass die stärkeren Seedeiche zwar gegen die stürmische See schützen, aber nicht den Anstieg des Meeresspiegels verhindern können. Parallel sackten viele Marschen wegen der intensiven Entwässerung ab, weil sich das organische Material in den Böden durch Kontakt mit dem Sauerstoff zersetzt und zusätzlich Treibhausgase freisetzt.

Die Schleusen – auf dem Foto die Wiedauschleuse –, durch die das Binnenwasser in die Nordsee fließt, sollten in Zwei-Wege-Siele umgebaut werden, so Karsten Reise. Dann könnte sedimentreiches Seewasser durch die abgebildete Wiedauschleuse in die Marschen fließen und vor allem unter dem Meeresspiegel liegende Bereiche „aufschlicken“ und mit dem Meeresspiegel im Niveau steigen lassen. Foto: Volker Heesch

Deshalb sollten die Siele der Seedeiche zu Zwei-Wege-Sielen umgebaut werden“, so Reise und stellt den Tidepolder Luneplate an der Unterweser vor, wo Seewasser Sedimente in die Marsch hinter dem Seedeich spült.

Wechsel in Wirtschaftsformen 

„Solche Konzepte bedeuten einen großen Wechsel in der Wirtschaftsform“, so der Küstenforscher und empfahl angesichts des Meeresspiegelanstiegs, wieder die Tradition des Häuserbaus auf Warften aufzugreifen. Er regt auch an, in den Marschen salzverträgliche Pflanzen wie Pferdebohnen anzubauen, auf schwimmende Gärten oder Gewächshäuser zu setzen, um im Wattenmeer mit steigenden Pegeln eine Besiedelung und Tourismus gemeinsam mit Naturschutz erhalten zu können.

Carsten Jürgensen leitete seinen Vortrag mit einer Erläuterung der besonderen Ausformung der Ostsee ein, die man auch als „größten Fjord der Welt betrachten“ könne. Deren enge Verbindung zur Nordsee und den Wasseraustausch behindernde flache Bereiche wie die Darßer Schwelle seien Ursache für den verringerten Salzgehalt je weiter man sich in der Ostsee von den dänischen Meerengen entferne. Damit verbunden ist in vielen Gebieten ein geringer Sauerstoffgehalt in Tiefenzonen der Ostsee. 

 

An der Halbinsel Kekenis (Kegnæs) hat die Ostseesturmflut im Oktober 2023 zu Küstenabbruch und Schäden an den dortigen Häusern geführt. Der steigende Meeresspiegel dürfte die Probleme verstärken. Foto: Volker Heesch

Sauerstoffschwund durch Agrar-Nährsalze

Jürgensen stellte anhand von Grafiken zur Belastung der dänischen Küstengewässer wie dem Kleinen Belt oder der Flensburger Förde klar, dass die Einschwemmung von Stickstoffnährsalzen aus der Landwirtschaft verantwortlich für 89 Prozent der Belastung der Gewässer mit diesen Auslösern von Algenmassenvermehrung ist, die zum seit Jahren sich verschlimmernden Sauerstoffschwund der Ostküstengewässer Nordschleswigs führt. 

„6 Prozent der Stickstoffnährsalze gehen auf das Konto der Fischzuchtbetriebe, während Industrie und Klärwerke nur jeweils 1 Prozent beisteuern“, so Jürgensen. Der an vielen Umweltverträglichkeitsprüfungen großer Vorhaben wie der Öresundbrücke und dem Fehmarnbelttunnel beteiligte Diplomingenieur, der sich als Vorstandsmitglied des Naturschutzverbandes „Danmarks Naturfredningsforening“ in der Kommune Sonderburg (Sønderborg) für Maßnahmen gegen den Sauerstoffschwund und daraus folgendem Verschwinden der Fischbestände engagiert, fordert bei der Bewertung der Belastungen durch die Landwirtschaft Maßstäbe wie bei Infrastrukturprojekten. 

Carsten Jürgensen untermauerte seine Ausführungen zu den Ursachen des Sauerstoffschwunds in den Ostseegewässsern mit Darstellungen langjähriger Messungen in der Flensburger Förde. Nur ein Ende der Einschwemmung von Agrarnährsalzen werde helfen, den immer schlimmeren Sauerstoffschwund zu stoppen und damit die Fischbestände wiederherzustellen. Foto: Volker Heesch

Während bei den Großbauwerken negative Auswirkungen auf Wasserqualität und Natur nicht zulässig seien, akzeptiere man die schlimmen Schädigungen, die konkret zum Verschwinden der Dorschfischerei geführt hat. 

Einblick in Prognosen

Jürgensen gab auch interessante Einblicke in die Prognosenaufstellung hinsichtlich der Gefahren durch Ostseesturmfluten. Es sei nicht sicher, dass die jüngsten Sturmfluten mit ihren schweren Verwüstungen auch in Nordschleswig auf das Konto des Klimawandels gehen. „Klar ist aber, dass die steigenden Temperaturen mehr Energie in die Atmosphäre bringen“, und das ergebe mehr Stürme, so der auf Alsen lebende Ingenieur, der erwähnte, dass künftige Stürme stets für Fluten zusätzlich zum steigenden Meeresspiegel führen. „Alles wird schlimmer“, so Jürgensen, und er berichtete über Vorkehrungen bei den Großvorhaben wie dem Fehmarnbelttunnel oder auch der Kopenhagener Metro gegen ein Absaufen durch voraussichtlich extremere Wasserstände. Auf die Küstenstädte wie Apenrade (Aabenraa) werden große Ausgaben zum Schutz der Siedlungen zukommen.

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