Kultur

Erfolgreicher Bücherherbst 2021 – live und digital

Erfolgreicher Bücherherbst 2021 – live und digital

Erfolgreicher Bücherherbst 2021 – live und digital

Rahel Stäcker
Rahel Stäcker
Apenrade/Aabenraa
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Nach der digitalen Zusammenkunft im vergangenen Jahr freute sich Annemarie Stoltenberg, dieses Jahr wieder live anwesend sein zu können. Foto: Rahel Stäcker

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Autorin und Literaturkritikerin Annemarie Stoltenberg war für den beliebten „Bücherherbst“ wieder in der Deutschen Zentralbibliothek in Apenrade zu Gast. Im Gepäck hatte sie so einige spannende literarische Werke – aber in einem Punkt wich sie von ihrer Gewohnheit ab.

Nachdem 2020 der „Bücherherbst“ mit Annemarie Stoltenberg aufgrund der Corona-Situation „nur“ digital stattfand – aber dennoch ein großer Erfolg war –, versammelten sich Bücherfans dieses Jahr am 17. November wieder live und in Farbe in der Deutschen Zentralbücherei Apenrade, um gebannt den Empfehlungen der Literaturkennerin zu lauschen.

Live und online verfolgte das Publikum die Vorstellung

„Ich bin froh, dass dieses Mal echte Menschen hier sind!“ Mit diesen Worten begrüßte die Literaturkritikerin, die auch als Redakteurin bei „NDR Kultur" arbeitet, die zahlreich erschienenen Gäste. Um die 40 Teilnehmende waren live anwesend, weitere 16 nahmen via Zoom teil. Dieses Angebot hatte die Bücherei angesichts der steigenden Inzidenzen vor wenigen Tagen beschlossen. Vor Ort wurde ebenfalls auf Sicherheitsvorkehrungen geachtet.

Annemarie Stoltenberg servierte ihrem Publikum in diesem Jahr sogar eine kleine Besonderheit. Normalerweise stellt die 64-Jährige nur Werke deutschsprachiger Autorinnen und Autoren vor, doch das erste Buch, das sie an diesem Abend präsentierte, war dann das eines Iren: Colm Tóibíns großer Roman über Thomas Mann, der sich liest, „als könne Tóibín in den Kopf Manns hineinschauen – eine lebendige Biografie“, so Annemarie Stoltenberg.

Große literarische Auswahl

Insgesamt 19 lesenswerte Werke präsentierte die gebürtige Pinnebergerin an diesem Abend im Haus Nordschleswig. Gespickt mit Leseerlebnissen und Anekdoten beschrieb sie ihre literarischen Entdeckungen. Ob historische Romane, Biografien, gesammelte Erzählungen oder Anthologien – das Spektrum war wie üblich breit gefächert.

Etwa 40 Gäste waren live dabei, weitere 16 online via Zoom. Foto: Rahel Stäcker
 

Jenny Erpenbeck: Kairos (Penguin)

Über die Berliner Autorin Jenny Erpenbeck sagte Annemarie Stoltenberg: „Wenn wieder einmal eine Deutsche den Literaturnobelpreis gewinnen sollte, dann wäre das sie.“ „Kairos“ ist ein Roman, der in Ost-Berlin 1986 angesiedelt ist und von der Liebe der 19-jährigen Katharina, die sich zur Schriftsetzerin ausbilden lässt, und dem 53-jährigen Hans, einem etablierten Intellektuellen, erzählt. Sie, Resultat des „Versuchslabors DDR“, und er, Nazikind, das den Krieg als Ausgangspunkt erlebt hat, lassen sich auf eine verhängnisvolle Liaison ein.

Doch das Glück der Verliebten ist nicht von Dauer. Nachdem Katharina eine Nacht mit einem anderen Mann verbringt, zeigt Hans seine düstere, sadistische Seite und legt bald ein krankhaftes Verhalten an den Tag.

Der Roman verknüpft laut Stoltenberg geschickt den Niedergang einer zum Scheitern verurteilten Liebe und den eines Staates. Erpenbeck sagt selbst: „Dieses Klima von Angst, Schuld und Zweifel – das hat mich interessiert.“

Bernhard Schlink: Die Enkelin (Diogenes)

„Dieses Buch habe ich überall mit hingenommen“, läutet Annemarie Stoltenberg die Präsentation von Schlinks „Die Enkelin“ ein, „es war so spannend!“ Das Werk handelt von einem 70-jährigen Buchhändler, der nach dem Tod seiner alkoholkranken und drogenabhängigen Frau hinter ihre Geheimnisse kommt und sich auf die Suche nach einer Familie begibt, die es nie gab.

Er gräbt in der Vergangenheit, und die Leser sehen sich ins Jahr 1964 zurückversetzt, in warme Mai-Tage, als die Welt noch in Ordnung zu sein schien. „Man merkt diesem Roman an, dass Schlink Jurist ist, denn jeder kommt zu Wort“, so Stoltenberg. „Er führt durch ein ganzes Land, schafft ein ganz, ganz großes Bild und eine große Geschichte“, lautet ihr Urteil, und sie nennt das Werk „eine luzide Analyse unserer Gesellschaft“.

Constanze Neumann: Wellenflug (Ullstein)

Dieser historische Roman taucht ins Jahr 1870 ein und erzählt geschickt die Geschichte der eigenen Familie Neumanns, die damals als Tuchhändler nach Leipzig kam und es zu Wohlstand brachte. Als Protagonistin Anna Reichenheim 1881 Sohn Heinrich bekommt, ahnt sie nicht, dass er einmal aus der großbürgerlichen jüdischen Familie ausbrechen würde und mit seiner ganz gewöhnlichen Freundin Marie in die USA auswandert, was den Ausschluss aus der Familie zur Folge hat. Selbst der aufkommende Nationalsozialismus führt nicht zur Versöhnung.

Anna stirbt 1932 und erlebt die kommenden Schrecken des Krieges und die Judenverfolgung nicht mehr. Und Heinrich kehrt ausgerechnet dann nach Deutschland zurück, als es für Jüdinnen und Juden immer gefährlicher wird.

Auch wenn einen die Geschichte packt und nicht mehr loslässt, sei dieses Buch doch ein wahrer Lesegenuss und gebe Einblicke in die damalige Zeit, urteilt Annemarie Stoltenberg.

 

Ein gelungener Abend

Während der etwa eineinhalbstündigen Büchervorstellung sorgte die Literaturkritikerin immer wieder für Lacher und Schmunzeln unter den Anwesenden und vergaß auch das virtuelle Publikum nicht. Am Ende stellte sie noch kurz ihr eigenes Buch „Magie des Lesens“, das im Reclam-Verlag erscheint, vor. Sie hat die schönsten Geschichten über das Lesen gesammelt und kommentiert sie in ihrem Buch charmant.

Nach der Vorstellung gab es begeisterten Applaus für Annemarie Stoltenberg, viele glückliche Gesichter und viele mit Notizen gefüllte Literaturlisten.

Der nächste Bücherherbst findet am 16. November 2022, also wie gewohnt am deutschen Buß- und Bettag statt.

Annemarie Stoltenberg gibt eine Leseprobe ihres eigenen Buches "Magie des Lesens". Foto: Rahel Stäcker
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