Grönland

Deutschland erwägt sicherheitspolitisches Engagement in der Arktis

Deutschland erwägt sicherheitspolitisches Engagement in der Arktis

Deutschland erwägt Verteidigungs-Engagement in der Arktis

Kopenhagen/Nuuk
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Pascal Hector hat sich in Nuuk mit der Naalakkersuisoq (Ministerin) für Außenpolitik, Vivian Motzfeld, getroffen. Foto: Deutsche Botschaft in Kopenhagen

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Bei seinem Besuch in Grönland hat der deutsche Botschafter auch die sicherheitspolitische Situation erörtert. Die geopolitische Lage des Landes, Konkurrenz der Großmächte, die Jagd nach Bodenschätzen sowie der Ukrainekrieg könnten sich auch für Europa zu einem unangenehmen Cocktail zusammenbrauen, so ein Sicherheitsexperte.

Es ist ein Bild, das man sich heute kaum noch vorstellen kann: Ein russischer und ein amerikanischer General sitzen in Reykjavik bei einer Pressekonferenz Seite an Seite und rekapitulieren den Ablauf einer Seenotrettungsübung. 

Es ist gerade mal sechs Jahre her, dass die Küstenwachen der acht arktischen Staaten die gemeinsame Übung im Rahmen des Arktischen Rates in der rauen See zwischen Island und Grönland durchführten. Selbst als die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen nach dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine einfroren, blieben die Kommunikationslinien in der Arktis intakt. Die Zusammenarbeit im Arktischen Rat funktionierte weiterhin. 

Niedrige Spannung vereinbart

Alle Parteien hatten ein Interesse daran, das Spannungsniveau niedrig zu halten. Die Motive waren nicht zuletzt wirtschaftlicher Art. Das schmelzende Eis ermöglicht den Zugang zu bislang unerreichbaren Vorkommnissen an Bodenschätzen; neue Seewege öffnen sich. Mit der Erklärung von Ilulissat einigten die Anrainerstaaten des Polarmeeres sich 2008 darauf, mögliche Konflikte um den Kontinentalsockel des Nordpols friedlich zu lösen.

Von grönländischer Seite ist man aus naheliegenden Gründen interessiert daran, dass das Spannungsniveau niedrig bleibt. Dies erfuhr auch der deutsche Botschafter in Dänemark, Pascal Hector, als er vor zwei Wochen das arktische Land besuchte. 

„Seit der Erklärung von Ilulissat ist vereinbart, dass die Arktis eine Region der niedrigen Spannung sein soll. Aber das ist angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine und des sehr aggressiven Auftretens Russlands eine größere Herausforderung geworden“, so seine Einschätzung.

Die Ilulissat-Erklärung

Am 28. Mai 2008 unterzeichneten die USA, Russland, Kanada, Norwegen und Dänemark/Grönland in Ilulissat eine Erklärung, dass sie eventuelle Konflikte um den Arktischen Ozean einmütig und mithilfe von internationalen Organen und Gesetzen lösen werden.

Vornehmlich ging es darum, den „Wettlauf auf den Nordpol“ zu verhindern. Sowohl Russland und Kanada als auch Dänemark/Grönland haben Forderungen auf den Kontinentalsockel, der sich unter dem Polareis erstreckt, gestellt.

Am 2. August 2007 pflanzte ein russisches Mini-U-Boot  am Nordpol eine Flagge in den Meeresboden. Die veranlasste den damaligen dänischen Außenminister, Per Stig Møller (Kons.), die Konferenz in Ilulissat einzuberufen, weil er einen eskalierenden Konflikt in der Arktis befürchtete.

Zum zehnjährigen Jubiläum haben die ursprünglichen fünf Unterzeichner-Staaten sowie Island, Schweden und Finnland die Ilulissat-Erklärung erneut bestätigt.

Quelle: Sermitsiaq.ag, Naalakkersuisut

Russische Aufrüstung – aber defensiv

Laut dem Sicherheitsexperten Ulrik Pram Gad verstärken sich die Spannungen in der Arktis nicht erst seit dem Angriff auf die Ukraine. Russland hat bereits vor ungefähr zehn Jahren begonnen, die Infrastruktur im arktischen Teil des Landes auszubauen, auch die militärische.

„Russland hat geschlossene Militärstützpunkte aus der Zeit des Kalten Krieges wieder eröffnet. Hinzu kommen neue, weitreichende Waffensysteme“, so Pram Gad, der sich beim Dänischen Institut für Internationale Studien (DIIS) mit sicherheitspolitischen Fragen in der Arktis befasst. 

Es bestehe zwar Einigkeit darüber, dass Russland mit dem Ausbau defensive Ziele verfolgt: „Aber die russischen Waffensysteme bedrohen jetzt auch Thule Air Base im nördlichsten Grönland.“

Der Radar auf Pituffik (Thule Air Base) wird von den USA als zentral für die eigene Sicherheit gesehen. Foto: Thomas Borberg/Politiken/Ritzau Scanpix

Der Krieg gegen die Ukraine habe bislang nicht zu einer weiteren russischen Aufrüstung geführt. Der militärische Nachrichtendienst, Forsvarets Efterretningstjeneste (FE), teilt diese Einschätzung, weist jedoch in seinem jüngsten Risikobericht darauf hin, dass sich das ändern könnte. 

Der Arktische Rat

Der Arktische Rat wurde 1996 in Ottawa gegründet. Mitglieder sind: Kanada, die USA, das Königreich Dänemark mit Grönland und den Färöern, Finnland, Island, Norwegen, Russland und Schweden.

Organisationen der indigenen arktischen Völker sind permanente Teilnehmende bei den Sitzungen. Acht europäische Staaten, hierunter Deutschland, haben Beobachterstatus. Gleiches gilt für asiatische Staaten wie China, Japan und Südkorea.

Er ist ein Organ der Zusammenarbeit in Fragen von Umwelt, Klima, Gesundheit, Seefahrt und nachhaltiger Entwicklung.

Der Arktische Rat soll sich ausdrücklich nicht mit militärstrategischen Fragen befassen. Indirekt hat er jedoch bis zum Ukraine-Krieg sicherheitspolitische Bedeutung gehabt, da er die Zusammenarbeit förderte und somit helfen konnte, Spannungen abzubauen.

Russland hat 2021 bis 2023 den Vorsitz.

Nach dem Angriff auf die Ukraine haben die sechs westlichen Staaten die Zusammenarbeit im Arktische Rat auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.

Quellen: Außenministerium, Arktischer Rat, Sermitsiaq.ag

Risiko der Eskalation

Pram Gad sorgt sich vor allem darum, dass die Zusammenarbeit im Arktischen Rat von den westlichen Staaten nach dem Angriff auf die Ukraine bis auf Weiteres eingestellt wurde. Dadurch sind auch wichtige Kontaktkanäle verloren gegangen. 

„Das Risiko, dass es zu Missverständnissen und dadurch wiederum zu einer Eskalation kommt, ist dadurch deutlich größer geworden“, sagt er.

Pascal Hector hat sich auch mit dem Vorsitzenden des Inatsisartut (Parlaments) und ehemaligen Regierungschef, Kim Kielsen, getroffen. Foto: Deutsche Botschaft in Kopenhagen

Positiv ist nach seiner Einschätzung, dass Russland weiterhin an einer Niedrig-Spannung interessiert ist. Militärische Provokationen, die in der Ostsee mittlerweile fast alltäglich geschehen, fänden in der Arktis nicht statt. 

Europäisches Engagement gefragt

Botschafter Hector hat die veränderte internationale Lage mit grönländischen Politikerinnen und Politikern sowie dem Arktischen Kommando der dänischen Streitkräfte besprochen: „Es ist sehr wichtig, dass Europa auch in sicherheitspolitischen Fragen engere Verbindungen zu Grönland knüpft.“ 

Deutsch-grönländische Freundschaft: Die deutsche Botschaft ließ anlässlich des Besuchs eine Anstecknadel mit den Flaggen beider Länder produzieren. Foto: Walter Turnowsky

Für die USA ist Grönland seit dem Zweiten Weltkrieg ein Teil der eigenen Territorialverteidigung. Von den Militärstützpunkten aus der Zeit des Kalten Krieges ist die bereits erwähnte Thule Air Base (Pitiffuk) übrig geblieben und hat in den vergangenen Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Die USA haben daher ein massives Eigeninteresse an einer militärischen Präsenz in und um Grönland.  

„Die Europäer müssen auch ihren Anteil schultern. Das tun die Dänen selbstverständlich über das Arctic Command (Arktisk Kommando), das ich auch besucht und wo ich sehr gute Gespräche mit dem kommandierenden General Søren Andersen und seinem Stellvertreter geführt habe“, so Hector. 

Deutsche Teilnahme an arktischen Militärübungen?

Dänemark hat bereits beschlossen, die militärische Überwachung der grönländischen Gewässer zu verstärken. In der politischen Absprache zur Verwendung der 143 Milliarden Kronen extra (Forsvarsforliget) ist Grönland ebenfalls als einer der zentralen Einsatzbereiche genannt.  

„Es gibt durchaus Interesse an einer engeren Kooperation mit Deutschland, eventuell in Form von gemeinsamen Übungen, und das muss man jetzt ausloten“, sagt der deutsche Botschafter.

Kritische Mineralien als Sicherheitsbedrohung

Der Sicherheitsexperte Pram Gad sieht eine weitere, womöglich noch ernstere Sicherheitsbedrohung über Europa aufziehen. Für Klima-, Umwelt und Computertechnologien werden bestimmte Mineralien, die sogenannten Seltenen Erden benötigt. Bislang kontrolliert China den Großteil der Vorkommen und besitzt die notwendige Technologie zur Bearbeitung. 

„Europa muss Versorgungsketten für diese Mineralien aufbauen, um eine strategische Unabhängigkeit zu erreichen“, meint er. 

Killavaat Alannguat (Kringlerne) in Südgrönland: Hier schlummern Seltene Erden im Fels. Foto: Tanbreez Ceo Greg Barnes/Reuters/Ritzau Scanpix

Rohstoffvorkommen in Grönland

Grönland hat einige der größten, bisher nicht erschlossenen Vorkommen dieser Mineralien. Doch die Erschließung und der Abbau sind unter arktischen Bedingungen teuer. Es ist bislang schwer gewesen, Investoren anzuziehen. 

„Ganz klar ist es, dass es wichtig ist, dass die Demokratien sich ihre Rohstoffgrundlage sichern. Und dafür ist Grönland sicherlich ein wichtiger Ausgangspunkt“, sagt Pascal Hector. 

Keine direkte staatliche Beteiligung

Der Staat könne sich jedoch nicht direkt am Bergbau beteiligen. In dieser Hinsicht ist die Situation in China anders. Die Unternehmen werden dort entweder direkt oder indirekt vom Staat kontrolliert. 

„Die Instrumente der EU-Staaten sind in dieser Hinsicht ein wenig stumpf. Sie können den Aufbau dieser strategisch wichtigen Versorgungsketten fördern und möglicherweise auch subventionieren. Selbst aufbauen können sie sie in einer Marktwirtschaft nicht“, sagt Ulrik Pram Gad.

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