Grenzland

Spielverbot für Dänen und die Nazikeule

Spielverbot für Dänen und die Nazikeule

Spielverbot für Dänen und die Nazikeule

Hatto Schmidt, freier Journalist
Nordschleswig
Zuletzt aktualisiert um:
Ronald Weigelt (IF Stjernen, links) und Wolfgang Meyer (DGF) sind als Vorsitzende ihrer Sportvereine tragende Säulen bei der Ausrichtung der Europeada. Foto: Midas

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Grenzland: Was so alles zwischen Mehrheit und Minderheit vorkommt – der „Sportfrieden von Malente“ beendete 1951 den Ausschluss dänischer Vereine vom Spielbetrieb Flensborg/Flensburg. Heute bedeutet der Sport insbesondere Stärkung für Minderheiten.

Wenn Vereine aus Nachbardörfern gegeneinander spielen, geht es oft hoch her. Der Gedanke liegt nahe, dass es umso heftiger zugehen könnte, wenn im Grenzland dänische Mannschaften gegen deutsche antreten. Das ist nicht der Fall. Aber vor 73 Jahren wurde eine Maßnahme zurückgenommen, die jahrelang eine offene Diskriminierung und Existenzbedrohung dänischer Vereine gewesen war. 

Langjährigen Fans der deutschen Nationalmannschaft ist der Ort Malente in Schleswig-Holstein vielleicht noch ein Begriff: Dort stritten die deutschen Stars 1974 nach der Niederlage gegen die DDR miteinander, dass die Fetzen flogen. Doch aus dem Konflikt entwickelte sich im DFB-Team der „Geist von Malente“, der die Mannschaft bis zum WM-Titel bringen sollte.

Wie soll es nach Nazi-Deutschland weitergehen?

23 Jahre zuvor war in dem Ort ein andersartiger Konflikt gelöst worden: Im „Sportfrieden von Malente“ wurde 1951 der Ausschluss dänischer Vereine aus dem Spielbetrieb aufgehoben, den der schleswig-holsteinische Landessportverband nach dem Zweiten Weltkrieg – in Zeiten der Konfrontation zwischen deutscher Mehrheit und dänischer Minderheit – verfügt hatte. Hintergrund war die Frage, wie es nach der Niederlage Nazi-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg im Grenzland weitergehen sollte; selbst die Wiederangliederung Südschleswigs an Dänemark stand im Raum. Der Ausschluss dänischer Vereine war die extrem diskriminierende, nationalistische Reaktion auf diese Debatten. 

Der Ausschluss hatte ungeahnte Folgen. Die dänischen Sportvereine hatten nun keine Gegner mehr, gegen die sie hätten antreten können. „Die Mannschaften fuhren nach Dänemark, um dort Spiele auszutragen“, schildert Ronald Weigelt, der erste Vorsitzende des IF Stjernen Flensborg. Doch dann hatte jemand eine zündende Idee: Gründen wir doch eigene, neue Vereine! Gesagt, getan: Aus dem bis dahin einzigen dänischen Verein in Flensburg – dem 1923 gegründeten Dansk Gymnastikforening Flensborg (DGF) – spalteten sich 180 Sportler ab und gründeten IF Stjernen. Nach diesem Vorbild entstand aus DGF heraus noch eine ganze Reihe anderer Vereine, die alle wie DGF und IF nicht nur im Fußball tätig waren. 

Der Ausschluss war aber eine politische Frage gewesen; nach 1951 war der Konflikt beendet. „Es gab auch vorher schon und erst recht nachher zwischen den Sportlern beider Seiten eigentlich keine Ressentiments“, sagt Ronald Weigelt. Natürlich wurde in der Hitze des Spiels ein Gegner auch einmal als „Scheiß-Däne“ bezeichnet, aber das sei nichts anderes als das, was auch dann vorkomme, wenn Vereine aus Nachbardörfern gegeneinander spielen, meint Weigelt.

Diskreditierung der Minderheit im Sport

Etwas kräftiger und eindeutig die Minderheit abwerten sollte das Schimpfwort „Speck-Däne“. Es wurde schon nach dem Ersten und auch wieder nach dem Zweiten Weltkrieg gebraucht, um den Adressaten als jemanden zu diskreditieren, der sich nur wegen der Lebensmittelhilfen aus Dänemark zur dänischen Minderheit hinwende, der sich von den „Reichsdänen“, wie die Däninnen und Dänen aus Dänemark genannt werden, kaufen lasse. Tatsächlich wurde damit in Abrede gestellt, dass es eine echte Minderheit gebe.

„Heute ist das alles kein Problem mehr; alles läuft friedlich und zivilisiert ab“, sagt der erste Vorsitzende von DGF, Wolfgang Meyer. Er ist ein Beispiel für die Anziehungskraft der dänischen Lebenswelt auf die deutsche Mehrheitsbevölkerung: Meyer stammt eigentlich aus Hamburg, landete während des Wehrdienstes in Flensburg, heiratete eine Dänin aus dem Norden Dänemarks und beschloss, sich in Vereine der Minderheit einzuschreiben, um soziale Kontakte zu knüpfen. Meyer war sogar lange Zeit Vorsitzender einer Sektion des Sydslesvigsk Forening (SSF), der kulturellen Hauptorganisation der dänischen Minderheit. Die Festrede zum 100-Jahr-Jubiläum von DGF vergangenes Jahr hielt Meyer – in perfektem Dänisch natürlich.

„Ideologisches steht heute total im Hintergrund“, sagt auch Ronald Weigelt, „es gibt keine sportlichen Entgleisungen.“ Er ist noch immer perplex über ganz andere Vorkommnisse aus seiner einstigen Karriere als Sportler: Wenn früher Mannschaften der Minderheit nach Dänemark oder in die Niederlande fuhren, um an Wettkämpfen teilzunehmen, wurden sie – die Minderheitenangehörigen – dort als Deutsche angesehen – und dann wurde mitunter heftig die Nazikeule geschwungen.

„Minderheit ist, wer es sein will“

Festzustellen, welches Vereinsmitglied der dänischen Minderheit angehört, ist nicht möglich; es ist nicht gewünscht und auch nicht zulässig. An der Sprache kann man die Zugehörigkeit jedenfalls nicht festmachen. Zur Minderheit zählen sich auch viele Leute, die dänische Vorfahren haben, in deren Familie die Sprache aber schon länger verloren gegangen ist. Und im Grenzland gilt: „Minderheit ist, wer es sein will.“ Zudem integrieren sich zahlreiche Mehrheitsangehörige in die Minderheit; vor allem die dänischen Privatschulen sind sehr beliebt und eine Art Magnet für deutsche Familien, die ihren Kindern mehr Chancen ermöglichen wollen, indem diese von klein auf eine zweite Sprache lernen. Dass diese Kinder dann öfter, als man es glauben sollte, zu Däninnen und Dänen werden, überrascht später viele Eltern. 

Wie geht nun ein erklärtermaßen dänischer Sportverein mit der Frage um, wer alles Mitglied sein soll? Dürfen es auch Deutsche sein? „Wir fragen keinen jungen Spieler, ob er Däne ist“, sagt Ronald Weigelt. Im Aufnahmeantrag wird allerdings abgefragt, ob die Antragstellerin oder der Antragsteller in die dänische Schule geht – das allerdings nur aus dem Grund, weil es in diesem Fall einen Zuschuss für den Verein gibt. Die Vereine sind allerdings gehalten, eindeutig klarzustellen, dass sie dänische Vereine sind; das soll jeder jungen Sportlerin und jedem jungen Sportler bei der Aufnahme klar sein. 

Es ist übrigens nicht möglich, das Training nur in dänischer Sprache abzuhalten: Etwa die Hälfte der Trainerinnen und Trainer spricht überhaupt Dänisch, und von den Sportlerinnen und Sportlern würden gar einige die Anweisungen nicht verstehen, wären sie nur in Dänisch. So wird je nach Situation die Sprache gewechselt. Mit einer Ausnahme: „Bei den Vollversammlungen und bei den Festen muss Dänisch gesprochen werden“, sagt Ronald Weigelt. Im Übrigen bieten beide Vereine dänische Sprachkurse an oder vermitteln sie über die Volkshochschule und die dänische Bibliothek. Der Sport bietet im Grenzland also nicht nur die Chance auf freundschaftliche Begegnungen, sondern auch auf die Stärkung der Minderheit.

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