Geschichte

Nordische Fabelwesen sollten die Menschen erziehen

Nordische Fabelwesen sollten die Menschen erziehen

Nordische Fabelwesen sollten die Menschen erziehen

cvt/videnskab.dk
Kopenhagen/Apenrade
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Schauergeschichten spielten nicht selten im Wald – aus dem auch so manches Fabelwesen kam. (Symbolfoto) Foto: Shapelined/Unsplash

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Fabeln: Hinterlistige Elfen, böse Flussmänner und pelzige Trolle hatten eine gesellschaftliche Funktion. Doch weshalb waren sie oft so gruselig? Die Antwort findet sich in der Psychologie.

Wer hat noch nicht von den Elfen gehört? Das legendäre Volk, das tief in den Wäldern lebt und dessen magische Tänze und verführerische Zauberei die Menschen um den Verstand bringen und ihnen Krankheiten und Schmerzen zufügen kann.

Oder wie wäre es mit dem Flussmann, auch Wassergeist oder Nöck genannt, der sich in den Tiefen des Sees versteckt und verlockende Melodien auf seiner Geige spielt, die die Menschen dazu bringen, in den See zu gehen, um sich zu ertränken?

Der Flussmann lockte Menschen ins Wasser und verlangte Menschenopfer für den Fang der Fischer. Foto: Stormseeker

Lange lebten Folklore und Christentum nebeneinander

Bis vor etwas mehr als hundert Jahren koexistierte die nordische Folklore mit dem Christentum. Dorfbewohner benutzten mythische Figuren, um Ereignisse zu erklären, die sie nicht verstanden.

„Wir brauchen nicht sehr weit in der Geschichte zurückzugehen, bevor biochemische Zerfallsprozesse im Körper mit Vampiren verwechselt wurden. Wir können uns das Gleiche mit Elfen vorstellen“, sagt Mathias Clasen, außerordentlicher Professor an der Abteilung für Kommunikation und Kultur an der Universität Aarhus, zu Videnskab.dk.

Der Flussmann lebt in Seen und Flüssen und beherrscht die Kräfte des Wassers, das Leben geben und nehmen kann. Er sorgt dafür, dass die Fischer Fische fangen, aber als Lohn verlangt er jedes Jahr ein Menschenopfer. Foto: Johanne Schrøder Baggesen/Videnskab.dk

Fabelwesen erklärten das Unerklärliche

  • Im 18. Jahrhundert fegte das, was als Vampir-Epidemie wahrgenommen wurde, durch Europa.
  • Es begann mit ungeklärten Todesfällen. Um die Todesursache zu finden, wurden Gräber geöffnet und einige der Leichen hatten frisches Blut um den Mund, waren aufgedunsen und hatten sich im Grab bewegt.
  • Die Besonderheiten wurden damit erklärt, dass die Leichen Vampire waren.
  • Heute wissen wir, dass eine Ansammlung von Fäulnisgasen in Leichen zu Blähungen führen kann, Körperflüssigkeiten aus Körperöffnungen quetschen und sogar Leichen in Bewegung bringen kann.

Quelle: Mathias Clasen, „Monstre“, Aarhus Universität, 2012

Fabelwesen dienten als Erklärung für psychologische Phänomene

Er fährt fort: „Wenn ein Mann auf dem Dorf manisch-depressiv war, dann würde man sein Verhalten nicht mit einem biochemischen Ungleichgewicht im Gehirn erklären. Man würde sagen, dass er auf einem Elfenhügel eingeschlafen ist.“

Mathias Clasen ist der wissenschaftliche Berater für die Ausstellung „Gys – Væsner i mørket“ (Schauder – Wesen im Dunkeln), die bis zum 12. Dezember 2021 im Museum Dorf Møllegård in Dronninglund, Nordjütland, zu sehen ist.

Die Ausstellung beschäftigt sich damit, welche Funktion die dunklen Volksmärchen in der Gesellschaft, in der sie entstanden sind, hatten.

„Die Erzählungen von Fabelwesen wurzeln in der Idee, dass alles in der Natur beseelt ist und sich an uns rächen wird, wenn wir dagegen vorgehen. Die Natur kann uns helfen, aber sie kann uns auch zerstören“, sagt Johanne Schrøder Baggesen, Kuratorin im Museum Dorf Møllegård in Dronninglund.

Ein Mittel in der Kindererziehung

Gerade weil die Menschen in der Vergangenheit ein Leben voller Gefahren führten, können die nordischen Volksmärchen nützliche Hilfsmittel bei der Kindererziehung gewesen sein.

„Wenn Bauern wollten, dass ihre Kinder sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten, erzählten sie Geschichten über die schrecklichsten Dinge, die passieren konnten, wenn Kinder sich falsch verhielten2, sagt Mathias Clasen.

Auf diese Weise hatten die Volksmärchen vielleicht den gleichen Verhaltenseffekt wie das Christentum, wo man in die Hölle kommen kann, wenn man die Frau seines Nachbarn begehrt.

Einige der Geschichten sind so schrecklich, dass die meisten Menschen sie heutzutage wahrscheinlich nicht mehr sehr jungen Kindern erzählen würden.

Wechselbalg
Die Geschichte vom Wechselbalg im Wald von Rold handelt von einem Paar, dessen Sohn im Alter von acht Jahren die Größe eines Dreijährigen hat, jedoch mit großem Kopf und kräftigen Gliedmaßen. Die Eltern glauben, dass er ein Wechselbalg ist, schlagen ihn und werfen ihn aus dem Haus. Dann taucht eine böse alte Frau aus dem Wald auf, wirft dem Paar die richtigen Kinder vor die Füße und nimmt den Wechselbalg mit sich. Foto: Anne Sophie Thingsted/Videnskab.dk

Wechselbalge sorgten für Angst und Schrecken – und artige Kinder

Da wären zum Beispiel die Geschichten, in denen sich Elfen in die Häuser der Menschen schleichen, ihre neugeborenen Babys aus der Wiege nehmen und stattdessen eines ihrer eigenen Babys hineinlegen.

Wenn sie geboren werden, sehen sie wie Menschen aus, sodass die Familie den Wechsel normalerweise nicht sofort bemerkt. Doch allmählich beginnt der Wechselbalg wie ein Troll mit einem großen, pelzigen Kopf auszusehen, und dann erkennen die Eltern, dass ihr echtes Kind von den Elfen entführt wurde. Diesen Verdacht wollten die Kinder damals natürlich am liebsten nicht aufkommen lassen.

Die Unheimlichkeit der Volksmärchen könnte die Funktion gehabt haben, dass die Menschen sich an die Geschichten erinnern, schätzt Mathias Clasen.

„Es ist in der psychologischen Forschungstradition weithin anerkannt, dass es einige Arten von Kultur gibt, die besonders lebensfähig sind. Geschichten mit gruseligem Inhalt scheinen eine davon zu sein“, sagt er.

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