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„Rasenschach in Brüssel – oder wie Ursula die EU-Schlussrunde spielen wird“

Rasenschach in Brüssel – oder wie Ursula die EU-Schlussrunde spielen wird

Ursula spielt in Brüssel Rasenschach

Kopenhagen
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Hinter den Kulissen wird derzeit um die EU-Posten geschachert. Es steht fest, dass Ursula von der Leyen erneut Präsidentin der Europäischen Kommission wird. Unklar ist jedoch, wen sie in ihre Mannschaft holt, lautet die Einschätzung von Walter Turnowsky.

Bei der Europäischen Meisterschaft im Herrenfußball ist Rasenschach überhaupt nicht beliebt – zumindest nicht beim Publikum.  

Wenn der Ball im Mittelfeld nur durch die Gegend geschoben wird, kommt schnell gähnende Langeweile auf. Man eilt zum Kühlschrank und holt eine weitere Dose von der Palette Bier, die man vorsorglich bei Calle besorgt und eingelagert hat (Fußballfans waren schon immer gut im Prepping). 

Wer die Politik in Brüssel nach der Europawahl verfolgt, wird so einige Querpässe hinnehmen müssen. Wobei es immerhin eine Erleichterung ist, dass das Ganze nicht direkt übertragen wird.

Nur Vorspiel und Nachspiel

Wenn ich genauer überlege, ist die Erleichterung dann so groß auch wieder nicht. Denn das ganze, fast unendlich erscheinende Vorgeplänkel wird uns durchaus zugemutet, und die nicht enden wollenden Analysen und nichtssagenden Kommentare danach auch. Nur das Spiel selbst wird nicht übertragen.

Das ist dann ein wenig so, als wenn es an einem erotischen Abend zwar ein Vorspiel und Nachspiel gibt, aber das dazwischen ausbleibt. Und auch rein demokratisch gesehen ist das alles mehr als nur ein wenig unbefriedigend. 

Nun habe ich momentan auch nichts anderes als Vorspiel anzubieten. Wem das nicht ausreicht, sollte vielleicht nicht weiterlesen, sondern sich lieber seiner Partnerin oder seinem Partner zuwenden.

Wer darf in die Mannschaft?

Ah, ich sehe, einzelne von Euch sind noch dabei, also sollte ich doch lieber weiterschreiben. Und, solltest du es in der Unterüberschrift übersehen haben, Ursula von der Leyen wird erneut Präsidentin der Europäischen Kommission. Das getraue ich mich, ohne Vorbehalt zu sagen, beziehungsweise zu schreiben. 

Doch danach beginnen die Vorbehalte, beziehungsweise die Querpässe. Denn die erste Frage ist, wer Ursula als Mannschaftskapitänin unterstützen möchte. Zunächst wären da die Managerinnen und Manager vom Europäischen Rat, also dem Rotary Club der EU-Regierungen. Diese werden von der Leyen weiterhin unterstützen. 

Doch sie braucht auch die Spielerinnen und Spieler aus dem Europaparlament, und hier sieht die Sache gleich ein wenig anders aus. Zwar kann die bisherige Truppe bestehend aus der sozialdemokratischen, der liberalen und der konservativen Fraktion, weiterhin eine ganze Mannschaft stellen, aber viele Verletzungen, rote Karten und Mannschaftswechsel darf es nicht geben, bevor das alles ein wenig ungemütlich wird.

Grüne Torflaute

Also, wen ins Boot beziehungsweise in die Truppe holen? Da wären auf der einen Seite die Grünen und damit hätte Ursula rein inhaltlich kaum ein Problem. Doch haben die, außer in den nordischen Ländern, bei der Wahl nur schlechte Spiele hingelegt. Außerdem sind sie in von der Leyens eigenen konservativen Truppe nicht bei allen sonderlich beliebt - das gilt nicht zuletzt für die CDU und CSU. 

Dann wäre da noch der eine der beiden rechten Flügel, und zwar jener, der den Mittelstürmern gerne den Rang streitig machen möchte. Dieser heißt ECR und die Dänemarkdemokraten haben sich ihm soeben angeschlossen. Die Spielerinnen und Spieler unter Trainer Viktor Orbán aus Ungarn dürfen jedoch nicht in der Mannschaft mitspielen.

Das russische Abseits

Das hat so einiges mit Orbáns Sicht auf den Krieg in der Ukraine zu tun. Wer in den Verdacht gerät, etwas zu eng mit Wladimir Putin zu kuscheln, tappt nämlich sehr schnell in die europapolitische Abseitsfalle. Und die zwei starken Frauen dieser Gruppierung, Giorgia Meloni aus Italien und Marine Le Pen aus Frankreich, fühlen sich im Abseits so überhaupt nicht wohl. 

Sie haben beide in den vergangenen Jahren hart daran gearbeitet, sich anspielbar zu machen. Daher könnte von der Leyen in Verlockung geraten, den Steilpass zum rechten Flügel zu wagen, der sich schon fast in freier Position vor dem Tor befindet. 

Wie erwähnt, würde das der Unterstützung für die Ukraine keinen Abbruch tun. Was den Einsatz gegen den Klimawandel anbelangt, könnte es jedoch bedeuten, dass die EU die kommenden fünf Jahre auf Zeit spielt. Und einen Schiedsrichter, der denn diesen Fehltritt abpfeifen könnte, gibt es nicht. 

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