Analyse

Drahtseilakt in der Arktis

Drahtseilakt in der Arktis

Drahtseilakt in der Arktis

Kopenhagen
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Zwei Drohnen ähnlich dieser sollen die Gewässer vor Grönlands Ostküste überwachen. Foto: Lealan Buehrer/AFP/Ritzau Scanpix

Mit Drohnen zur Überwachung bei Grönland reagiert die dänische Regierung auf die steigende Spannung und das Rivalisieren der Großmächte in der Arktis. Gleichzeitig versucht man, Russland nicht unnötig zu reizen. So lautet die Analyse von Kopenhagenkorrespondent und Grönlandkenner Walter Turnowsky.

Mitten im Nordatlantik gibt es eine Lücke. Selbstverständlich geht es hier nicht um eine buchstäbliche Lücke. Dennoch kann man durch sie hindurchschlüpfen. Dies gilt unter anderem für russische U-Boote.

Die GIUK-Lücke ist ein Begriff der militärischen Marinesprache. Er beschreibt ein Seegebiet zwischen Grönland, Island und Großbritannien (UK), in dem die westliche Allianz gegenüber militärischen Aktivitäten von zum Beispiel russischer Seite relativ blind ist. 

Um diese Blindheit teilweise zu beheben, hat die dänische Regierung nun mit einer Mehrheit der Folketingsparteien vereinbart, 1,5 Milliarden Kronen extra für Verteidigungszwecke in der Arktis abzustellen. 750 Millionen davon sollen für zwei Drohnen verwendet werden, die vor Grönland patrouillieren sollen. Weitere 390 Millionen Kronen sollen für ein Luftwarnsystem auf den Färöern eingesetzt werden. 

 

Seit Ende des Kalten Krieges war die Arktis ein Gebiet der niedrigen Spannung. Sämtliche Anrainerstaaten, auch die Großmächte USA und Russland, hatten ein Interesse daran, dass dies so war. Doch die Situation hat sich geändert. Im vergangenen Dezember schrieb der militärische Nachrichtendienst FE (Forsvarets Efterretningstjeneste) in seiner jährlichen Risikoeinschätzung: „Die Entwicklung in der Arktis wird zukünftig von einem angespannten Verhältnis zwischen den Großmächten USA, China und Russland geprägt werden.“

Klimawandel löst Aufrüstung aus

Und mitten in diesem Spannungsfeld liegt die dänische Reichsgemeinschaft – oder genauer gesagt liegen die selbstverwaltenden Gebiete Grönland und die Färöer. 

Eine der Ursachen ist der Klimawandel und das dadurch schwindende Eis. Dies bedeutet nämlich, dass die Seeroute nördlich um Russland zunehmend an Bedeutung gewinnt. Das führt wiederum dazu, dass Russland einen stärkeren Bedarf sieht, das Gebiet zu überwachen und rüstet daher auf. Auch hat das Eis bisher einen natürlichen Schutz geboten, der nun jedoch verschwindet. Russland fühlt sich unzureichend vor einem möglichen amerikanischen Raketenangriff über den Nordpol hinweg geschützt.

Nach FE-Einschätzung ist die russische Aufrüstung weiterhin in erster Linie defensiv ausgerichtet, hat jedoch in steigendem Maß auch ein offensives Potenzial. Von einem der arktischen Stützpunkte aus können russische Kampfflugzeuge Grönland und damit auch die amerikanische Thule Air Base erreichen. 

US-Aufrüstung

Dies macht selbstverständlich wiederum die USA nervös. Die Vereinigten Staaten rüsten daher ihrerseits auf. FE erwartet unter anderem verstärkt Jagden auf russische U-Boote, die versuchen, durch die GIUK-Lücke zu schleichen. An der grönländischen Ostküste sind wiederholt russische U-Boote gesichtet worden, doch die Überwachung ist sparsam bis nicht existent. 

China verfolgt seine Interessen in der Arktis, indem es strategische Ziele mit wirtschaftlichen verknüpft. 

Alle drei Großmächte wollen in der Arktis Stärke zeigen. 

Zwischen Reaktion und niedriger Spannung

In dieser Gemengelage sollen die Drohnen gleich mehrere Probleme lösen. Erstens sollen sie selbstverständlich dem offensichtlichen Problem mit der mangelhaften Überwachung bei Ostgrönland begegnen. Somit kann das Königreich seinen Teil der GIUK-Lücke schließen.

Gleichzeitig möchte man jedoch die russische Seite so wenig wie möglich provozieren, um die Spannung nicht noch mehr steigen zu lassen und damit weitere russische Rüstungsschritte auszulösen. Hier ist eine verstärkte Überwachung durch Drohnen und ein Luftwarnsystem ein betont defensiver Schritt, von dem man hofft, dass er im Kreml nur relativ geringe Besorgnis auslösen wird.

Verteidigungsministerin Trine Bramsen muss sehr unterschiedliche Interessen gegeneinander abwägen. Foto: Emil Helms/Ritzau Scanpix

USA wollen in Grönland aufrüsten

Die Drohnen sind gleichzeitig auch eine Antwort an die USA, die ein stärkeres dänisches Engagement in Grönland einfordern. Gleichzeitig engagieren sich die Vereinigten Staaten seit vier bis fünf Jahren aus strategischen Gründen immer stärker in Grönland. So will man Flughäfen mit dem Ziel mitfinanzieren, dass diese auch militärisch genutzt werden können.

Will die Reichsgemeinschaft die Verteidigung Grönlands nicht gänzlich den Vereinigten Staaten überlassen, so muss man sich selbst stärker engagieren. Hier ist eine deutlich verstärkte Überwachung ein Beitrag, der einerseits für die USA wertvoll und andererseits auch finanzierbar ist. 

Grönland berücksichtigen

Außerdem, und auch das ist nicht unwesentlich, es ist ein Beitrag, der auch von einem nach Selbstbestimmung strebenden Grönland angenommen werden kann. Denn die verstärkte Überwachung kann auch die zivile Sicherheit in Grönland verbessern. 

Verteidigungsministerin Trine Bramsen (Soz.) ist seit Amtsantritt bestrebt, ein gutes Verhältnis zu Grönland zu pflegen. 

Spannungen werden steigen

Als ob der Drahtseilakt nicht schon kompliziert genug ist, so ist ein verstärktes Engagement der Nato in der Arktis problematisch, weil dies wiederum von der russischen Seite argwöhnisch beobachtet wird. 

Nach dem Wake-up-Call durch Donald Trumps Angebot, Grönland zu kaufen, versuchen die Regierung und die Parteien nun, die Balance zwischen den gegensätzlichen Interessen in der Arktis zu wahren. 

Außer Frage steht, dass die Arktis in den kommenden Jahren noch stark an Bedeutung gewinnen wird. Die Region wird einer der wichtigsten Schauplätze des Wettbewerbs zwischen den drei Großmächten werden – wenn sie es nicht bereits ist. 

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