Vortrag

SH im Jahr 2030: So bleiben wir die glücklichsten Menschen

SH im Jahr 2030: So bleiben wir die glücklichsten Menschen

SH im Jahr 2030: So bleiben wir die glücklichsten Menschen

Kay Müller/shz.de
Kiel
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Laut dem Glücksatlas, den die Deutsche Post jedes Jahr mit einer Umfrage erstellt, sind die Schleswig-Holsteiner die glücklichsten Menschen Deutschlands– und können es auch bleiben, glaubt ein Kieler Wissenschaftler. Foto: Sina Schuldt

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Der Verwaltungs- und Staatswissenschaftler Utz Schliesky über seine Perspektiven für Schleswig-Holstein im Jahr 2030.

Hier darf er mal das sein, was er gern ist: Wissenschaftler. Denn als solcher hält der Landtagsdirektor Utz Schliesky am Donnerstagabend einen Vortrag bei der CDU-nahen Hermann-Ehlers-Akademie in Kiel – online und für jeden via Livestream zu verfolgen. Darin entwirft der Jurist nicht mehr und nicht weniger als eine Perspektive für Schleswig-Holstein für die 20er-Jahre. 

„Es geht darum, wie wir im Norden im Jahr 2030 leben können und wollen“, sagt Schliesky, der seinen Vortrag in Abschnitte von A bis Z unterteilt hat. Seine These: „Wir können im Jahr 2030 ganz toll leben, wenn wir ein paar Dinge umsetzen, die ich vorschlage.“ Allerdings müssten die Menschen anders als vielfach in der Vergangenheit, mehr dafür tun, sagt er etwas provokant. Politik allein könne nur Impulse geben, leben müssten das die Menschen. 

 

Vortrag wird im Internet gestreamt 

 

Als Verwaltungswissenschaftler weiß er selbst, dass er sich damit angreifbar macht, aber das stört Schliesky nicht besonders. „Laut Glücksatlas leben in Schleswig-Holstein die glücklichsten Menschen in der Bundesrepublik – und das können wir auch bleiben.“ Schlieskys Stichworte reichen von „A“ wie Algorithmenbeherrschung über „H“ wie Heimat bis „Z“ wie Zukunftsindustrien. Wir haben exemplarisch einige unter verschiedenen Stichwörtern gebündelt. 

D wie Digitalisierung 

„Die Staatsgewalt muss auch wieder in Räume gelangen, die sich ihr in der Vergangenheit entzogen haben“, fordert der Jurist, der dafür einen plastischen Vergleich hat. 

 

Wenn in der Disco Randale ist und da einer umgebracht wird, dann gehen wir ja auch nicht zum Türsteher und bitten ihn, für Ordnung zu sorgen, sondern wir rufen die Polizei und die stürmt den Laden.

Utz Schliesky, Wissenschaftler

 

So ähnlich müsse es auch in der digitalen Welt laufen, in der man nicht die Aufstellung der Regeln einigen wenigen Konzernen überlassen dürfe. Deswegen bemüht Schliesky den nächsten Vergleich: Viele Menschen hätten Angst vor einer voranschreitenden Digitalisierung. Das sei in etwa so wie zu Beginn der friedlichen Nutzung der Kernenergie. „Damals hat der Staat auch nicht gewusst, wie man mit dieser Technik umgehen soll“, sagt Schliesky. Also habe man Experten befragt, ein Atomgesetz und eine Atomaufsicht geschaffen. „Es gab also eine Verständigung darüber, wie die Kernenergie genutzt werden soll – und dadurch hat sie einen großen Teil ihres Schreckens für viele Menschen verloren“, meint Schliesky. Es gehe ihm dabei nicht um die Atomkraft, sondern darum, dass man es bei einer gefährlichen Technologie schon einmal geschafft habe, durch rechtliche Normierung und die Schaffung von Verwaltungssachverstand in Form einer staatlichen Aufsicht die Risiken für die Bürger zu minimieren.

Lehrt und forscht am Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Universität Kiel: Prof. Dr. Utz Schliesky. Foto: Landtag Schleswig-Holstein

 

 

 

 

Dass aber ein großer Teil der Bevölkerung die Atomenergie durchaus kritisch sah und in Opposition zum Staat ging, sagt er nicht – genauso wenig, dass Experten und Politik sich keine Gedanken um die strahlenden Hinterlassenschaften des Atomzeitalters gemacht haben. Für Schliesky zählt bei dem Vergleich vor allem, dass neue Techniken, politisch in den Griff zu bekommen sind. Das sei etwa bei der Beherrschung der Künstlichen Intelligenz nötig. Und wo im Internet die Bürgerrechte verletzt werden, müsse der Staat seine Einwohner schützen. 

Dass so ein Markteingriff nur schwer umsetzbar sein wird, erkennt auch Schliesky. „Es ist aber die Meinung von Lobbygruppen, dass das Netz nicht kontrollierbar ist.“ Nur wer deren Macht begrenze, könne die Akzeptanz der Bevölkerung in die Digitalisierung steigern. Dass es technisch gehe, zeigten Staaten wie China oder der Iran, deren Politikmodell der Jurist allerdings nicht auf Deutschland übertragen will. „Ich sage nur, dass es technisch geht, Menschen vor einzelnen Inhalten zu schützen.“ Es gab schon Politiker wie die heutige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die deswegen von Kritiker den Beinamen „Zensursula“ bekommen hat. 

E wie Energiewende 

Utz Schliesky macht keinen Hehl daraus, dass ihm die Reform des Erneuerbare Energiengesetzes auf der Seele lastet. „Es leuchtet mir nicht ein, dass wir für Strom bezahlen, der abgeregelt wird.“ Statt dessen müsse der Norden mehr daran arbeiten, dass in Schleswig-Holstein produzierter Strom im Land weiterverwendet wird. Damit meint der Jurist nicht, dass sich Schwerindustrie oder andere energieintensive Unternehmen in Schleswig-Holstein ansiedeln sollten. 

Aber wir können uns entscheiden, ob wir den hier produzierten Strom nur per Leitung in den Süden bringen oder hier etwas damit machen.

Utz Schliesky, Verwaltungs- und Staatswissenschaftler

 

Denn es laufe ein Wettkampf darum, wem es als erstes gelinge, Energie etwa in Wasserstoff umzuwandeln, um sie überall nutzbar zu machen. „Die Wertschöpfung muss hier in Schleswig-Holstein bleiben. Wir können die Nummer eins der Energieverarbeitung in Deutschland werden.“ 

Optisch werde das Land sich nicht groß verändern, so Schliesky. Denn die Turbinen der Windräder würden effizienter, der Ausbau auf See weiter vorangehen. „Allenfalls wird es mehr Solar- und Gründächer geben.“ 

L wie ländlicher Raum 

„Es ist ein Thema, das mir am Herzen liegt“, sagt Schliesky über das Leben auf dem Land. Damit das auch 2030 lebenswert ist, schlägt er öffentlich-rechtliche Genossenschaften vor. Bislang sei die Gründung von Genossenschaften nur durch Private möglich. „In dem man aber Staat und Menschen näher zusammenbringt, könnte daraus mehr Leben auf dem Land entstehen.“ So könnten etwa Bürger Anteile kaufen und damit als Genossen dafür sorgen, dass etwa Sparkasse, Lebensmittelladen oder Apotheke im Ort bleiben würden, die auch Teil der Genossenschaft seien. Dann würden die Bürger diese Einrichtungen auch stärker nutzen. 

Bei Bürgerwindparks sei das ebenfalls möglich, auch hier könne der Staat noch stärker einsteigen. Und Schliesky kann sich solche Modelle auch für Kindergärten oder Arztpraxen vorstellen, wenn Kommunen ebenfalls beteiligt werde. „Das erhöht die Bindung der Menschen an ihren Wohnort.“ 

L wie Landwirtschaft 

Die Energiewende biete auch für die Landwirtschaft viele neue Möglichkeiten, weil es die Einkommensverhältnisse auf dem Land ändern könne. Eine „Rückkehr zur Dreifelderwirtschaft“ hält Schliesky für möglich. Viele Bauern würden ihm dafür einen Vogel zeigen, aber für Schliesky ist klar, dass sich die Subventionspolitik der EU ändern wird – noch stärker zu einer Förderung von extensiver Landwirtschaft. Die Umstellung auf eine nachhaltigere Produktion könne auch Perspektiven für den Tourismus haben, so der Jurist. 

T wie Tourismus 

„Der Norden wird lebenswert sein, und deswegen für Touristen attraktiv bleiben“, prognostiziert Schliesky. Denn es gebe eine hohe Lebensqualität, die Luft bleibe sauber – und Schleswig-Holstein könne bei touristischen Angeboten die positiven Seiten der Digitalisierung nutzen. „Warum nicht in Verbindung mit einem digitalen Haus der Geschichte Schleswig-Holsteins literarische Reisen durch den Norden erlebbar machen?“, fragt Schliesky. Der Urlauber könne am heimischen Bildschirm eine „Literatour“ unternehmen – und später in echt „erfahren“, etwa von Husum über Flensburg nach Lübeck. „Also von Theodor Storm über Robert Habeck bis zu Thomas Mann“, sagt Schliesky schmunzelnd. 

V wie Verwaltungsreform 

„Wir müssen eine neue Arbeitsteilung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft hinbekommen“, fordert der Wissenschaftler. „Wir haben 140 Kommunalverwaltungen im Land, man könnte die Arbeit aber mit 40 schaffen.“ An Verwaltungsreformen hat sich schon mancher Politiker die Zähne ausgebissen, nichtsdestotrotz glaubt Schliesky daran, dass sie gelingen kann. 

Bei Land, Kreis, Ämtern und Gemeinden sei eine Verwaltungseinheit zu viel. Deswegen plädiert er für die Zusammenlegung von Kreisen und Ämtern, die dann zum Teil den Verwaltungseinheiten entsprechen, die es vor der Kreisreform in den 70er Jahren gab – etwa mit einem Kreis Norder- und Süderdithmarschen, oder einer Teilung von Rendsburg und Eckernförde, die es zumindest schon auf Autokennzeichen gibt. „Das Amt Südtondern zeigt, dass hauptamtliche Verwaltung für 40.000 Einwohner funktionieren kann und wir da nicht noch kleinräumlicher werden müssen“, meint Schliesky. Das schließe natürlich kreisfreie Städte aus. 

Z wie Zufriedenheit 

Wohl nicht alle von Schlieskys Thesen sind umsetzbar, die meisten streitbar – und manche unkonventionell. „Mich hat gestört, dass wir uns mit vielen negativen Dingen auseinandersetzen müssen – und ich wollte dagegen einen positiven Akzent setzen und zeigen, was alles gehen kann“, sagt Schliesky. Das traut sich nicht jeder Wissenschaftler. Eines sind Schlieskys Thesen jedenfalls nicht: langweilig. Und mehr als einen Gedanken sind sie wert. 

Und, Herr Professor, wie sieht der Norden aus, wenn alles so kommt, wie Sie es vorschlagen? Schliesky: „Lebens- und liebenswert. Schleswig-Holstein wird immer noch das Land der glücklichsten Menschen sein – wenn wir alle daran arbeiten.“ 

Heute, 6. Mai, um 19 Uhr beginnt der Livestream des Vortrages auf der Webseite der Hermann-Ehlers-Akademie.

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