Karriere

Wie Florian Gless Chefredakteur beim „stern“ wurde

Wie Florian Gless Chefredakteur beim „stern“ wurde

Wie Florian Gless Chefredakteur beim „stern“ wurde

Gernot Kühl/shz.de
Eckernförde
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Florian Gless ist als Chefredakteur des „stern“ ein Journalist mit bundesweiter Präsenz. Er kommt immer wieder gerne in seine alte Heimat Eckernförde und Altenhof zurück. Foto: Privat

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Von der Schülerzeitung „Nebelhorn“ auf den Chefsessel beim „stern“ - Florian Gless (53) hat es geschafft.

Florian Gless ist ein 68-er Jahrgang: ausgeprägte norddeutsche Geschmacksnoten mit viel internationalem Flair, im Küstenklima gereift und mit anregend-lebendiger Ausdruckskraft. Was sich wie die Beschreibung eines vortrefflichen Weines liest, liegt angesichts der Vita dieses herausragenden Journalisten und Blattmachers gar nicht so fern: Vater Carl-Dietrich Gless ist ein exzellenter Weinexperte, der seine Leidenschaft zu seinem Beruf gemacht hat, viele Jahre Produktionsleiter und Weineinkäufer für das Kieler Handelshaus Bartels + Langness war und auch im gesetzteren Alter sein Publikum noch immer mit einzigartigen Weinproben zu begeistern versteht. 

 

Das ist Rock'n'Roll.

Florian Gless über seine Arbeit als Chefredakteur des "stern"

 

Nun sind Wein und Journalismus Zweierlei, aber es gibt Schnittmengen: Geschmack, Gefühl, Neugierde, Leidenschaft und Kreativität. Florian Gless hat so einiges davon mit seinen Eltern in Eckernförde gemein. Tugenden und Fähigkeiten, die unerlässlich sind für seine herausgehobene Position im deutschen Journalismus: Florian Gless ist Chefredakteur des „stern“. Traumjob und harte Arbeit, in der Regel 24/7. „Das ist Rock'n'Roll“, sagt Gless. Seit dem 1. Januar 2019 verantwortet Gless das zusammen mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ bedeutendste Wochenmagazin Deutschlands gemeinsam mit seiner Chefredakteurskollegin Anna-Beeke Gretemeier.

Florian Gless hat eine hohe emotionale Verbindung zu Eckernförde und Altenhof. Foto: Privat

Gless kommt aus Eckernförde, lebt aber – wie sollte es auch sonst funktionieren – in Hamburg. Kurze Wege zur Redaktion ins Verlagshaus an der Elbe, obgleich er seit über einem Jahr im Homeoffice arbeitet. Das ist nur vom Outfit her legerer als in seinem Chefredakteursbüro – der Job fordert ihn auch zwischen Arbeitszimmer, Küche und Balkon nahezu rund um die Uhr. Was zählt ist das, was bis Montagnacht im System steht und am Donnerstag in ganz Deutschland zu lesen ist. Parallel geht es rund um die Uhr auch um die Online-Präsenz der Marke. 

Journalismus zwischen Druck und Anspruch 

Druck und Anspruch sind extrem hoch beim „stern“. Florian Gless kennt es nicht anders und kommt damit gut klar. Weil er für die Geschichten brennt, denen er und seine 200 Kollegen täglich nachspüren. Weil er Akzente setzen und mit seinem Magazin etwas bewegen will in Deutschland. 

Gerade jetzt in Zeiten von Corona und beginnendem Wahlkampf erleben wir ein ständiges Auf und Ab der Themen.

Florian Gless

 

Um das zu erreichen, schont er weder sich noch andere. „Unsere Leser haben ein Recht auf Erstklassigkeit“, sagt Gless. Und auf Aktualität. Da wird dann auch mal kurz vor Andruck eine Titelgeschichte verworfen. „Gerade jetzt in Zeiten von Corona und beginnendem Wahlkampf erleben wir ein ständiges Auf und Ab der Themen.“ Vor kurzem hat der Chefredakteur selbst nach einer unruhigen Nacht losgelegt und kurzfristig eine neue Titelgeschichte geschrieben über das politische Versagen in der Pandemie. „Das war schon stressig. Aber es war an der Zeit, das unprofessionelle Krisenmanagement zu geißeln. Und die Ausgabe hat sich dann auch ganz gut verkauft.“ Bequemlichkeit geht anders und ist so gar nicht die Sache von Florian Gless, der ein feines Gespür für Themen hat, Dinge in Frage stellt, nachhakt, Zusammenhänge herstellt und permanent versucht, das Maximale aus den „stern“-Geschichten herauszuholen. 

Die Story mit dem angeblich vergifteten Apotheker-Sohn 

Wie am Anfang seiner Karriere im Fall des angeblich von Neonazis getöteten Joseph in Sebnitz. Ende 2000 Damals war Florian Gless „stern“-Reporter im Ressort „Deutschland aktuell“. Die Tat lockte die internationale Presse in die sächsische Kleinstadt, weil dort angeblich etwas Unglaubliches geschehen war. „Das ging um die Welt“, sagt Gless. Die Eltern des toten Jungen, ein Apotheker-Paar, hatten eine Neonazi-Bande beschuldigt, ihren Sohn (6) vergiftet und ertränkt zu haben. „Aber irgendwas stimmte nicht“, erzählt der heutige „stern“-Chef. Der Instinkt trog nicht: Zusammen mit seinen drei „stern“-Kollegen prüfte er die zahlreichen eidesstattlichen Versicherungen angeblicher Zeugen und fand heraus, dass das Apotheker-Paar die Aussagen manipuliert hatte, um vom eigenen Fehlverhalten – der Verletzung der Aufsichtspflicht – abzulenken. Ein perfides Spiel, das der „stern“ aufdeckte und zu einer Titelgeschichte machte. 

Wir verlassen hin und wieder den Spielfeldrand des Beobachters.

Florian Gless

 

Und auch sonst ist vieles passiert, um das Trauma der vermeintlichen Hitler-Tagebücher aus dem Jahr 1983 – eigentlich mehr als verjährt, aber bei den älteren Lesern immer noch präsent – vergessen zu machen. Mit guten Storys, beeindruckenden Foto-Reportagen und dem engagierten Eintreten für Dinge, die dem „stern“ wichtig sind. Wie die Ausgabe in Zusammenarbeit mit der „Fridays-for-Future“-Bewegung oder jüngst die Bundestags-Petition mit über 350.000 Unterschriften für mehr Rechte und mehr Einkommen für Pflegerinnen und Pfleger. „Wir verlassen hin und wieder den Spielfeldrand des Beobachters“, sagt Gless zu dieser aktiven gesellschaftlichen Rolle des Magazins. 

Der 1948 von Henri Nannen gegründete „stern“ sei schon immer eine Marke gewesen, „die mitmischen kann und will“. Wie bei den Ostverträgen, der Russlandhilfe oder dem Einsatz gegen rechte Gewalt. 

Ich hätte nie gedacht, dass ich dort mal arbeiten würde, geschweige denn Chefredakteur werde - Wahnsinn!

Florian Gless

 

Aber die schillernden Vorkommnissen der Vergangenheit, die waren vor der Zeit von Florian Gless. Als damals 15-jähriger Jungmannschüler in Eckernförde dürfte er 1983 ganz andere Dinge im Kopf gehabt haben als irgendwelche Tagebücher. Der „stern“ steckte allerdings auch damals schon jeden Donnerstag im Briefkasten der Familie Gless, und der Filius konnte sich an den Geschichten und Fotos begeistern. „Ich hätte nie gedacht, dass ich dort mal arbeiten würde, geschweige denn Chefredakteur werde - Wahnsinn!", sagt Florian Gless immer noch voller Leidenschaft. 

Deutschlehrerin Heide Stein gab den entscheidenden Impuls 

Dass es ihn überhaupt in den Journalismus getrieben hat und nicht zum Beispiel in ein Büro für Landschaftsarchitektur, ist ein Verdienst seiner Deutschlehrerin Heide Stein vom Eckernförder Jungmann-Gymnasium. Sein Reportage-Thema in der Quarta (7. Klasse) war der Winterschlussverkauf bei Karstadt. „Ich hab' wild drauflos geschrieben und tatsächlich eine Eins bekommen!“ Seine Lehrerin habe ihm geraten, bei der Schülerzeitung mitzumachen, „damit fing alles an.“ Einstieg beim „Nebelhorn“, dann Gestaltung der Abi-Zeitung. „Ich war von dieser Arbeit fasziniert“, sagt Gless rückblickend auf diese prägenden Anfänge. 

Frühe Weichenstellung in den Journalismus 

Es muss ihm leicht gefallen und die Rückmeldungen müssen sehr positiv gewesen sein. „Für mich war sehr früh klar: Ich werde Journalist“. Nach dem Abitur verbrachte er zwei Jahre bei der Marine, unter anderem auf Carlshöhe („Ich bin froh, unserem Land diese Zeit gegeben zu haben“), die Studienfächer wählte er auch mit Blick auf den späteren Beruf: Geschichte, Romanistik, Literaturwissenschaft. „Ich dachte, so eine geisteswissenschaftliche Grundausbildung hilft. Aber heute würde ich mich wohl eher für Volkswirtschaft entscheiden.“ 

Das war großartig. Beim Radio habe ich Schreiben gelernt.

Florian Gless

 

Während des Studiums in Kiel fügte sich offenbar einiges, es gelang der Einstieg beim NDR. Der junge Mann landete jedoch (noch) nicht in der Redaktion, sondern jobbte zunächst im Schallarchiv. Doch dabei blieb es nicht. Gless machte ein Praktikum in der Hörfunkredaktion und arbeitete anschließend sechs Jahre lang als freier Mitarbeiter für die Welle Nord. „Das war großartig. Beim Radio habe ich Schreiben gelernt.“ Was sich zunächst widersprüchlich anhört, ist tatsächlich eine gute Schule: Durch das melodiöse Sprechen der Texte offenbaren sich schnell deren stilistische Schwächen und Schachtelsätze werden vermieden. 

Mehrere Praktika und Dianas Tod 

Weiter ging's, nicht beim NDR, sondern an der renommierten Henri-Nannen-Schule in Hamburg, an der Gless als einer von 36 unter mehreren tausend Bewerbern angenommen wurde. 18 intensive Monate mit Praktika bei der „taz“ in Berlin, dem „stern“, dem „Spiegel“ und beim Londoner ARD-Hörfunk-Korrespondenten just zu der Zeit, als Prinzessin Diana den tödlichen Verkehrsunfall erlitt. „Ich bin in Heathrow gelandet und habe acht Wochen durchgearbeitet“, beschreibt er diese aufwühlende und lehrreiche Zeit. 

Freundlich, fröhlich, kreativ – sensationell, ich habe mich dort sofort wohlgefühlt.

Florian Gless über seinen Einstieg beim "stern"

 

Anfang 1998 heuerte Florian Gless zunächst beim „Spiegel“ unter Chefredakteur Stefan Aust an, zum 1. Januar 2000 holte ihn die damals neue Chefredaktion zum „stern“. Genau seine Welt: „Freundlich, fröhlich, kreativ – sensationell, ich habe mich dort sofort wohlgefühlt.“ 

Berufung zum Chefredakteur zum 1. Januar 2019 

Er fing an als Reporter im Deutschland-Ressort, wurde Leiter verschiedener Ressorts und 2013 Mitglied der Chefredaktion, danach von Juni 2014 bis April 2018 Chefredakteur des hochkarätigen Wissenschaftsmagazins „National Geographic Deutschland“, einer „Weltmarke“, so Gless, die genau solchen „First-Class-Journalismus“ produziert wie Gruner + Jahr. Parallel verantwortete er auch das Magazin „P.M.“ aus dem Wissenschaftssegment des Verlags. Seinen vorläufigen journalistischen Höhepunkt erlebte Gless mit der Berufung zum Chefredakteur des „stern“ zum 1. Januar 2019. 

Wir stecken nun mitten in der Transformation einer bewährten Print-Marke hin zu einer modernen Medienmarke.

Florian Gless, "stern"-Chefredakteur

 

„Wir stecken nun mitten in der Transformation einer bewährten Print-Marke hin zu einer modernen Medienmarke“, sagt Florian Gless. Die Herausforderungen der Digitalisierung sind wie überall in der Branche groß, auch deswegen kooperiert der „stern“ immer mehr mit dem TV-Sender RTL, der wie Gruner+Jahr zum Bertelsmann-Konzern gehört. „Wir sehen hier große Chancen weiterer Ausspielmöglichkeiten für unseren Journalismus“, sagt Gless, „darum dürften uns so manche beneiden.“ 

Corona beschleunigt gesellschaftliche Veränderungen 

Was Florian Gless umtreibt, sind die gesellschaftlichen Veränderungen und die „Disruptionen, die durch Corona beschleunigt werden“. Da möchte er mit dem „stern“ durch leidenschaftlichen Journalismus immer wieder neue Akzente setzen und auch positive Veränderungen und Projekte anschieben, wo immer es geht. Gless ist ein glühender Verfechter der Demokratie und des Grundgesetzes („das ist wirklich gut“) und zögert keine Sekunde, wenn es darum geht, dafür einzutreten. 

Eckernförder Strand, Altenhofer Wald und Heldts Mandelhörnchen 

Selbst ein solch engagierter Vollblutjournalist muss es dann und wann auch mal ruhiger angehen lassen. Abschalten und durchatmen kann er natürlich auch in Hamburg, aber besonders gerne und effektiv tut er das noch immer in Eckernförde und Altenhof. Auf den Spuren seiner Kindheit und Jugend. Vorzugsweise am Eckernförder Strand oder im Altenhofer Wald, beides sind für ihn wichtige Erinnerungs- und Sehnsuchtsorte, die er immer wieder gerne aufsucht. Und er hofft, dass die Umwidmung ausgerechnet des Strandabschnittes, an dem er sich früher so gerne aufgehalten hat, zu einem Jugend- und Aktivstrand funktioniert und sich nicht nachteilig auf das übrige Strandleben auswirkt. Falls doch, würde er noch öfter mal im Cafe Heldt eines seiner geliebten Mandelhörnchen („die sind der Hammer") genießen oder sich in der Buchhandlung am Gänsemarkt ein neues Buch zulegen. Eckernförde und Altenhof bleiben für „stern“-Chef Florian Gless i

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