Syrien und Türkei

Erdbebengebiet: Militärschutz für Hilfsteams

Erdbebengebiet: Militärschutz für Hilfsteams

Erdbebengebiet: Militärschutz für Hilfsteams

dpa
Istanbul/Berlin
Zuletzt aktualisiert um:
Ein zerstörtes Haus im türkischen Antakya. Foto: Anne Pollmann/dpa

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Das Erdbeben in der Türkei und Syrien liegt schon fünf Tage zurück - und noch immer werden jeden Tag Hunderte weitere Leichen geborgen. Rettungskräfte haben Berichten zufolge nun mit einem neuen Problem zu kämpfen.

Das österreichische Militär setzt seine Rettungsarbeiten nach dem Erdbeben in der Türkei nach einer Unterbrechung nun mit türkischem Militärschutz fort. Die türkische Armee habe den Schutz der Soldatinnen und Soldaten der Katastrophenhilfseinheit übernommen, twitterte der Sprecher des österreichischen Bundesheers am Samstagnachmittag. Österreich ist seit Dienstag mit 82 Militärangehörigen in der türkischen Provinz Hatay im Einsatz.

Oberstleutnant Pierre Kugelweis hatte der Nachrichtenagentur APA am Samstagmorgen gesagt, die Suche nach Überlebenden sei wegen Sicherheitsrisiken unterbrochen worden. «Es gibt zunehmend Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein», sagte Kugelweis. «Wir würden gerne weiterhelfen, aber die Umstände sind, wie sie sind.»

Die Zahl der bestätigten Toten überschritt derweil die Schwelle von 25.000. Die Trauer ist groß. Auch in Berlin gedachten Menschen der vielen Opfer.

Die Überlebenschancen sind am Tag fünf nach der Naturkatastrophe verschwindend gering. Normalerweise kann ein Mensch höchstens 72 Stunden ohne Wasser auskommen. Hinzu kommen die kühlen Temperaturen. Vereinzelt gab es am Samstag aber noch Wunder-Meldungen.

Den Rettern bereitet nun ein anderer Aspekt Bedenken: Ist die Sicherheit der Helfer noch gewährleistet? «Es gibt zunehmend Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein», sagte Oberstleutnant Pierre Kugelweis vom österreichischen Bundesheer der Nachrichtenagentur APA.

I.S.A.R-Einsatzleiter Steven Bayer sagte: «Es ist festzustellen, dass die Trauer langsam der Wut weicht.» Tamara Schwarz, Sprecherin der THW-Zentrale in Bonn, sprach von «tumultartigen Szenen». Der Schutz der Ehrenamtlichen stehe jetzt im Vordergrund. Die Teams blieben aber weiter vor Ort. THW und I.S.A.R teilte weiter mit: «Grund dafür scheinen unter anderem die Verknappung von Lebensmitteln und die schwierige Wasserversorgung im Erdbebengebiet.»

Tausende weitere Tote unter den Trümmern vermutet

Die Zahl der Toten nach den Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist auf mehr als 25.000 gestiegen. Wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in einem am Samstag im Fernsehen übertragenen Auftritt in der Provinz Sanliurfa sagte, liegt die Zahl allein für die Türkei nun bei 21.848. Aus Syrien wurden zuletzt 3553 Tote gemeldet. Tausende weitere Todesopfer werden unter den eingestürzten Gebäuden befürchtet.

Am frühen Montagmorgen hatte ein Beben der Stärke 7,7 das Grenzgebiet erschüttert, gefolgt von einem weiteren Beben der Stärke 7,6 am Mittag. Seither gab es bis Samstagmorgen 1891 Nachbeben in der Region, wie die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad mitteilte.

Mit Unterstützung internationaler Hilfsteams werden seit Montag Schuttberge abgetragen. Spürhunde sind im Einsatz. Hoffnung gibt den Rettern, dass immer wieder noch Menschen lebend gefunden werden.

In der türkischen Stadt Kahramanmaras wurde ein neun Jahre alter Junge namens Ridban nach rund 120 Stunden in einem eingestürzten Haus gerettet, wie die israelische Armee mitteilte. Den Angaben zufolge ist er nach seinem Vater und seiner 14-jährigen Schwester das dritte Mitglied einer Familie, das von dem israelischen Team geborgen wurde. Seine Mutter sei dagegen tot aufgefunden worden.

Übernachten bei eisigen Temperaturen

In der Stadt Adiyaman wurde Ehepaar nach 129 Stunden befreit. Es muss aber wahrscheinlich den Tod seiner drei Töchter beklagen, wie der staatliche türkische Fernsehsender TRT World berichtete.

In der syrischen Stadt Aleppo haben die Suchteams zuletzt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur keine Überlebenden mehr gefunden. Aus dem Gebiet dringen nach wie vor nur spärlich Informationen. «Wir bleiben über Nacht auf diesem Bürgersteig und zünden Feuerholz an», sagte Abdu al-Sus der dpa. Er hat aus Stoff ein improvisiertes Zelt für seine Frau und fünf Kinder gebaut. Auch etliche andere Familie übernachten bei eisigen Temperaturen auf der Straße oder in Autos im besonders betroffenen Osten der Stadt. Etliche warten darauf, dass die Behörden untersuchen, ob ihre beschädigten Häuser noch zu bewohnen sind.

Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) muss die Hilfe deutlich ausgeweitet werden. «Wir müssen mit größerer Dringlichkeit und in größerem Umfang handeln und uns besser organisieren», sagte Richard Brennan, der WHO-Nothilfedirektor für die Region Östliches Mittelmeer am Samstag in Aleppo. Die Toten- und Verletztenzahlen seien immens, was aber oft vernachlässigt werde, seien die vielen Obdachlosen. Allein in Aleppo im von der Regierung kontrollierten Teil Nordwestsyriens haben nach ersten Schätzungen rund 200 000 Menschen das Dach über dem Kopf verloren. Für eine bessere Versorgung der Betroffenen öffnete die Türkei einen Grenzübergang zu Armenien für Hilfslieferungen - trotz einer tiefen Feindschaft zum Nachbarland.

Luftbrücke von Berlin in die Türkei

Rund 160.000 Such- und Rettungskräfte sind laut den türkischen Behörden im Einsatz. Aus dem Ausland seien mehr als 7700 Helfer ins Erdbebengebiet geschickt worden.

Für den Transport von Hilfsgütern will Berlin nach Angaben der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey eine Luftbrücke einrichten. «Und es ist gelungen mit vielen, die gespendet haben, (...) dass wir eine Luftbrücke von Berlin in die Türkei bauen, auch in Zusammenarbeit mit der türkischen Botschaft, mit dem Generalkonsulat», sagte die SPD-Politikerin am Samstag bei einem Gedenken an die Erdbebenopfer am Brandenburger Tor.

Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) sprach sich erneut für rasche Einreise-Erleichterungen aus, damit Betroffene des Erdbebens zu Angehörigen nach Deutschland kommen können. Die Bundesregierung hatte eine «pragmatische Lösung» bei der Visa-Vergabe an Überlebende der Erdbebenkatastrophe in Aussicht gestellt.

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