Vor Präsidentenwahl
Ausnahmezustand in Ecuador nach Kandidaten-Mord
Ausnahmezustand in Ecuador nach Kandidaten-Mord
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Für Naturliebhaber gilt Ecuador als friedfertiges Traumziel. Doch längst sorgen auch eine Staatskrise und Drogenkartelle für Schlagzeilen. Nun gibt es einen politischen Mord.
Eineinhalb Wochen vor der Präsidentenwahl hat die Ermordung eines Kandidaten Ecuador erschüttert und die politische Krise in dem kleinen Andenstaat dramatisch zugespitzt.
In Mafiamanier feuerten Unbekannte in der Hauptstadt Quito auf den 59 Jahre alten Oppositionskandidaten Fernando Villavicencio, als dieser nach Angaben der Staatsanwaltschaft am Mittwochabend (Ortszeit) eine Wahlkampfveranstaltung in einer Schule verließ. Laut Medien wurde er dreimal in den Kopf getroffen.
Verdächtige sind Ausländer
Präsident Guillermo Lasso sprach von Auftragskillern (spanisch: sicarios). Er verhängte einen 60-tägigen Ausnahmezustand und mobilisierte landesweit die Streitkräfte.
Nach Angaben der Regierung handelt es sich bei den Verdächtigen um Ausländer. Die sechs Festgenommenen kämen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, sagte Innenminister Juan Zapata am Donnerstag. Es seien Pistolen, Granaten, ein Gewehr und eine Maschinenpistole sichergestellt worden. Zapata sprach von einem «politischen Verbrechen mit terroristischen Zügen» und einem «Versuch, die kommenden Wahlen zu sabotieren». Nach Medienberichten sollen die Verdächtigen aus dem Nachbarland Kolumbien kommen. Offiziell bestätigt wurde das zunächst nicht.
Nach dem Attentat gab es dramatische Szenen. Bilder und Videos zeigen blutüberströmte Opfer, verzweifelte Helfer sowie Menschen, die auf dem Boden liegend Schutz suchen und nach Hilfe schreien. Einer der mutmaßlichen Attentäter sei bei einem Schusswechsel mit der Polizei verletzt worden und auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben, sagte der Präsident. Sechs weitere Verdächtige seien gefasst worden. Die Angreifer hätten noch eine Granate in die Menge geworfen. Diese sei aber nicht explodiert und später entschärft worden. Laut Staatsanwaltschaft gab es mindestens neun Verletzte.
Präsident Lasso: Werden der Gewalt nicht weichen
Lasso, der nicht selbst zur Wahl antritt, nannte den Mord ein politisches Verbrechen mit terroristischen Zügen. «Wir haben keine Zweifel, dass dieser Mord ein Versuch ist, den Wahlprozess zu sabotieren», sagte er. Die Abstimmung werde aber wie geplant am 20. August stattfinden. Man werde der Gewalt nicht weichen. Die Täter und ihre Auftraggeber würden zur Rechenschaft gezogen. «Der Staat ist standhaft, und die Demokratie wird der Brutalität dieses Mordes nicht nachgeben. Wir werden dem organisierten Verbrechen nicht die Macht und die demokratischen Institutionen überlassen.»
Damit sprach er eines der drängendsten Probleme an, mit denen das sonst als so friedfertig geltende Land am Äquator seit geraumer Zeit zu kämpfen hat: Ecuador liegt auf der Transitroute des Kokains, das vor allem in anderen südamerikanischen Ländern wie Kolumbien, Bolivien und Peru hergestellt wird und das Drogenkartelle dann in die USA oder Europa schmuggeln. Dies bringt Gewalt und Korruption mit sich - immer wieder kommt es in diesem Zusammenhang zu blutigen Revolten in überfüllten Gefängnissen, die teils von Gangs kontrolliert werden. Die Mordrate von 25 Tötungsdelikten je 100.000 Einwohnern 2022 war die höchste in der Geschichte des Landes und überstieg sogar jene von Mexiko und Brasilien.
Mögliches Bekennervideo
In den sozialen Netzwerken tauchte ein Video auf, in dem mutmaßliche Mitglieder des Verbrechersyndikats «Los Lobos» die Verantwortung für den Anschlag übernehmen. «Wenn die korrupten Politiker, die mit unserem Geld, mit Millionen von Dollar, ihre Wahlkämpfe finanzieren, ihren Versprechen nicht nachkommen, werden sie getötet», sagte darin ein vermummter Sprecher vor einem Dutzend bewaffneter Männer. Die Authentizität des Videos konnte zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
«Los Lobos» sind nach Angaben des Fachportals Insight Crime die zweitgrößte kriminelle Bande in Ecuador mit rund 8000 Mitgliedern. Das Verbrechersyndikat ist vor allem im Drogenhandel aktiv. Mitglieder der Gang waren zuletzt zudem in eine Reihe blutiger Auseinandersetzungen in den Gefängnissen des südamerikanischen Landes mit Dutzenden Toten verwickelt.
Villavicencio trat gegen Gewalt und Korruption ein
Gegen diese Gewalt und die Korruption im Staat war der nun ermordete Kandidat zu Felde gezogen. Medienberichten zufolge hatte Villavicencio erst vergangene Woche Drohungen gegen ihn und sein Team von einem Drogenpaten erhalten.
Seine Schwester Patricia machte die Regierung für den Angriff verantwortlich. «Sie haben die Demokratie getötet», sagte sie örtlichen Medien zufolge. «Sie wollten nicht, dass die Korruption aufgedeckt wird. Nun werden wir als Familie verfolgt. Sie werden uns aber nicht zum Schweigen bringen.» Villavicencio, der Journalist und Abgeordneter war, bewarb sich als Kandidat der Bewegung Construye (Baue) um das höchste Staatsamt und lag jüngsten Umfragen zufolge auf dem vierten oder fünften Platz.
Er war bislang das prominenteste, aber nicht das einzige Opfer politischer Gewalt in dem rund 17 Millionen Einwohner zählenden Land, das bei Touristen nicht zuletzt wegen des Amazonas-Urwaldes, der vielen aktiven Vulkane, der Strände oder der für ihre einzigartige Tierwelt bekannten Galápagos-Inseln beliebt ist. Vor rund zwei Wochen erst war der Bürgermeister der Hafenstadt Manta, Agustín Intriago, bei einem ähnlichen Angriff getötet worden.
Nach dem Mord an Villavicencio rief die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) Ecuadors Regierung auf, für die Sicherheit der Kandidaten bei der anstehenden Wahl zu sorgen und die Tat lückenlos aufzuklären.
Auch die EU verurteilte den Anschlag scharf und drückte ihre Solidarität mit der ecuadorianischen Bevölkerung und vor allem der Familie des Toten aus. Man stehe an der Seite Ecuadors im Kampf gegen die zunehmende Gewalt durch das organisierte Verbrechen, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Die EU wolle dabei helfen, friedliche Wahlen zu organisieren. Derzeit sind den Angaben zufolge Wahlbeobachter im Land.
Ecuador von Staatskrise gebeutelt
Allerdings steckt das Land auch in einer Staatskrise. Nur 17 Prozent der Bürger unterstützen laut Umfragen die Regierungsführung des Präsidenten, gerade mal 20 Prozent bewerten die Arbeit des Parlaments als gut. Inmitten eines Amtsenthebungsverfahrens gegen ihn wegen mutmaßlicher Unterschlagung hatte der Staatschef im Mai das Parlament aufgelöst. Dadurch wurden die nun anstehenden Neuwahlen fällig.
In den vergangenen Jahren hatte das an Kolumbien und Peru grenzende Land durch die Förderung von Ölvorkommen einen erheblichen Modernisierungsschub erlebt: Neue Straßen, Schulen und Krankenhäuser wurden seinerzeit gebaut. Als der Ölpreis fiel, schwächte sich das Wachstum jedoch ab. Ecuador ist auch einer der größten Exporteure von Blumen und Bananen und setzt auf hochwertigen Kakao und die Ausfuhr von Fisch.