Besuch im Kriegsgebiet

Drei mutige Regierungschefs im Zug nach Kiew

Drei mutige Regierungschefs im Zug nach Kiew

Drei mutige Regierungschefs im Zug nach Kiew

dpa
Warschau
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Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki fährt mit den Regierungschefs aus Tschechien und Slowenien nach Kiew. Foto: Rafal Guz/PAP/dpa

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In einer Blitzmission starten die Ministerpräsidenten von Polen, Tschechien und Slowenien im Ukraine-Krieg nach Kiew. Aus Sicherheitsgründen fahren sie mit der Bahn. Kanzler Scholz begrüßt den Plan.

Die Reise ist riskant, das Verkehrsmittel ungewöhnlich. Mit dem Zug sind die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien am Dienstag nach Kiew gereist, um sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu treffen.

Sie wollen so ihre Unterstützung für den Freiheitskampf der Ukraine signalisieren und ein Paket mit konkreter Hilfe für das von Russland angegriffene Land vorlegen. Selenskyj ist erfreut und sagt in einem auf Telegram veröffentlichten Video: «Ihr Besuch in Kiew in dieser für die Ukraine schwierigen Zeit ist ein starkes Zeichen der Unterstützung. Wir wissen das wirklich zu schätzen.»

Zuvor hat Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Ankunft gemeldet. «Hier, im kriegszerstörten Kiew, wird Geschichte geschrieben», schreibt er auf Twitter. Und postet Bilder, die ihn mit seinem Stellvertreter Jaroslaw Kaczynski sowie Tschechiens Ministerpräsidenten Petr Fiala und seinem slowenischen Kollegen Janez Jansa an einem Tisch mit einer Karte der Ukraine zeigen. Wo genau sie entstanden sind, ist unklar.

Der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal lobt die Courage seiner Kollegen. «Der Mut der wahren Freunde der Ukraine», schrieb Schmyhal bei Twitter.

Raketenangriffe auf Kiew

Kiew ist seit Kriegsbeginn immer wieder von russischen Raketen getroffen worden. Bürgermeister Vitali Klitschko hat gerade nach weiteren schweren Angriffen eine Ausgangssperre von Dienstagabend bis Donnerstagfrüh verhängt. Viele Bewohner der Stadt harren in Bunkern und Schutzräumen aus.

Ein Flug in die umkämpfte ukrainische Hauptstadt ist unter diesen Bedingungen undenkbar. Auch sonst bietet sie sich als Reiseziel für Politprominenz derzeit nicht an. Und so kommt es überraschend, als Polens Regierungssprecher Piotr Müller am Dienstagmorgen verkündet, dass ein Zug mit den vier Spitzenpolitikern Richtung Kiew unterwegs sei und bereits die polnisch-ukrainischen Grenze überquert habe.

«Strengste Geheimhaltung»

Die Reise sei «unter strengster Geheimhaltung» geplant worden, heißt es in Warschau. Auch die Reiseroute bleibt zunächst streng geheim. Morawieckis Kanzleichef Michal Dworczyk verrät am Abend nur, dass der Sonderzug in Przemysl abgefahren sei.

Der Bahnhof der ostpolnischen Stadt hat ein Gleis in russischer Breitspur, die auch in der Ukraine verlegt ist. Aus der Gegenrichtung kommen dort ständig überfüllte Züge an. Sie bringen Tausende von verzweifelten Menschen, die aus der Ukraine vor dem Krieg fliehen.

«Delegation vertritt die EU» - oder doch nicht?

Die Visite sei eng mit EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen abgestimmt, sagt Polens Regierungssprecher: «Die Delegation vertritt de facto die Europäische Union, den Europäischen Rat». Aus EU-Kreisen heißt es dagegen, es gebe kein offizielles Mandat des Europäischen Rates, da formell kein Beschluss der 27 EU-Länder gefasst worden sei. Nach Angaben des Sprechers von Michel wurden von der Leyen und Michel selbst am Rande eines EU-Gipfels Ende vergangener Woche über ein mögliches Treffen informiert.

In Warschau nutzt der Regierungssprecher die Frage, warum die EU-Spitze nicht selbst nach Kiew fahre, zu einem Seitenhieb gegen die Brüsseler Bürokraten. «Dies ist eine schwierige Frage, aber es ist eine Frage der individuellen Entscheidungen jedes europäischen Spitzenpolitikers.» Haben von der Leyen und Michel nicht genug Mumm in den Knochen für den Höllentrip nach Kiew? Ein EU-Beamter räumt später ein, der EU-Ratspräsident habe mit Blick auf eine solche Reise auf Sicherheitsrisiken hingewiesen. Die Frage danach, warum von der Leyen nicht mit im Zug sitze, nennt er nur «kurios».

Kanzler Scholz: «Alle Gesprächsformate nutzen»

Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich positiv zur Reise der Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien nach Kiew. Es gehe derzeit darum, «alle Gesprächsformate zu nutzen und die auch aufrecht zu erhalten», sagte der SPD-Politiker in Berlin. Es sei «gut, wenn auf verschiedene Weise versucht wird, in dieser Situation hilfreich zu sein».

Die Weltgemeinschaft verfolge eine klare politische Strategie, um der Ukraine zu helfen, sagte Scholz. Es sei richtig, immer wieder mit Präsident Selenskyj zu sprechen - aber «selbstverständlich» auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, um auf einen Waffenstillstand zu drängen. «Da sind wir alle aktiv auf unterschiedliche Weise, und das ist auch gut so», sagte Scholz.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) würdigte die Reise nach Kiew als mutigen Schritt. Die Union sehe mit allergrößtem Respekt, was die drei Politiker auch an persönlichem Risiko auf sich nähmen, «um die Solidarität nicht nur der drei Länder, sondern auch der gesamten Europäischen Union noch einmal zu unterstreichen», sagte Merz vor einer Sitzung der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU in Berlin. Auf die Frage, ob er sich einen solchen Schritt auch von Kanzler Scholz erwarte, sagte Merz, eine solche Reise «könnte durchaus ein Vorbild sein auch für andere».

«Gefährliche» Reise

In Polen weckt die Visite Erinnerungen an eine Initiative des 2010 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Präsidenten Lech Kaczynski. Im Georgien-Krieg 2008 reiste Kaczynski zusammen mit den Präsidenten Litauens, Estlands und der Ukraine sowie mit dem lettischen Regierungschef nach Tiflis, um dem Land in der Auseinandersetzung mit Russland Solidarität zu zeigen.

«Die Reise von Morawiecki und seinen Amtskollegen nach Kiew ist aber wesentlich gefährlicher als Kaczynskis Visite damals», sagt Jerzy Haszczynski, Außenpolitik-Experte der polnischen Zeitung «Rzeczpospolita». Der Journalist war gerade selbst zehn Tage im umkämpften Kiew. Tiflis habe 2008 nicht unter Raketenbeschuss gestanden. «Niemand hat dort im Bunker gesessen.» Das sei jetzt in Kiew anders.

Morawieckis Kanzleichef will am Abend die Frage nicht beantworten, ob die Spitzenpolitiker die Nacht in Kiew verbringen werden oder sofort nach dem Treffen mit Selenskyj wieder mit ihrem Sonderzug zurück nach Polen fahren. Aus Sicherheitsgründen werde man über die Details der Reise erst informieren, wenn die Delegation wohlbehalten zurückgekehrt sei.

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