Krieg in Nahost

Hamas-Gesundheitsbehörde: Tote bei Angriffen im Gazastreifen

Hamas-Gesundheitsbehörde: Tote bei Angriffen im Gazastreifen

Hamas-Gesundheitsbehörde: Tote bei Angriffen im Gazastreifen

dpa
Gaza/Tel Aviv
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In Tel Aviv demonstrieren Menschen für die Freilassung der israelischen Geiseln. Foto: Oded Balilty/AP

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Aus Gaza kommen erneut Berichte über tödliche Schüsse auf Menschen, die auf humanitäre Hilfe warteten. Kanzler Scholz bereitet sich unterdessen auf seine zweite Israel-Reise seit dem Oktober-Massaker vor. Die News im Überblick.

Mindestens 20 Menschen sind nach palästinensischen Angaben am Donnerstagabend bei einem Angriff im nördlichen Gazastreifen getötet worden. Angaben der von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde, israelische Truppen hätten an einem Kreisverkehr auf wartende Menschen geschossen, wies die israelische Armee entschieden zurück. Mehr als 150 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte die Behörde mit.

Die israelische Armee teilte am Freitag mit, sie habe am Vortag die Fahrt eines Konvois von 31 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern in den Norden des Gazastreifens ermöglicht. «Etwa eine Stunde vor der Ankunft des Konvois am humanitären Korridor eröffneten bewaffnete Palästinenser das Feuer, während Zivilisten aus Gaza auf die Ankunft des Hilfskonvois warteten», hieß es in der Mitteilung.

«Als Lastwagen mit Hilfsgütern einfuhren, schossen die palästinensischen Bewaffneten weiter, als die Menge von Gaza-Einwohnern begann, die Lastwagen zu plündern.» Einige Zivilisten seien auch von den Lastwagen überfahren worden. Eine gründliche erste Untersuchung in der Nacht zum Freitag habe ergeben, dass die israelische Armee nicht auf den Hilfskonvoi geschossen habe.

Israel warf der Hamas eine «Schmierkampagne» vor, deren Ziel es sei, während des muslimischen Fastenmonats Ramadan mithilfe falscher Informationen Gewalt in anderen Gebieten zu säen.

Vorherige Berichte, Truppen hätten auf Menschen geschossen, die im Flüchtlingslager Nuseirat auf humanitäre Hilfe warteten, hatte die Armee ebenfalls entschieden zurückgewiesen. «Berichte, denen zufolge die israelische Armee Dutzende von Gaza-Einwohnern an einem Verteilungspunkt für humanitäre Hilfe angegriffen hat, sind falsch», hieß es in der Mitteilung der Armee. Sie untersuche den Vorfall.

Nach UN-Angaben ist Hunger nach mehr als fünf Monaten des Krieges im Gazastreifen weitverbreitet. Bei der Verteilung von Hilfsgütern kommt es immer wieder zu chaotischen Szenen. Es gibt immer wieder Forderungen an Israel, mehr Hilfsgüter in den Küstenstreifen zu lassen. Die israelische Armee, die für die Sicherheitskontrollen der Hilfskonvois zuständig ist, betont, es gebe keine Beschränkungen bei der Einfuhr, sondern vielmehr Probleme bei der Verteilung der Güter innerhalb des umkämpften Gebietes am Mittelmeer.

Armeesprecher: Vor Rafah-Offensive Bevölkerung in Sicherheit bringen

Ein israelischer Armeesprecher bekräftigte, im Fall eines Militäreinsatzes in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens müsse die Bevölkerung von dort in Sicherheit gebracht werden. Man vermute in der Stadt an der Grenze zu Ägypten nicht nur die Führung der Hamas, sondern dort befänden sich auch die verbliebenen Bataillone der islamistischen Terrororganisation, sagte Sprecher Arye Shalicar.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte am Donnerstag gesagt, Israel werde trotz internationalen Drucks nach Rafah vordringen. Aus Israels Sicht ist ein Sieg über die Hamas ohne Einsatz in der Stadt an der Grenze zu Ägypten nicht möglich.

In Rafah suchen derzeit nach Schätzungen 1,5 Millionen Palästinenser auf engstem Raum und unter elenden Bedingungen Schutz vor den Kämpfen in den anderen Gebieten des Gazastreifens. Hilfsorganisationen warnen vor vielen weiteren zivilen Todesopfern.

Sprecher Shalicar betonte, man werde im Fall eines Einsatzes in Rafah dafür sorgen, dass die Zivilisten evakuiert werden, in sicherere Orte wie etwa das Al-Mawasi-Lager. «Das ist, wie wir es auch in den letzten Monaten gemacht haben und genauso würden wir dann auch mit Blick Richtung Rafah operieren», sagte er.

Ringen um Geisel-Deal

Die Islamistenorganisation Hamas hat eigenen Angaben zufolge in den Verhandlungen über eine Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung weiterer Geiseln einen umfassenden Vorschlag vorgelegt. Dieser sehe unter anderem ein Ende der Kämpfe im Gazastreifen, Hilfslieferungen für die Bevölkerung und die Entlassung palästinensischer Gefangener aus israelischen Gefängnissen im Gegenzug für die Freilassung von Geiseln vor, teilte die Hamas auf Telegram mit.

Sie pocht aber weiter auf einen Abzug der israelischen Truppen aus dem Küstengebiet, was Israel ablehnt. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte nach Angaben seines Büros, die Hamas halte weiterhin an «unrealistischen Forderungen» fest. Während in Israel und den Palästinensergebieten die Spannungen weiter zunehmen, wird Bundeskanzler Olaf Scholz Medienberichten zufolge am Sonntag zu einem Besuch in Israel erwartet.

Der Druck, den Katar als Vermittler zwischen Israel und der palästinensischen Seite auf die Hamas ausübe, beginne zu wirken, sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros. Demnach soll das Golfemirat damit gedroht haben, Mitglieder der Islamistenorganisation aus Katar auszuweisen und ihnen kein Geld mehr zu geben, sollten sie bei den Verhandlungen nicht einlenken. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Deutsche «Air Drops» stehen bevor

Bundeskanzler Scholz bekräftigte zuletzt, dass Israel jedes Recht habe, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen. Er warb aber auch erneut für eine länger anhaltende Waffenruhe im Gazastreifen, um die aus Israel entführten Geiseln freizubekommen und humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Die bevorstehende Reise des Kanzlers nach Israel und Jordanien wurde der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag aus deutschen Regierungskreisen bestätigt. Es wird Scholz' zweiter Besuch in Israel seit Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober sein.

Deutschland leistet nach Angaben der Bundesregierung einen Beitrag zum geplanten Hilfskorridor für Gaza auf dem Seeweg. Die deutsche Luftwaffe hat außerdem ein erstes Transportflugzeug für den Abwurf von Hilfsgütern über dem Gazastreifen nach Jordanien verlegt. Die Hilfsgüter sollen in Jordanien eingeladen werden und die Abwürfe noch in dieser Woche beginnen. Die Bundeswehr stellt dafür zwei Transportflugzeuge vom Typ C-130 Hercules bereit, die jeweils bis zu 18 Tonnen Last transportieren können.

US-Senator kritisiert Netanjahu

Seitens der USA wird derweil die Kritik an Israels Ministerpräsident Netanjahu immer lauter. Der einflussreiche demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, forderte Neuwahlen in Israel. Er glaube, dass der Regierungschef «vom Weg abgekommen ist, indem er sein politisches Überleben über die besten Interessen Israels gestellt hat», sagte Schumer, der selbst jüdisch ist und sich als eisernen Unterstützer Israels bezeichnete. Netanjahu habe sich in eine Koalition mit Rechtsextremisten begeben und sei infolgedessen «zu sehr bereit, die zivilen Opfer im Gazastreifen zu tolerieren». Die weltweite Unterstützung für Israel sei deshalb auf einen historischen Tiefstand gefallen. Israel könne aber nicht überleben, wenn es zu einem «Paria» werde.

Netanjahus konservative Likud-Partei kritisierte Schumers Äußerungen scharf. «Israel ist keine Bananenrepublik, sondern eine unabhängige und stolze Demokratie», hieß es in einer Erklärung der Partei. Der Regierungschef sei gewählt worden, seine «entschlossene Politik» werde von einer großen Mehrheit unterstützt. Laut aktuellen Umfragen müsste Netanjahus rechtsreligiöse Koalition bei einer Neuwahl allerdings mit massiven Verlusten rechnen.

Schumer bezeichnete Netanjahu als Hindernis für den Frieden - unter anderem durch seine Ablehnung einer Zweistaatenlösung. Netanjahus Likud-Partei entgegnete, das israelische Volk sei gegen eine internationale Anordnung zur Errichtung eines Palästinenserstaats.

EU-Parlament: Israel muss Lieferung von Hilfsgütern nach Gaza zulassen

Ägypten pocht unterdessen auf mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen auf dem Landweg. Die von den USA geplante Errichtung eines temporären Hafens dauere zu lange, sagte der ägyptische Außenminister Samih Schukri am Donnerstag. Land-Korridore stünden hingegen schon jetzt zur Verfügung. Schukri zufolge gelangen am Grenzübergang Rafah derzeit etwa 200 Lastwagen täglich in den Gazastreifen. Das sei aber noch immer nicht ausreichend, um die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen zu versorgen. Israel wiederum argumentiert, es kämen derzeit mehr Hilfen in das Küstengebiet als vor Kriegsbeginn. Probleme gebe es vielmehr bei der Verteilung der Güter vor Ort.

Auch das EU-Parlament forderte Israel am Donnerstag dazu auf, sofort die uneingeschränkte Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen über alle bestehenden Grenzübergänge zu ermöglichen. Die Abgeordneten seien zutiefst besorgt über die katastrophale humanitäre Lage in dem Küstengebiet. Eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten stimmte für eine - rechtlich nicht bindende - Resolution, in der auch die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln gefordert wird. Darin heißt es, dass es keine Aussicht auf Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand für den Gazastreifen geben könne, solange die Hamas und andere terroristische Gruppen dort entscheidenden Einfluss haben.

Auslöser des Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen verübt hatten. Sie ermordeten dabei mehr als 1200 Menschen und verschleppten 250 weitere in das Küstengebiet. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive im Gazastreifen. Nach Darstellung der dortigen von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sollen seither mehr als 31 400 Palästinenser getötet worden sein. Die kaum unabhängig zu überprüfende Zahl fasst getötete Zivilisten und Kämpfer zusammen.

Abbas ernennt neuen Ministerpräsidenten

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ernannte am Donnerstagabend laut der amtlichen palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa einen neuen Ministerpräsidenten. Der Ökonom und ehemalige Weltbank-Mitarbeiter Mohammed Mustafa erhielt demnach den Auftrag, eine neue palästinensische Regierung zu bilden - mutmaßlich mit weiteren Kabinettsmitgliedern ohne Parteibindung. Sein Vorgänger Mohammed Schtaje hatte auf Druck arabischer Länder und der USA Ende Februar seinen Rücktritt eingereicht.

Die USA wollen, dass die im Westjordanland regierende und von Abbas geführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) umgestaltet wird und dann auch im Gazastreifen wieder die Kontrolle übernimmt. Damit will Washington auch eine Zweistaatenlösung als umfassenden Ansatz zur Befriedung des Nahen Ostens vorantreiben. Die Hamas hatte die PA 2007 gewaltsam aus dem Küstenstreifen vertrieben.

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