Krieg in Nahost

Helfer machtlos angesichts «humanitärer Katastrophe» in Gaza

Helfer machtlos angesichts «humanitärer Katastrophe» in Gaza

Helfer machtlos angesichts «humanitärer Katastrophe» in Gaza

dpa
Gaza/Tel Aviv
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Das israelische Militär griff seit Beginn des Krieges nach eigenen Angaben schon mehr als 22.000 Ziele an. Foto: Fatima Shbair/AP

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Verdrecktes Wasser, kein Essen und keine Hilfe - Organisationen beschreiben die Situation in Gaza als «unaussprechlich». Der EU-Chefdiplomat kritisiert, dass Israel seinen Partnern nicht zuhöre.

Hilfsorganisationen fühlen sich angesichts des Leidens der Zivilbevölkerung im Gazastreifen inzwischen machtlos. Eine sichere Lieferung von Gütern ist nach Einschätzung von Save the Children angesichts der intensiven Kämpfe zwischen der islamistischen Hamas und Israel zurzeit nicht möglich. «Humanitäre Organisationen können der Bevölkerung des Gazastreifens und den Kindern in der derzeitigen Situation nicht helfen», sagte die Präsidentin von Save The Children, Janti Soeripto, in der TV-Sendung «Face the Nation» des Senders CBS. Sie sprach von einer «unglaubliche humanitäre Katastrophe».

Auch die Vereinten Nationen haben Schwierigkeiten bei der Annahme von Hilfsgütern für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. «Die Fähigkeit der UN, eintreffende Hilfe anzunehmen, ist im Lauf der vergangenen Tage deutlich beeinträchtigt worden», teilte das UN-Nothilfebüro OCHA in der Nacht zum Montag mit. Grund seien ein «Mangel an Lastwagen in Gaza, Telekommunikations-Ausfälle und die wachsende Zahl an Mitarbeitern, die wegen der Stärke von Kampfhandlungen nicht zum Grenzübergang Rafah reisen können».

Eine Delegation des UN-Sicherheitsrats besuchte unterdessen Ägypten, um sich ein Bild vom Ablauf der Hilfslieferungen über den einzigen nach Gaza offenen Grenzübergang Rafah zu machen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borell warf Israel vor, Aufrufe von Partnern wie der Europäischen Union zu ignorieren.

Verdrecktes Wasser, kein Essen, kein Strom

Die Kinder, die noch am Leben seien, würden aus Mangel an Trinkwasser verdrecktes Wasser trinken, so Soeripto. Mit Beginn des Winters und starker Regenfälle spülten Abwässer auf die Straßen. «Es gibt kein Essen, keinen Strom, und die meisten Krankenhäuser funktionieren nicht mehr», so Soeripto. «Es ist im Grunde unaussprechlich, was sich vor unseren Augen abspielt».

Laut Vereinten Nationen hungert inzwischen die Hälfte der Bevölkerung im Gazastreifen. Vor Beginn des seit mehr als zwei Monaten dauernden Krieges lebten in dem von Israel abgeriegelten Gebiet, das nur etwas größer als München ist, rund zwei Millionen Menschen. Davon waren rund die Hälfte Kinder und Jugendliche.

Hunderttausende Palästinenser waren nach Anweisungen des israelischen Militärs aus dem umkämpften Norden in den Süden geflohen, wo es nun auch Kämpfe gibt. Nach Angaben des Palästinenserhilfswerkes UNRWA sind fast 1,9 Millionen Menschen auf der Flucht - mehr als 80 Prozent der Bevölkerung.

Auslöser des Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen verübt hatten. Mehr als 1200 Menschen wurden dabei getötet. Zudem wurden 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt, von denen ein Teil während einer vorübergehenden Feuerpause freigekommen ist.

Israel hatte auf den Terrorüberfall mit massiven Luftangriffen und eine Bodenoffensive im Gazastreifen reagiert. Dabei wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde inzwischen rund 18.000 Menschen getötet und mehr als 49.200 verletzt.

Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben im Gazastreifen im vergangenen Monat über 500 Mitglieder islamistischer Terrororganisationen gefangen genommen. 350 von ihnen gehörten der vor dem Krieg im Gazastreifen herrschenden Hamas an, 120 dem mit der Hamas verbündeten Islamischen Dschihad, teilte die Armeeführung am Montagabend mit. Die Militärabwehr und der Inlandsgeheimdienst Shin Bet würden die Gefangenen weiteren Verhören unterziehen. 

Zahlen zu getöteten israelischen Soldaten

Nach Angaben von israelischer Seite sind mittlerweile 104 Soldaten ums Leben gekommen. Allein bei einem Gefecht in der südlichen Ortschaft Chan Junis starben gestern fünf Militärangehörige, bestätigte die Armee. Sie fielen einer Sprengfalle zum Opfer, als sie gegen eine Terrorzelle der Hamas vorrückten. Die Einheit rief Luftunterstützung zur Hilfe. Die Hamas-Kämpfer konnten in der Folge getötet werden, hieß es in der Mitteilung der Armee.

Insgesamt kamen 432 israelische Soldaten ums Leben. Die Zahl schließt die militärischen Opfer ein, die das Massaker der islamistischen Hamas zu Kriegsbeginn verursacht hatte. Bei dem Terrorüberfall aus dem Gazastreifen heraus auf Wohngebiete im angrenzenden Südisrael wurden insgesamt 1200 Menschen ermordet. Die Opferbilanz der Armee berücksichtigt auch die israelischen Soldaten, die bei Kämpfen mit der Hisbollah-Miliz im Libanon an Israels Nordgrenze gefallen sind  sowie die Opfer von Unfällen im Einsatz. 

Gestern hatte das israelische Militär erstmals die Zahl der im Gaza-Krieg verwundeten Soldaten veröffentlicht. Demnach wurden 1593 Militärangehörige verletzt, unter ihnen 559 seit Beginn der Bodenoffensive. 255 Soldaten erlitten schwere, 446 mittelschwere und 892 leichte Verletzungen. 

Die Tageszeitung «Haaretz» meldete Zweifel an der Genauigkeit der Zahlen an. Sie würden sich nicht mit den Angaben decken, die das Blatt von Krankenhäusern in Erfahrung bringen konnte. So sollen allein im Barsilai-Krankenhaus in der südisraelischen Stadt Aschkelon seit Kriegsbeginn 1949 Soldaten behandelt worden sein. 

Das Massaker am 7. Oktober hatte den Gaza-Krieg ausgelöst. Verübt von Terroristen der Hamas sowie anderer Gruppen, war es der schlimmste Terrorakt, dem Israel in seiner Geschichte ausgesetzt war. Israel begann daraufhin mit massiven Luftangriffen und seit Ende Oktober mit einer Bodenoffensive in dem Gebiet. Dabei wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde inzwischen rund 18.200 Palästinenser getötet und mehr als 49.600 verletzt.

EU-Chefdiplomat wirft Israel Ignorieren von Aufrufen vor

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete das Veto der USA als bedauerlich. Er warf Israel zudem vor, Aufrufe von Partnern wie der Europäischen Union zu ignorieren. «Wir haben unter anderem bei den G7-Treffen gesagt, dass Israel im Süden von Gaza nicht die gleiche Taktik anwenden sollte, die es im Norden angewendet hat», sagte er am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Die Bombardierung gehe aber mit außerordentlicher Intensität weiter.

Klima-Organisationen: Israel will Palästinenser «eliminieren»

Ein Netzwerk von Umweltorganisationen kritisierte bei der UN-Klimakonferenz in Dubai das Vorgehen Israels mit drastischen Worten. «Das Handeln Israels zielt darauf ab, das palästinensische Volk durch den sich entfaltenden Völkermord und ethnische Säuberung zu eliminieren», erklärte das Climate Action Network. Ihm gehören nach eigenen Angaben mehr als 1900 zivilgesellschaftliche Organisationen in mehr als 130 Staaten und auf internationaler Ebene an - darunter Greenpeace, Oxfam und Germanwatch.

Die islamistische Hamas, die den Krieg mit einem Überfall auf Israel am 7. Oktober ausgelöst hatte, wird in der Mitteilung nicht erwähnt.

Israels Armee wirft Ausrüstung für Soldaten über Gaza ab

Israels Armee warf in den vergangenen Tagen nach eigenen Angaben mehrere Tonnen Ausrüstung für Soldaten über dem Gazastreifen ab. Darunter seien etwa sieben Tonnen Wasser für die Einsatzkräfte im südlichen Teil des Küstengebiets gewesen, teilte das Militär mit. Es sei der erste Abwurf aus der Luft seit dem zweiten Libanonkrieg 2006 gewesen.

Generalstreik in Jordanien, Libanon und Westjordanland

Aus Protest gegen den Gaza-Krieg blieben in Jordanien, dem Libanon und im palästinensischen Westjordanland am Montag viele Geschäfte und öffentliche Einrichtungen geschlossen. In Jordaniens Hauptstadt Amman und anderen Städten waren die Straßen laut Berichten menschenleer. Im Libanon blieben Einrichtungen der Regierung und Schulen geschlossen. In Mauretanien in Nordwestafrika wurden alle geplanten Prüfungen und Unterrichtsstunden abgesagt, um Schülern die Teilnahme an «Aktivitäten zur Unterstützung Gazas» zu ermöglichen.

Raketenbeschuss aus Gaza auf Israel - Ein Verletzter

Die islamistische Hamas feuerte erneut Raketen aus dem Gazastreifen auf israelische Ortschaften ab. Im Grenzgebiet sowie dem Großraum Tel Aviv heulten mehrfach die Warnsirenen. In Holon südlich der Küstenstadt wurde Sanitätern zufolge ein 45-Jähriger durch Raketensplitter verletzt. Der bewaffnete Arm der Hamas, die Kassam-Brigaden, bekannte sich zu den Angriffen.

Neuer Beschuss an der Grenze zwischen Libanon und Israel

Auch an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon kam es erneut zu gegenseitigem Beschuss. Nach dem Abschuss mehrerer Raketen auf Israel seien Ziele im Libanon angegriffen worden, teilte die israelische Armee mit. Den Angaben nach fing Israels Raketenabwehrsystem sechs Geschosse aus dem Libanon ab.

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