Russische Invasion

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

dpa
Kiew
Zuletzt aktualisiert um:
Präsident Wolodymyr Selenskyj während seiner Rede in Kiew zum Unabhängigkeitstag der Ukraine. Foto: Präsidialamt der Ukraine/ZUMA Wire/dpa

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Seit 183 Tagen wehrt sich die Ukraine gegen die russische Invasion. Am Nationalfeiertag sterben bei einem Raketenangriff auf einen Personenzug mindestens 22 Menschen. Das Kriegsgeschehen im Überblick.

Nach ihrem Unabhängigkeitstag trauert die Ukraine um die vielen Todesopfer eines russischen Raketenangriffs auf einen Personenzug. Nach offiziellen Angaben ist die Zahl der Todesopfer auf mindestens 25 gestiegen. Am Vorabend hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj von 22 Toten gesprochen. Zudem wurden nach Angaben des Vizechefs des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, 31 Menschen verletzt. Die Informationen ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Der Zug war nahe dem Ort Tschaplyne im zentralukrainischen Gebiet Dnipropetrowsk getroffen worden. Bei dem Beschuss von bewohntem Gebiet und der Bahnanlagen in dem Ort Tschaplyne des zentralukrainischen Gebietes Dnipropetrowsk seien auch zwei Kinder getötet worden, teilte Tymoschenko am Donnerstag in seinem Blog im Nachrichtenkanal Telegram mit.

«Tschaplyne ist heute unser Schmerz», sagte Selenskyj. Wie vorher befürchtet gab es am Feiertag, einem symbolträchtigen Datum ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn, auch an anderen Stellen des Landes schwere russische Angriffe mit Raketen und Marschflugkörpern.

Das russische Verteidigungsministerium bestätigte den Raketenbeschuss. Bei dem Schlag mit einer Iskander-Rakete seien am Mittwoch im Gebiet Dnipropetrowsk mehr als 200 ukrainische Soldaten, die für Kämpfe im Donbass bestimmt gewesen seien, getötet worden. Das teilte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Donnerstag in Moskau mit. Es gab allerdings keine Belege für die Behauptung, dass so viele Soldaten ums Leben kamen.

Die Ukraine hatte am Mittwoch den 31. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion begangen. Die USA sagten der Ukraine an diesem historischen Datum Militärhilfen für drei Milliarden US-Dollar (rund drei Milliarden Euro) zu. Das Paket soll zur Verteidigung der Ukraine und zur Modernisierung ihrer Armee dienen. US-Präsident Joe Biden will in einem Telefonat mit Selenskyj heute Einzelheiten besprechen. Für die Ukraine ist es der 183. Tag des Krieges.

Selenskyj: Die Ukraine wird ewig bestehen

«Unsere Unabhängigkeit endet nicht und wird niemals enden», sagte Selenskyj in einer Videoansprache. Trotz der bedrohlichen Lage werde es auch einen 32. Unabhängigkeitstag und einen 33. und alle folgenden geben. «Die Ukraine wird ewig bestehen.»

Angesichts der Gefahr russischer Angriffe waren die sonst üblichen Militärparaden am Feiertag abgesagt worden. Auf der Hauptstraße Chreschtschatyk in Kiew wurden stattdessen zerstörte russische Panzer und anderes erbeutetes Kriegsgerät zur Schau gestellt. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sahen sich das an. Der britische Premierminister Boris Johnson kam zu seinem dritten Besuch während des Krieges nach Kiew. Solidarität mit dem angegriffenen Land zeigten auch Tausende Menschen in deutschen Städten und vielen anderen Orten der Welt.

Auch wenn Russland es per Antrag zu verhindern versuchte, sprach Selenskyj per Videoschalte zum UN-Sicherheitsrat in New York. Er betonte die globale Bedeutung des Abwehrkampfes gegen die russische Invasion. «Heute feiert unser Land den Unabhängigkeitstag, und jetzt kann jeder sehen, wie sehr die Welt von unserer Unabhängigkeit abhängig ist», sagte Selenskyj. Wenn Russland jetzt nicht aufgehalten werde, «werden russische Mörder wahrscheinlich in anderen Ländern landen - in Europa, Asien, Afrika, Lateinamerika».

Erster Angriff auf einen Personenzug

In dem halben Jahr seit dem Einmarsch in die Ukraine haben russische Truppen oft Eisenbahnanlagen beschossen, um ukrainische Nachschubwege zu unterbrechen. Im April wurden bei einem Raketentreffer auf den Bahnhofsvorplatz von Kramatorsk im Donbass nach ukrainischen Angaben 57 Menschen getötet. Bei Tschaplyne wurde aber wohl zum ersten Mal ein Personenzug getroffen. Erste noch nicht verifizierte Bilder zeigten mehrere ausgebrannte Waggons auf einem Bahndamm.

Bei den getöteten Kindern handele es sich um einen elfjährigen Jungen, der unter den Trümmern eines Hauses gestorben sei. Ein sechs Jahre altes Kind sei beim Brand eines Autos bei der Bahnstation gestorben, sagte Tymoschenko. Die Rettungs- und Bergungsarbeiten seien abgeschlossen.

Den Feiertag über herrschte in der Ukraine immer wieder Luftalarm. Im Gebiet Chmelnyzkyj im Westen des Landes waren nachmittags schwere Explosionen zu hören, wie Gouverneur Serhij Hamalij mitteilte. Wenige Minuten zuvor hatten oppositionelle belarussische Aktivisten angeblich den Abschuss von vier Raketen aus Belarus registriert. Auch zwei russische Bomber seien von dort gestartet. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Machthaber Alexander Lukaschenko stellt Belarus den russischen Truppen als Aufmarschgebiet zur Verfügung. Die ukrainische Armee griff ihrerseits russische Munitionsdepots hinter der Front an.

Rüstungshilfe für drei Milliarden US-Dollar

Mit dem Geld aus dem neuen US-Rüstungspaket könne die Ukraine Luftabwehrsysteme, Artilleriesysteme und Munition sowie Drohnen und Radargeräte erwerben, «um sich langfristig verteidigen zu können», sagte Biden. Der US-Präsident gratulierte der Ukraine zu ihrem Jahrestag. Dieser zeige, «dass die Ukraine stolz darauf ist, eine souveräne und unabhängige Nation zu sein - und es auch bleiben wird». Die Vereinigten Staaten seien entschlossen, das ukrainische Volk im Kampf um die Verteidigung seiner Souveränität zu unterstützen.

Russlands Präsident Wladimir Putin scheine zu glauben, dass sein Land mit dem stärkeren Kampfeswillen über die Ukraine und die internationale Gemeinschaft triumphieren könne, sagte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. «Dieses US-Paket ist ein greifbarer Beweis dafür, dass dies eine weitere russische Fehlkalkulation ist.»

Baerbock: Haben Vertrauen in Osteuropa verspielt

Der Unabhängigkeitstag sei ein Anlass zu prüfen, wie die Ukraine unterstützt werden könne, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dem ZDF-«Heute-Journal». Neue Waffenlieferungen aus Deutschland bewegten sich aber auf einem «schmalen Grat», denn die Bundeswehr sei selbst mangelhaft ausgerüstet.

Baerbock gestand ein, dass Deutschland durch die Zögerlichkeit bei der Hilfe für Kiew Ansehen bei seinen osteuropäischen Nachbarn verspielt habe. Auch das Beharren auf der Fertigstellung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 habe Porzellan zerschlagen. «Mit dem Festhalten an Nord Stream 2 haben wir nicht auf die Sorgen unserer baltischen und osteuropäischen Freunde gehört», sagte die Ministerin.

Das wird heute wichtig

Die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen und Streumunition (ICBL-CMC) stellt in Genf ihren Jahresbericht zum Einsatz von Streumunition vor. Gemeint sind Geschosse, die kurz vor dem Aufschlag viele kleine Sprengkörper freisetzen, die sich verteilen und eine unkontrollierbare Gefahr für Menschen bedeuten. Russland hat nach ersten Erkenntnissen der Organisation solche Munition auch in der Ukraine eingesetzt.

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