Russische Invasion

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

dpa
Wien/Kiew/Moskau
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Eine Fahrzeugkolonne mit Mitgliedern der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) trifft am 01.09.2022 im Kernkraftwerk Saporischschja ein. Foto: Victor/XinHua/dpa

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Rund um das Atomkraftwerk Saporischschja und im Süden der Ukraine halten die Kämpfe an. Kiew gibt an, einen russischen Kommandoposten angegriffen zu haben. Die News im Überblick.

Angesichts der jüngsten Unterbrechung von Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 nach Europa hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Russland einen Energiekrieg vorgeworfen und zu mehr Einheit in Europa aufgerufen. «Russland versucht in diesen Tagen, den Energiedruck auf Europa noch weiter zu erhöhen - das Pumpen von Gas durch die Nord Stream wurde komplett eingestellt», sagte Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft. «Russland will das normale Leben jedes Europäers zerstören - in allen Ländern unseres Kontinents.»

Moskau gehe es darum, die Staaten in Europa zu schwächen und einzuschüchtern, sagte Selenskyj weiter. Russland verwende dazu neben Panzern und Raketen auch Energie als Waffe. In diesem Winter bereite Russland den «entscheidenden Schlag» im Energiesektor vor. Dagegen helfe nur ein noch größerer Zusammenhalt und koordinierte Gegenmaßnahmen der Europäer. Zudem müsse der Druck auf Russland erhöht werden, um die Öl- und Gaseinnahmen des Landes zu begrenzen.

Zuvor hatte Gazprom nach dreitägigen Wartungsarbeiten an der letzten im Einsatz befindlichen Turbine von Nord Stream 1 die Gaslieferungen über die Pipeline nicht wieder angestellt. Die Turbine könne nicht genutzt werden, weil Öl austrete, so das Unternehmen. Die Bundesnetzagentur äußerte Zweifel an der Begründung. Unklarheiten gab es über eine mögliche Reparatur. Gazprom teilte über Telegram mit, Siemens Energy beteilige sich an den Reparaturarbeiten. Von Siemens Energy gab es dafür keine Bestätigung.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sprach unterdessen am Sonntag trotz schwerster Spannungen mit dem Westen davon, dass sich die Beziehungen irgendwann wieder normalisieren würden. «Jede Konfrontation endet mit einer Entspannung, und jede Krisensituation endet am Verhandlungstisch», sagte Peskow in der im Staatsfernsehen ausgestrahlten Sendung «Moskau. Kreml. Putin.», wie die Nachrichtenagentur Interfax am Sonntag meldete. «Das wird auch diesmal der Fall sein.» Wahrscheinlich sei, dass es nicht so schnell geschehen werde, aber es werde passieren.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte Kiew derweil neue finanzielle Hilfen zu, unter anderem zur Unterstützung von Binnenvertriebenen in der Ukraine. Die Kämpfe an der Front gehen auch heute mit unverminderter Härte weiter. Es ist der 193. Tag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Sorgen um AKW-Anbindung

Sorgen bereitet aktuell die Energieversorgung im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja: Laut der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA ist die Stromverbindung über die Hauptleitungen gekappt worden. Die Anlage hänge nur noch über ein Reservekabel am Netz. Schon vor einer Woche war die Stromverbindung des Kraftwerks abgerissen. Damals waren die Leitungen durch einen vorherigen Beschuss beschädigt worden.

Die ukrainische Armee meldet einen Angriff auf einen «feindlichen Kommandoposten». Ein genauer Ort wurde am Sonntag von der Armee in Kiew zunächst nicht genannt. Bei dem Angriff seien militärische Ausrüstung getroffen und ein mobiles Radarsystem zerstört worden. Zudem seien russische Angriffe etwa bei der Stadt Bachmut im Donbass und der nahegelegenen Siedlung Pokrowske abgewehrt worden. Die Angaben ließen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen.

Die Ukraine registrierte zudem mehr als 24 Luftangriffe des «Feindes» innerhalb von 24 Stunden. Dabei seien militärische und zivile Objekte getroffen worden, hieß es in dem Bericht. Details wurden keine genannt. Weil es Russland an hochpräzisen Waffen fehle, setze die russische Armee «häufiger veraltete Raketensysteme vom Typ S-300» ein. Mehr als 500 dieser Raketen seien bereits auf das Staatsgebiet der Ukraine abgefeuert worden.

Russland: Militäreinsatz nahe AKW Saporischschja

Das russische Verteidigungsministerium beschuldigte die ukrainische Armee, trotz der Anwesenheit internationaler Atomexperten das AKW Saporischschja zurückerobern zu wollen. An der Aktion seien 250 Soldaten und «ausländische Söldner» beteiligt gewesen. Die russische Armee will den Angriff abgewehrt und mehrere Boote zerstört haben. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Das ukrainische Militär beschuldigte wiederum Russland, es habe in der Nacht zum Samstag Angriffe in Richtung Saporischschja vorgenommen. Einzelheiten wurden im Lagebericht nicht genannt. Der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge soll bei Beschuss eine Stromleitung beschädigt worden sein. Deshalb sei die Stromversorgung in das nicht von Russland besetzte Gebiet unterbrochen worden.

Die Dauer des Aufenthaltes von internationalen Atomexperten in dem von Russland besetzten Atomkraftwerk Saporischschja in der Südukraine ist noch nicht restlos geklärt. «Was die Mission angeht, so wird sie vorläufig bis zum 5. (September) funktionieren. Das heißt, morgen arbeiten sie noch», sagte Wladimir Rogow, einer der russischen Besatzer, dem Radiosender der russischen Zeitung «Komsomolskaja Prawda», wie er am Sonntag bei Telegram schrieb. «Und am 6. ziehen sie ab. Das ist noch vorläufig. Sie können ihren Aufenthalt verlängern», sagte der Vertreter, ohne Details zu nennen.

Die Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA sind seit Donnerstag in dem AKW, um es nach Angriffen auf Schäden hin zu untersuchen. AEA-Chef Rafael Grossi sprach zuletzt von einer «dauerhaften Mission». Auch in einer IAEA-Mitteilung vom Samstagabend war von «kontinuierlichen Arbeiten» die Rede.

Russen und Ukrainer im Artilleriegefecht

Der ukrainische Generalstab teilte nach Medienberichten über Explosionen in der vom russischen Militär besetzten Großstadt Cherson mit, den Stützpunkt einer Spezialeinheit moskautreuer Truppen zerstört zu haben. Außerdem transportierten ukrainische Medien Bilder, nach denen eine weitere Brücke über den Dnipro bei Nowa Kachowka außer Gefecht gesetzt worden sein soll. Unabhängig lassen sich die Angaben nicht überprüfen. In der im Süden der Ukraine gelegenen Region versuchen die regierungstreuen Truppen mit einer Gegenoffensive die Russen hinter den Fluss Dnipro zurückzutreiben.

Zwei Kinder sind durch Raketeneinschläge ums Leben gekommen. «In Selenodolsk haben die Russen einen neunjährigen Jungen getötet», teilte der Militärgouverneur der zentralukrainischen Region Dnipropetrowsk, Walentyn Resnitschenko, auf seinem Telegram-Kanal mit. Insgesamt seien durch die Raketenangriffe etwa zehn Personen verletzt worden, die meisten davon schwer. Auch hier war eine unabhängige Überprüfung der Angaben nicht möglich.

Raketenangriffe gab es auch in der Region Mykolajiw im Süden der Ukraine. Dort soll ein achtjähriges Kind durch die Einschläge getötet worden sein, zwei weitere Kinder und vier Erwachsene wurden verletzt.

Verletzte nach Unfall bei einer Waffenschau

Im Norden der Ukraine hat derweil ein Unfall bei einer Waffenschau Empörung hervorgerufen. In der Großstadt Tschernihiw wurden fünf Menschen verletzt, darunter vier Kinder im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren, als sich versehentlich ein Schuss aus einem Granatwerfer löste. Präsident Selenskyj nannte die Nutzung scharfer Waffen bei einer Veranstaltung mit der Beteiligung von Kindern «inakzeptabel» und forderte eine Bestrafung der Verantwortlichen.

Russische Soldaten schlecht bezahlt?

Nach Einschätzung britischer Geheimdienste dürfte die mangelnde Moral russischer Truppen in der Ukraine auch an einer schlechten Bezahlung liegen. Neben hohen Opferzahlen und einer zunehmenden Kampfmüdigkeit gehöre die Besoldung zu den größten Missständen, hieß es am Sonntag in einem Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.

Üblicherweise bestehe der Lohn russischer Soldaten aus einem Grundgehalt, das nach einem komplexen System um verschiedene Zuschüsse und Bonuszahlungen aufgestockt wird. Bei der Auszahlung dieser Boni gebe es in der Ukraine mit hoher Wahrscheinlichkeit signifikante Probleme, hieß es von den Briten. Das liege mutmaßlich an einer ineffizienten Bürokratie des Militärs, dem unklaren rechtlichen Status der «Militäroperation» - wie Russland seinen Angriffskrieg in der Ukraine bezeichnet - und zu einem gewissen Grad auch an Korruption unter den Kommandeuren.

Auch an der Bereitstellung geeigneter Uniformen, Waffen und weiterer Versorgung hakt es nach Einschätzung der Geheimdienste. Auch dies trage sicherlich zu der brüchigen Moral in den Truppen bei.

Ministerin Schulze: 200 Millionen Euro für Ukraine

Entwicklungsministerin Schulze sagte der Ukraine weitere Finanzhilfen zu. «Der Großteil unserer neuen Hilfen, 200 Millionen Euro, soll in ein Programm der ukrainischen Regierung zur Unterstützung von Binnenvertriebenen fließen», sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe . «Das Geld soll dabei helfen, dass sich die Vertriebenen in der Ukraine weiterhin mit dem Nötigsten selbst versorgen können.»

Was heute wichtig wird

Der ukrainische Regierungschef Denis Schmyhal wird am Sonntag von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt empfangen.

Russlands Präsident Wladimir Putin fliegt derweil in den Fernen Osten des Landes. Auf der Halbinsel Kamtschatka will er an einem Öko-Forum teilnehmen. An den darauffolgenden Tagen plant er, in der Region unter anderem das Militärmanöver «Wostok-2022» zu inspizieren.

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