Russische Invasion

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

dpa
Kiew
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Ein Feuer brennt nach russischem Beschuss in einem Wohnhaus in Charkiw. Foto: Daniel Carde/ZUMA Press Wire/dpa

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In Mariupol werden ein vorerst letztes Mal Zivilisten aus dem belagerten Stahlwerk gerettet. In Kiew bereitet man sich auf Besuch aus Deutschland vor. Das sind die Entwicklungen.

Begleitet von Sorgen vor einer möglichen Ausweitung des russischen Angriffskriegs läuft in der südukrainischen Hafenstadt Mariupol die vorerst letzte Phase einer groß angelegten Evakuierungsaktion.

Mit internationaler Hilfe wurden am Samstag Zivilisten gerettet, die unter katastrophalen Bedingungen auf dem Gelände des Stahlwerks Azovstal eingeschlossen waren. Russlands Armee hatte dafür eine vorübergehende Feuerpause versprochen - griff in anderen Teilen der Südukraine aber offensichtlich weiter mit großer Härte an.

Kiew bereitete sich derweil auf einen Solidaritätsbesuch von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am Sonntag vor. Auch Kanzler Olaf Scholz ist in die ukrainische Hauptstadt eingeladen - doch ob und wann er kommen will, ist weiter unklar.

Mariupol: Frauen und Kinder evakuiert

Aus dem belagerten Stahlwerk Azovstal in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol sind offiziellen Angaben zufolge die letzten Frauen, Kinder und älteren Menschen evakuiert worden. «Dieser Teil der humanitären Operation in Mariupol ist abgeschlossen», schrieb die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk am Samstag im Nachrichtendienst Telegram. Ob unter den verbliebenen Männern noch Zivilisten sind, ließ sie zunächst offen. Auf dem Werksgelände haben sich weiter die letzten verbliebenen ukrainischen Kämpfer verschanzt, die sich den russischen Truppen entgegen stellen.

Im Zuge der Evakuierung seien drei ukrainische Soldaten getötet und sechs verwundet worden, schrieb der Kommandeur der 36. Marineinfanteriebrigade, Serhij Wolynskyj, am Abend bei Facebook. Er sendete einen eindringlichen Hilferuf und schrieb, er könne nur noch auf ein Wunder hoffen. «Schmerz, Leiden, Hunger, Qualen, Tränen, Angst, Tod - alles ist echt!», schrieb er.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte am Abend Verhandlungen über eine Evakuierung von Verwundeten, Medizinern sowie der verbliebenen Soldaten an. Moskau hat jedoch mehrfach angekündigt, die ukrainischen Kämpfer selbst im Falle einer Kapitulation in Gefangenschaft nehmen zu wollen.

Beobachter gehen davon aus, dass Moskau das Stahlwerk, in dem sich auch die letzten verbliebenen ukrainischen Kämpfer verschanzt haben, bald erobert haben will. So könnte der Kreml am 9. Mai - dem Jahrestag des sowjetischen Sieges über Hitler-Deutschland 1945 - offiziell die Einnahme von Mariupol feiern.

Befürchtet wird in der Ukraine auch, dass Russlands Präsident Wladimir Putin am kommenden Montag bei seiner Rede in Moskau eine Ausweitung der Kampfhandlungen anordnen könnte.

Neue Raketenangriffe auf Odessa

In einer anderen südukrainischen Region gingen Russlands Angriffe schon jetzt mit großer Härte weiter. Auf die Hafenstadt Odessa wurden ukrainischen Angaben zufolge mindestens vier russische Raketen abgefeuert. Örtliche Medien zeigten dicke schwarze Rauchwolken über dem Stadtgebiet. Berichten zufolge soll ein Militärflugplatz getroffen worden sein. Die Behörden machten zunächst keine Angaben zu möglichen Opfern. Von russischer Seite gab es am Nachmittag erst einmal keine Bestätigung.

Explosionen - teils von der Luftabwehr - wurden auch aus dem benachbarten Gebiet Mykolajiw, dem zentralukrainischen Poltawa und dem westukrainischen Chmelnyzkyj gemeldet. Bei einem Angriff auf das grenznahe nordostukrainische Gebiet Sumy sei bei einem Luftangriff mindestens ein Mensch verletzt worden.

Aus dem russischen Verteidigungsministerium hieß es am Abend, mit Langstreckenwaffen sei in Odessa Ausrüstung der ukrainischen Luftwaffe zerstört worden. In der ostukrainische Region Charkiw seien zudem Lager mit aus dem Westen gelieferten Waffen mit Raketen beschossen worden.

In den umkämpften ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk sind ukrainischen Angaben zufolge mindestens sechs Zivilisten getötet worden. Zwölf weitere Menschen seien verletzt worden, teilten die Gebietsverwaltungen am Samstag im Nachrichtendienst Telegram mit. Unter den Toten seien auch zwei Kinder, die im Dorf Prywillja bei Beschuss mit Mehrfachraketenwerfern des Typs «Grad» (Hagel) getötet worden sein sollen. Infolge des vor rund zweieinhalb Monaten von Russland begonnenen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind UN-Angaben zufolge landesweit bereits mehr als 3300 Zivilisten getötet worden.

Ukraine meldet Abschuss von russischem Landungsboot

In der Schwarzmeer-Region beanspruchte das ukrainische Militär einen Erfolg für sich: «In den Gewässern des Schwarzen Meeres wurde ein feindliches Landungsboot vom Typ «Serna» vernichtet», teilte der Pressechef der Militärverwaltung von Odessa, Serhij Bratschuk, auf seinem Telegram-Kanal mit. Dazu veröffentlichte er ein Video, das den Beschuss des Schiffs mit einer Drohne zeigen soll. Ob die Aufnahmen echt sind, konnte allerdings nicht überprüft werden.

Das Schiff soll den ukrainischen Angaben zufolge nahe der Schlangeninsel versenkt worden sein. Ukrainische Journalisten hatten am Vortag davon berichtet, dass in diesem Gebiet eine russische Fregatte beschossen worden und in Brand geraten sein soll - was allerdings weder aus Kiew noch aus Moskau offiziell bestätigt wurde. Unklar war zunächst auch, ob die Berichte vom Freitag und vom Samstag sich tatsächlich auf zwei verschiedene russische Wasserfahrzeuge bezogen oder ob möglicherweise dasselbe gemeint sein könnte.

Bundestagspräsidentin Bas in Kiew erwartet

Auf ukrainische Einladung hin reist am Sonntag Bundestagspräsidentin Bärbel Bas nach Kiew. Sie könnte dort möglicherweise auch Präsident Wolodymyr Selenskyj treffen. Bas' Besuch fällt zusammen mit dem 77. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa. In einem Interview des SWR sagte die SPD-Politikerin: «Und natürlich ist es auch mein Wunsch, dass wir die Parallelen dieses Krieges von damals ins Heute ziehen, also dass Krieg nur Verlierer kennt und dass wir zu einer Waffenruhe kommen müssen und die Eskalation vermeiden.»

Zwischen Kiew und Berlin hatte es wochenlang Verstimmungen gegeben, weil ein Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine zwischenzeitlich nicht erwünscht war. Steinmeier und Selenskyj räumten die Irritationen in der vergangenen Woche in einem Telefonat aus.

Blinken: Putin verdreht die Geschichte

US-Außenminister Antony Blinken hat Russlands Präsidenten Wladimir Putin mit Blick auf das Gedenken an das Kriegsende 1945 Geschichtsrevisionismus vorgeworfen. «Präsident Putin versucht, die Geschichte zu verdrehen, um seinen unprovozierten und brutalen Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen», erklärte Blinken. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk «verteidigen tapfer ihr Land, ihre Demokratie und die rechtmäßige Zukunft der Ukraine» in einem freien und friedlichen Europa.

Es gebe eine «heilige Pflicht» gegenüber den im Zweiten Weltkrieg Gefallenen, so Blinken weiter. Das bedeute, «die Wahrheit über die Vergangenheit zu sagen und all jene zu unterstützen, die in unserer Zeit für die Freiheit eintreten». Während der Krieg in Europa erneut wüte, gelte es, die Entschlossenheit verstärken, denjenigen zu widerstehen, die jetzt versuchten, die historische Erinnerung zu manipulieren.

CIA-Chef: Putin wird Krieg weiterführen

Russlands Präsident Wladimir Putin wird den Krieg in der Ukraine nach Ansicht von CIA-Chef Bill Burns weiter vorantreiben. Putin sei in einer Verfassung, in der er nicht glaube, es sich leisten zu können, zu verlieren, zitierte die «Financial Times» Burns am Samstag. Der CIA-Chef sprach in Washington auf einer Veranstaltung der Zeitung.

Nach Einschätzung von Burns ist Putin überzeugt, mit noch mehr Einsatz Fortschritte erzielen zu können. Burns sagte außerdem, dass die US-Geheimdienste keine praktischen Beweise dafür sähen, dass Russland einen Einsatz taktischer Atomwaffen plane. Dennoch dürfe man diese Möglichkeit nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Menschenrechtsexpertin fällt erschütterndes Urteil

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats hat das Ausmaß und die Schwere der Menschenrechtsverstöße in Folge des russischen Angriffskriegs als erschütternd bezeichnet. Dunja Mijatović schrieb nach einem viertägigen Besuch in Kiew am Samstag in einer Mitteilung, Menschen in der Ukraine hätten entsetzliche Gräueltaten erlebt. «Jeder von ihnen verdient Gerechtigkeit und darf nicht vergessen werden.»

Mijatović ermahnte in ihrem Schreiben: «Menschenrechte enden im Krieg nicht, sie treten nicht in den Hintergrund.» Auch das Völkerrecht müsse von allen in allen Umständen geachtet werden. Mijatović forderte, die humanitäre Hilfe für Opfer des Kriegs auszubauen und die Unterstützung bei der Nachverfolgung von Verbrechen aufrechtzuerhalten.

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