Krieg in der Ukraine
Machtkampf in Putins Truppen - Krieg läuft nicht nach Plan
Machtkampf in Putins Truppen - Krieg läuft nicht nach Plan
Machtkampf in Putins Truppen - Krieg läuft nicht nach Plan
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In seinem an Niederlagen reichen Krieg in der Ukraine setzt Kremlchef Putin nun Russlands ranghöchsten Offizier als direkten Kommandeur ein. Die neue Befehlsgewalt dürfte den Machtkampf in der Truppe anheizen.
Kremlchef Wladimir Putin setzt nach fast einem Jahr Krieg und vielen Niederlagen in der Ukraine einmal mehr auf eine neue Befehlsgewalt. Jetzt soll der immer wieder für die Misserfolge öffentlich von russischen Scharfmachern und Militärbloggern gescholtene Generalstabschef Waleri Gerassimow Fortschritte im Angriffskrieg zur Besetzung ukrainischer Gebiete bringen.
Dazu setzte Putin den 67-Jährigen nun demonstrativ dem von Hardlinern geschätzten Kommandeur Sergej Surowikin vor die Nase. Die Entscheidung dürfte vor allem auch den Machtkampf in den russischen Truppen verschärfen.
Der erst im Oktober eingesetzte Surowikin kann bisher keine Gebietsgewinne in der Ukraine vorweisen - und ist jetzt nur noch einer von drei Stellvertretern Gerassimows. Der «General Armageddon» gepriesene Hoffnungsträger Surowikin steht vor allem für die Bombardierung ukrainischer Energie-Infrastruktur, die Ausfälle der Stromversorgung und der Heizungen in Millionen Haushalten zur Folge hatte. Surowikin wollte das Land in Kälte und Dunkelheit stürzen und so unter Ukrainern eine neue Massenflucht Richtung Westen auslösen. Doch die für Putin wichtigen Geländegewinne gibt es nicht.
Surowikin gilt seit langem als Favorit der selbst ernannten rigorosen Kräfte in Putins Krieg - allen voran Jewgeni Prigoschin, Chef der paramilitärischen Organisation Wagner, und Ramsan Kadyrow, der als Oberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus eigene Truppen befehligt. Die beiden hatten immer wieder die Militärführung kritisiert.
Teils traf die Kritik der Wagner-Leute auch Gerassimow persönlich, direkt und in aller Öffentlichkeit. In ihrem Streben nach Einfluss warfen sie Gerassimow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu vor, verantwortlich zu sein für Fehler während des Feldzugs, für fehlende Munition, Versorgung und Ausrüstung der Soldaten.
Stärkung der Militärführung kommt als Überraschung
Dass Putin, der seinem Vertrauten Prigoschin auch das Anwerben von verurteilten Straftätern in Gefängnissen durchgehen ließ, nun doch nach außen hin die Militärführung stärkt, wird im In- und Ausland als handfeste Überraschung aufgenommen. Immerhin hat Gerassimow seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 ohnehin die Verantwortung für diese Invasion. Immer wieder gab es Gerüchte, er sei zurückgetreten, verletzt worden oder abgesetzt. Nun aber sieht sich der einmal vom ukrainischen Oberkommandierenden Walerij Saluschnyj als «Klügster» unter den Militärs in Moskau bezeichnete Gerassimow an vorderster Front im Aufwind - vorerst zumindest.
Putin setzte zudem den von Tschetscheniens Machthaber Kadyrow als «Versager» brüskierten General Alexander Lapin als Chef der russischen Bodentruppen ein, was ebenfalls als Stärkung des Militärs im Kampf um Einfluss gilt. Kommentatoren meinten aber, es handele sich weniger um eine Beförderung Lapins als vielmehr um einen Versuch, Scharfmacher wie Kadyrow und Prigoschin auf die Plätze zu verweisen. Während Prigoschin etwa die aktuell besonders umkämpfte Stadt Soledar im Gebiet Donezk schon für eingenommen erklärte, hieß es aus dem Kreml, es gebe zwar eine «positive Dynamik», aber noch kein Ergebnis.
Für Prigoschins Wagner-Truppe wäre die Einnahme Soledars, wo nach Angaben beider Seite besonders viele Soldaten sterben, ein Triumph. Aber die ukrainische Führung gibt die Stadt bisher nicht auf.
Putin steht unter Druck
Kiew wertet Putins Umbau der Befehlsgewalt mit Gerassimow an der Spitze vielmehr als einen hilflosen Versuch, Erfolge auf dem Schlachtfeld zu erzielen. Kremlchef Putin steht nach dem massenhaften Tod russischer Soldaten bei einem Raketenangriff in dem Ort Makijiwka (russisch: Makejewka) in der Neujahrsnacht mehr denn je unter Druck.
Die Politologin Tatjana Stanowaja bilanziert, Putin zeige mit der neuen Kommandostruktur einmal mehr, dass er nichts verstehe vom Militär. Der Präsident sei hin- und hergerissen zwischen Prigoschins Wagner-Truppe und Gerassimow. Nach ihrer Einschätzung muss Gerassimow wohl Putin bei einer Aussprache überzeugt haben, dass das Militär den Krieg gewinnen könne. Für die Scharfmacher sei das «ein Schock». Für den bisherigen Kommandeur Surowikin wiederum bedeute es eine «unangenehme Entscheidung», aber er bleibe im Spiel. Putin folge nur seiner Logik und Einstellung zu Untergebenen, meinte Stanowaja: «Alle sind Idioten, aber andere gibt es nicht.» Er verkenne dabei, dass nicht die Menschen das Problem seien, sondern die gesteckten Kriegsziele.
Machtkampf zwischen den russischen Truppen
In der Ukraine kommentiert die Militärführung, dass Putins häufige Umbesetzung der Kommandeure der Beweis dafür sei, dass nichts nach Plan laufe in dem Krieg. Der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Olexij Danilow, analysierte in Kiew, dass sich die verschiedenen Truppen - das Militär, die Wagner-Gruppe, Kadyrows Einheiten und womöglich eine neue Einheit aus den russischen Sicherheitsstrukturen - in einem Machtkampf verlören. Daher würden die nächsten zwei bis drei Monate entscheidend in dem Krieg, sagte Danilow.
Das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) rechnet nicht damit, dass Gerassimow Putins «unrealistische Erwartungen» einer vollen Eroberung der vier annektierten ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson erreicht. Der ranghöchste Offizier überwache nur die «unorganisierte Kommandostruktur». Und Putin bestätige durch Gerassimows Ernennung vielmehr die führende Rolle des Militärs in dem Krieg, analysierte die Denkfabrik. Die lange erniedrigte, aber mächtige russische Militärführung hätte leicht zur Gefahr für Putin selbst werden können. Nun aber werde sie durch die Stärkung Gerassimows kaum Widerstand gegen Putin leisten.