Krieg gegen die Ukraine

Russland kämpft gegen ukrainische Offensive im eigenen Land

Russland kämpft gegen ukrainische Offensive im eigenen Land

Russland kämpft gegen ukrainische Offensive im eigenen Land

dpa
Kiew/Moskau
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Die Ukraine ist mit Bodentruppen in die russische Grenzregion Kursk eingedrungen. (Archivbild) Foto: ---/Administration of the Kursk region of Russia via AP/dpa

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Bislang hat die Ukraine sich im eigenen Land verteidigt, nun trägt sie den Krieg nach Russland ins Land des Angreifers. Doch noch ist offen, ob der Einsatz wertvoller Truppen das Risiko wert ist.

Die ukrainische Armee hat den dritten Tag in Folge ihre überraschende Offensive über die Grenze ins russische Gebiet Kursk vorangetrieben und Geländegewinne erzielt. Zwar teilten die zivilen russischen Behörden in Kursk wie auch das Verteidigungsministerium in Moskau offiziell mit, der ukrainische Vormarsch sei gestoppt worden. Doch unter anderem der russische Militärblog Rybar, der dem Ministerium nahesteht, zeichnete ein anderes Bild: Demnach rückten die Ukrainer weiter vor, zogen in der Nacht Reserven nach und begannen damit, ihre Stellungen zu befestigen.

Die russische Reaktion auf die grenzüberschreitende Offensive erfolgte erst langsam. Über das Gebiet Kursk, in dem Tausende auf der Flucht sind, wurde der Ausnahmezustand verhängt. Die Bahnhöfe der grenznahen Städte Sudscha, Korenowo und Psel wurden für den Passagierverkehr geschlossen, wie die Eisenbahndirektion in Moskau mitteilte. Verletzte aus dem Gebiet Kursk, vor allem Kinder, wurden in Krankenhäuser in der Hauptstadt gebracht. Von dort wiederum fuhren Ärzte in das umkämpfte Gebiet.

Blog sieht Westen von Sudscha unter ukrainischer Kontrolle

Ein Vordringen der ukrainischen Truppen sei dank des Einsatzes von Grenztruppen, herangeführten Reserven, Luftangriffen und Artilleriebeschuss unterbunden worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Der Militärblog Rybar berichtete, der westliche Teil der Kleinstadt Sudscha sei unter ukrainischer Kontrolle. Gekämpft werde um den Osten der Stadt. Außerdem seien die Ukrainer weiter nach Norden vorgestoßen in Richtung Anastassejewka sowie nach Nordosten Richtung Korenowo. 

Örtlichen Berichten zufolge gibt es jedoch keine ukrainische Präsenz in Sudscha selbst. Lediglich nördlich und westlich der Stadt wird von Schießereien und Artilleriebeschuss berichtet. Nicht bestätigten Berichten zufolge seien ukrainische Aufklärungseinheiten auch in Richtung des Atomkraftwerks Kursk vorgerückt und bei Anastassejewka gesichtet worden.

Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) bestätigten anhand von Informationen in sozialen Netzwerken, dass die ukrainischen Truppen mindestens zehn Kilometer weit in das Gebiet vorgedrungen seien. Offiziell hielt sich die Ukraine weiter bedeckt zu dem Vorstoß auf gegnerisches Gebiet, der am Dienstag begonnen hatte. Im Morgenbericht des Generalstabs wurde die Offensive nicht erwähnt. Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte allerdings bei der Vorstellung einer Handy-App für das Militär: «Die ukrainische Armee kann überraschen. Und sie kann Ergebnisse erzielen.»

Russischer Gasexport läuft normal

Bei Sudscha befindet sich eine Gasmess- und Verdichterstation, die für russische Gasexporte nach Westen wichtig ist und mutmaßlich in der Hand der Ukrainer ist. Trotzdem meldete der russische Gaskonzern Gazprom nur einen geringen Rückgang der Durchleitung. Demnach werde mit der Durchleitung der Tagesmenge von etwa 37,3 Millionen Kubikmetern Erdgas gerechnet, teilte das Unternehmen mit. Dies seien fünf Prozent weniger als am Vortag, meldete die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass nach diesen Angaben. Von Sudscha führt der Transit durch die Ukraine und weiter in die Slowakei und nach Österreich. 2023 wurden auf diesem Wege trotz des laufenden Krieges 14,6 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die Europäische Union transportiert. 

Während bei bisherigen Vorstößen von ukrainischem Gebiet nach Russland nur irreguläre Einheiten zum Einsatz kamen, rücken dieses Mal allen Berichten nach reguläre ukrainische Truppen mit Panzern, Artillerie und Flugabwehr vor. Der Schritt über die Grenze bedeutet eine Veränderung der Kiewer Kriegsführung. Sie setzte bislang auf Rückeroberung oder Verteidigung eigener Gebiete, russische Gebiete wurden aus der Luft mit eigenen Drohnen und Raketen beschossen. Die meisten westlichen Waffenlieferanten haben den Einsatz ihrer Waffen auf russische Militärziele in der Ukraine beschränkt. 

Die EU sah den Vorstoß aber durch das Recht auf Selbstverteidigung gedeckt. «Wir sind der Meinung, dass die Ukraine einen rechtmäßigen Verteidigungskrieg gegen eine illegale Aggression führt», sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Brüssel. Selbstverteidigung schließe auch das Recht ein, den Feind auf dessen Territorium anzugreifen. Die EU stehe hinter den Bemühungen der Ukraine, ihre territoriale Integrität und Souveränität wiederherzustellen und die illegale Aggression Russlands zu bekämpfen.

Überraschungsmoment aufseiten der Ukraine

Über das Ziel des Vorstoßes wird indes weiter gerätselt, denn eigentlich bräuchte die Ukraine die Truppen, um die bröckelnde Front im Gebiet Donezk zu stabilisieren. Andererseits verschafft ihr der Angriff ein Überraschungsmoment. Womöglich will die Ukraine Russland zwingen, seine Kräfte umzugruppieren, nachdem Moskau zuletzt Geländegewinne im Donbass verzeichnete und Kiews Truppen in die Defensive gedrückt hatte. Diskutiert wird weiter auch, dass die Ukraine einem russischen Angriff auf ihr Gebiet Sumy zuvorkommen wollte. Russland hatte im Mai bei der ostukrainischen Großstadt Charkiw eine neue Front eröffnet. 

«In einer Zeit, in der die ukrainischen Verteidiger im Osten an mehreren Abschnitten zurückgedrängt werden, ist der Einsatz von fähigen Kampftruppen in Kursk entweder ein brillanter Gegenschlag, um das Gleichgewicht des Krieges zu verschieben, oder ein strategischer Fehler», schrieb der US-Experte und frühere General Mick Ryan im Netzwerk X. 

Moskauer Militärbeobachter meinten indes, dass durch den ukrainischen Angriff auf russisches Staatsgebiet, angeblich auch mit Waffen aus Nato-Staaten die Motivation auch in der russischen Bevölkerung für eine Fortsetzung des Krieges noch einmal steigt. Das russische Staatsfernsehen zeigte, wie in vielen Teilen des Landes Hilfswellen anrollten, um die Menschen in Kursk zu unterstützen.

 

 

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