Krieg in Nahost

Scholz dringt auf Waffenruhe in Gaza

Scholz dringt auf Waffenruhe in Gaza

Scholz dringt auf Waffenruhe in Gaza

dpa
Washington/Gaza
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Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lässt sich von einer Bodenoffensive in Rafah nicht abbringen. Foto: Ohad Zwigenberg/AP/dpa

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Die USA wollen Israel Alternativen für eine Bodenoffensive in Rafah aufzeigen. Israel lässt sich von einer Offensive aber nicht abbringen. Kanzler Scholz setzt auf eine Waffenruhe. Die News im Überblick.

Bundeskanzler Olaf Scholz dringt weiter auf eine längerfristige Waffenruhe im Gaza-Krieg und auf mehr humanitäre Hilfe. «Was jetzt möglichst schnell gelingen muss, ist ein zeitlich etwas länger währender Waffenstillstand, in dem die Geiseln freikommen und die Gestorbenen herausgegeben werden, damit eine würdige Trauer möglich ist für die Angehörigen», sagte der SPD-Politiker in einer Regierungserklärung im Bundestag. In dieser Zeit müsse mehr humanitäre Hilfe Gaza erreichen. 

«Ich will hier an dieser Stelle keine falsche Hoffnung erwecken», sagte Scholz. «Aber ein bisschen habe ich den Eindruck, es ist im Augenblick realistischer, als es schon lange war, womit es noch lange nicht gelungen ist.» 

Ziel des Deutschen Bundestags, der Europäischen Union, der USA und vieler anderer sei die Perspektive einer Zweistaatenlösung, betonte der Bundeskanzler. «Es muss jetzt erkennbar werden, wie es eine Zukunft für ein friedliches Nebeneinander von Israel und einem palästinensischen Staat geben kann.» 

Bericht: Verhärtete Fronten bei Verhandlungen über Feuerpause

Bei den über die Vermittler Katar, Ägypten und den USA geführten Verhandlungen erscheinen die Ziele Israels und der Hamas jedoch derzeit unmöglich miteinander vereinbar, berichtete das «Wall Street Journal». Während Israel darauf poche, den Krieg nach einer Feuerpause mit dem Ziel einer Zerschlagung der Hamas fortzusetzen, verhandele die Hamas im Wesentlichen um ihr Überleben und dränge auf einen dauerhaften Waffenstillstand und Möglichkeiten, im Nachkriegs-Gaza einflussreich zu bleiben, wenn auch nicht mehr als Herrscher.

Die Vermittler sähen die laufenden Gespräche als letzte Chance, eine Waffenruhe zu erreichen, bevor es zu Israels Rafah-Offensive kommt, hieß es. Jeder Angriff auf Rafah würde alle Bemühungen um eine Einigung über eine Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln behindern, warnte der Sprecher des katarischen Außenministeriums.

Netanjahu besteht auf Rafah-Offensive

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will sich dem Druck der USA widersetzen und hält an einer Bodenoffensive in der zurzeit mit Geflüchteten überfüllten Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens fest. Er habe in seinem Telefonat mit US-Präsident Joe Biden diesem «unmissverständlich klargemacht», dass Israel zur Zerschlagung der letzten Bataillone der islamistischen Hamas in Rafah entschlossen sei.

«Es gibt keine andere Möglichkeit, als am Boden hineinzugehen», sagte Netanjahu vor dem Außen- und Verteidigungsausschuss des israelischen Parlaments, wie die Zeitung «Times of Israel» berichtete. Er hatte am Vortag in dem Gespräch mit Biden dessen Aufforderung zugestimmt, eine Delegation in den kommenden Tagen nach Washington zu schicken. Dort wollen die USA einem Medienbericht zufolge Alternativen zu einer Bodenoffensive aufzeigen.

USA wollen massive Opfer unter Zivilisten in Rafah vermeiden

«Wir sagen nicht einfach: 'Nein, das könnt ihr nicht tun. Wir sagen, dass wir bereit sind, mit Ihnen an praktikablen Alternativen zu arbeiten, die Ihnen trotzdem helfen, Ihre Ziele zu erreichen», zitierte die «Times of Israel» einen ranghohen US-Beamten. Der Widerstand der USA gegen eine größere Bodenoffensive in Rafah bedeute nicht, dass Washington gezieltere Einsätze gegen die Hamas-Führung in Rafah oder anderswo ablehne, hieß es. Die alternativen Pläne der USA seien ebenfalls auf dieses Ziel ausgerichtet.

Ein Ansatz könne demnach sein, dass Israel sich statt einer Bodenoffensive darauf konzentriert, den Waffenschmuggel von Ägypten nach Gaza durch den sogenannten Philadelphi-Korridor zu verhindern. Der Aufbau einer Infrastruktur zur Unterbrechung der Schmuggelroute sei für die Zerschlagung der Hamas wichtiger als eine große Bodenoffensive in Rafah. «Wenn Israel in Rafah einmarschiert, mit all den zivilen Opfern, die dies mit sich bringen würde, wird die Zusammenarbeit mit Ägypten bei der Sperrung des Korridors sehr viel schwieriger», hieß es.

Auch das Nachrichtenportal «Axios» hatte zuvor unter Berufung auf US-Beamte über diese von Washington in Erwägung gezogene Option berichtet. Eine weitere Idee sei, eine Militäroperation in Rafah zu verschieben und sich auf die Stabilisierung der humanitären Lage im Norden des abgeriegelten Küstengebiets zu konzentrieren, berichtete das Nachrichtenportal am Dienstag weiter. Dort droht nach Angaben der Vereinten Nationen eine Hungerkatastrophe.

Diese Option würde auch den Bau von Unterkünften für die aus Rafah zu evakuierende Zivilbevölkerung beinhalten, berichtete «Axios». Ziel sei es, das Potenzial zu verringern, dass es bei einer Invasion in Rafah zu massiven zivilen Opfern kommt. Rafah gilt als die letzte nicht stark zerstörte größere Stadt im abgeriegelten Gazastreifen. Jede Art von Einsatz in Rafah setze eine weitaus stabilere humanitäre Situation in dem Küstengebiet voraus, berichtete auch die Zeitung «Times of Israel» unter Berufung auf einen US-Beamten.

Bericht: Verteidigungsminister Israels und USA planen Treffen

In Rafah suchen Schätzungen zufolge derzeit 1,5 Millionen der 2,2 Millionen Bewohner Gazas auf engstem Raum Schutz vor den Kämpfen in den anderen Teilen des Küstengebiets. In Rafah befindet sich auch der Grenzübergang zu Ägypten, über den Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelangen.

Man sei zu dem Treffen in Washington Anfang nächster Woche bereit, damit die US-Regierung Israel ihre Ideen «insbesondere im humanitären Bereich» vorstelle, zitierte «Axios» Netanjahu weiter. Er sei aber weiter entschlossen, die Zerschlagung der Hamas abzuschließen und das gehe nur mit einer Bodenoffensive in Rafah.

Die Bundesregierung fordert Israel außerdem auf, die Sicherheit humanitärer Helfer im Gazastreifen sicherzustellen. Die Helfer müssten vor Angriffen geschützt werden, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. «Wir fordern Israel immer wieder auf, mehr zu tun, um eine sichere Versorgung der Zivilbevölkerung zu ermöglichen», fügte er hinzu. Angesichts der katastrophalen Situation in dem Gebiet müsse dringend mehr Hilfe bei den notleidenden Palästinensern ankommen. Israel sei daher aufgefordert, seine sehr strikten Kontrollen von Hilfslieferungen auf das Notwendige zu beschränken.

Blinken: Ganz Gaza von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen

Die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens ist nach Einschätzung von US-Außenminister Antony Blinken von akuter Ernährungsnot betroffen. Nach den anerkanntesten Bewertungen litten «100 Prozent der Bevölkerung in Gaza unter schwerwiegender akuter Ernährungsunsicherheit», sagte er am Dienstag zum Abschluss eines Besuchs auf den Philippinen. «Das ist das erste Mal, dass eine ganze Bevölkerung so eingestuft wurde.» Blinken reist heute nach Saudi-Arabien und dann nach Ägypten weiter, um die Bemühungen für eine vorübergehende Waffenruhe und Geiselfreilassung zu besprechen.

Spielt Hamas-Anführer al-Sinwar auf Zeit?

Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, reiste am selben Tag aus Katar in seine Heimat zurück, um das Kriegskabinett über den Stand der dort laufenden Verhandlungen zu unterrichten. Barneas Delegation ist aber laut Medien weiter in der Hauptstadt Doha, wo die von Katar, den USA und Ägypten vermittelten Gespräche erst am Montagabend wieder aufgenommen worden waren.

Es werde damit gerechnet, dass die Gespräche ein bis zwei Wochen dauern. Ein ranghoher israelischer Beamter habe erklärt, man sei pessimistisch, dass eine Einigung erzielt werden könne, berichtete die «Times of Israel». Zwar könnten die Meinungsverschiedenheiten überbrückt werden, doch sei nicht klar, ob der Hamas-Anführer im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, wirklich eine Einigung anstrebe oder nur auf Zeit spiele, um die geplante israelische Offensive auf Rafah abzuwehren.

Einsatz in Schifa-Klinik dauert an - 90 Terroristen tot

Israels Armee setzt indes eigenen Angaben zufolge ihren Einsatz im Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza fort. «Bisher haben die Truppen in der Gegend etwa 90 Terroristen getötet», teilte das Militär mit. Zudem hätten Einsatzkräfte 160 Verdächtige festgenommen und zur weiteren Befragung nach Israel gebracht, hieß es in einer Erklärung der Armee weiter. 300 Menschen seien zudem vor Ort befragt worden.

Israelische Truppen waren in der Nacht zum Montag erneut in die größte Klinik des Gazastreifens eingerückt, um dort eigenen Angaben nach gegen die Hamas und ihre Infrastruktur vorzugehen. Bei dem Einsatz wurden Armeeangaben zufolge bislang auch zwei israelische Soldaten getötet.

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