Geburtstag
Sylter Fischhändler und Gastronom Jürgen Gosch wird 80
Sylter Fischhändler und Gastronom Jürgen Gosch wird 80
Sylter Fischhändler und Gastronom Jürgen Gosch wird 80
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Pünktlich zum 80. Geburtstag wagt der Promi-Fischhändler ein Experiment - und öffnet ein Fleisch-Restaurant.
Gut schaut er aus, wettergegerbte Haut und immer ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. Kaum zu glauben, dass Jürgen Gosch am 15. Mai schon 80 Jahre alt wird. Er arbeitet noch immer. Täglich, sagt er. Hobbys? Habe er kaum mehr. Früher war der Mann, der von seinen Freunden seit Kindertagen „Jünne“ gerufen wird, ein ganz guter Fußballer. Länger her. Wäre Golf spielen womöglich eine Alternative für den Ruhestand? Gosch lacht - und winkt sofort ab. Nein, danke. Kein Golf. Und auch kein Ruhestand. Das sei nichts für ihn, sagt der gelernte Maurer und bekannteste Fischhändler Deutschlands. „Die Arbeit ist mein Hobby.“
Der „Jünne“ sitzt an diesem sommerlichen Tag im zweiten Corona-Frühling in seinem neuesten Restaurant Pier 67, das demnächst eröffnet werden soll. Noch geben sich die Bauarbeiter die Klinke in die Hand. Und Gosch ist ständig ihr Ansprechpartner. „Wir haben keinen Architekten, wir machen hier alles selbst.“
Wir, das sind er und seine Mitarbeiter. In der Hochsaison beschäftigt das Unternehmen rund 450 Männer und Frauen. Das Gebäude am Hafen in List hat Gosch kürzlich übernommen. Das Pier 67 wird im Gosch-Imperium ein Novum sein: auf den Tisch kommt nämlich in erster Line Fleisch, kein Fisch. Die einfache Erklärung des Besitzers: „Wir wollen uns doch nicht selbst Konkurrenz machen.“
Wir wollen uns doch nicht selbst Konkurrenz machen.
Jürgen Gosch über sein neues Fleisch-Restaurant
Denn schräg gegenüber ist das große Gosch- Fischrestaurant Knurrhahn. Hier wie dort haben die Gäste auf manchen Plätzen einen wunderbaren Blick hinaus aufs weite Meer. Bei den Umbauarbeiten des Gebäudes hat Jürgen Gosch mal wieder zur Mauerkelle gegriffen. Einen Teil der Wand im Innenraum hat er gemauert, Klinkerstein auf Klinkerstein. Als Reminiszenz an früher. Direkt an seiner Mauer, die nicht verputzt wird, möchte Jürgen Gosch nach der Eröffnung ab und zu Platz nehmen. An diesem Ort kann er durch die großen Fenster hinüber schauen bis zur dänischen Nachbarinsel Rømø, wo die Gosch-Gruppe kürzlich eine stillgelegte Muschelfabrik gekauft hat. Diese wird das Unternehmen als Zwischenlager nutzen.
Lister Hafen als Heimat
Der Lister Hafen ist für Jürgen Gosch längst zur Heimat geworden, auch wenn er im kleinen, ruhigen Inselort Braderup wohnt. Die meiste Zeit verbringt der im Kriegsjahr 1941 in Tönning geborene Mann in List. In diesem nördlichsten Ort Deutschlands hat alles angefangen, im Jahr 1967, deshalb auch der Name Pier 67 für das neue Restaurant.
Rückblende. Sein erstes Geld verdient der „Jünne“ als Vierjähriger mit Krabbenpulen in Tönning. Später sammelt er auf Mülldeponien Kupfer und Schrott. Geschäftstüchtig sei er schon immer gewesen, erzählt Gosch. „Wenn dir Steine in den Weg gelegt werden, dann baue was draus.“ Dieser Spruch wird für ihn zum Lebensmotto.
Wenn dir Steine in den Weg gelegt werden, dann baue was draus.
Jürgen Gosch
Weil die Mutter es wünscht und weil der Opa einen Maurerbetrieb hat, macht Gosch nach der Schulzeit zunächst eine Maurerlehre. Eigentlich hätte er eines Tages wohl den Familienbetrieb übernommen. Doch sein erster Besuch auf Sylt ändert fast alles.
Gosch kommt auf die Insel, um eine Baustelle im Süden von Westerland zu betreuen. Nach Feierabend fährt er gerne nach List zum Hafen, um sich ein paar Krabben zu kaufen. Als die Fischer seine Frage, ob denn auch Fisch im Angebot sei, verneinen, hat er die Geschäftsidee, die ihn in den folgenden Jahren und Jahrzehnten bundesweit bekannt macht. Jürgen Gosch beginnt, Fische zu verkaufen, zunächst mit einem schnöden Bauladen, in erste Linie Aale aus Husum. Die Geschäfte laufen gut. Bald verkauft er seine Aale nicht nur am Hafen, sondern auch am Strand.
Bude statt Bauchladen
Der Mann aus Tönning - heute würde man ihn einen gewitzten Startup-Gründer nennen - fragt bei der Gemeinde nach, ob er wohl eine Bude am Hafen eröffnen dürfe. Er will nicht mehr ständig mit dem Bauchladen herum laufen. Geht klar, heißt es im Rathaus. Aber eine Konzession für den Verkauf von Alkohol bekommt er nicht. Zunächst jedenfalls nicht. Seine Schlitzohrigkeit bringt ihn wenig später doch zum Ziel: Bier und Schnaps am Hafen verkaufen zu dürfen, seiner „wahren Fischsuppe“ sei dank.
Gosch mischt Korn mit Zitronenbrause und serviert das Gebräu in Plastikschalen. Zunächst gibt es einen Rüffel vom Hafenmeister, dann von der Obrigkeit. Der Übeltäter erklärt aber sinngemäß: Was in der Fischsuppe ist, das geht euch gar nichts an. Die Verwaltung hat schließlich ein Einsehen - und belohnt die kuriose Idee des Jungunternehmers Gosch mit der gewünschten Konzession. Wer weiß, wie die Sache ausgegangen wäre, wenn ihm partout verboten worden wäre, zum Fisch auch Alkohol auszuschenken. Gosch wäre womöglich Maurer geblieben. Was wäre dann nur aus List und aus dem Lister Hafen geworden? Ohne diesen nimmermüden Hans Dampf in allen Gassen.
Aalverkauf im Bundesgebiet
Die Geschäfte laufen immer besser. Jürgen Gosch stellt die ersten Mitarbeiter ein. Im Herbst packt er jede Menge Aale in einen Lastwagen und tourt durch Deutschland, fährt zum Beispiel nach Mannheim, nach Köln und nach Düsseldorf. Wenn alle Fische unter die Leute gebracht sind, fährt er zurück nach Sylt. Damals, erzählt Gosch, habe er sich entscheiden müssen: Aale verkaufen oder weiter als Maurer arbeiten. Er wählt die Fische, legt die Mauerkelle weg - der Rest ist Gastro-Geschichte.
Die Firma hat heute auf Sylt elf Verkaufsstellen, dazu rund 40 Franchisenehmer in ganz Deutschland und einen Onlineversand. Auf mehreren Kreuzfahrtschiffen gibt es ein Gosch-Restaurant. Auf Sylt, sagt er, seien nun keine weiteren Geschäfte mehr geplant, auch nicht in Hörnum im Inselsüden, wo es bis dato kein Gosch-Restaurant gibt. Weitere Franchisenehmer könne er sich aber sehr gut vorstellen, gerne deutlich mehr - vielleicht 100. Sagt’s und lacht schon wieder sein Jürgen-Gosch-Lachen.
Die Gäste brauchen einen Ansprechpartner.
Jürgen Gosch
Dieser bundesweit bekannte Unternehmer hat x Auszeichnungen bekommen, als „Gastronom des Jahres“ 2020 zum Beispiel und als „Service Champion“ im Jahr 2011. Seit 2010 darf Gosch für sich als „Marke des Jahrhunderts“ werben. Wie viele Ehrungen insgesamt? Das, sagt Gosch, wisse er gar nicht. Das Handelsblatt hat den Maurer, der längst Millionär ist, einmal als „Kultfigur und Animateur“ bezeichnet. Auch in Anspielung auf seine legendären Partys in Großzelten. Früher, so Gosch, sei er gelegentlich auch mal als Sänger mit eigenen Liedern aufgetreten - etwa mit dem Song „Ein Matjes passt in jedes Portemonnaie“. Diese turbulenten Zeiten sind zwar vorbei, aber nach wie vor weiß Gosch: „Die Gäste brauchen einen Ansprechpartner.“
Die Insel als Zuhause
Und diese Gäste, sagt Gosch, „sind unser Kapital“. Sylt ohne Touristen sei für ihn nicht denkbar, sie seien „die einzige Einnahmequelle“. Sylt, behauptet er, sei ihm nie zu voll. Wer im Hochsommer keinen Trubel wolle, der müsse halt die Fußgängerzone in Westerland meiden und stattdessen lieber an den Lister Ellenbogen fahren, „da ist fast kein Mensch“. Für ihn gebe es nichts Schöneres, als auf Sylt zu leben. Klar, manchmal bekomme auch er „den Inselkoller“. Dann flüchtet er aufs Festland - um wenig später festzustellen: „Ich freue mich auf Sylt.“ Wem die Insel nicht gefalle, der müsse ja nicht kommen.
Jürgen Gosch schwört auf Sylt - auf Sylt und auf Fisch. Er sei noch immer so gesund, weil mindestens 80 Prozent seiner Nahrung aus Meeresfrüchten bestehe. Und weil die Sylter Luft so gut sei. Mit Blick auf das Pandemie-Jahr sagt der Optimist: „Wir wollen nicht jammern, wir haben Rücklagen gebildet.“
Wir wollen nicht jammern, wir haben Rücklagen gebildet.
Jürgen Gosch
So ein bescheidenes Jahr könne sein Unternehmen „vertragen“. Er mache sich mehr Sogen um andere, um die Taxifahrer zum Beispiel, um die Künstler und um Unternehmer, die erst kürzlich ihre Firma gegründet haben. Allmählich werde es allerdings auch für sein Unternehmen Zeit, dass die Geschäfte wieder laufen wie vor Corona.
Die Arbeit geht dem Mann, der jetzt seinen runden Geburtstag begeht, offenkundig nie aus. Das derzeit größte Einzelprojekt der Gosch-Gruppe ist der Neubau der Fischfabrik in Ellingstedt, der in diesem Herbst in Angriff genommen werden soll. Seinen 80. Geburtstag werde er vermutlich gar nicht feiern - wegen der Corona-Beschränkungen. Eigentlich würde der „Jünne“ ja gerne mit vielen Freunden und Bekannten eine rauschende Fete ausrichten - das ist aber zurzeit tabu. „Also holen wir das Fest irgendwann nach, vielleicht, wenn ich 90 werde.“