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Darum waren Ausgangssperre und Co. in Pinneberg sinnlos

Darum waren Ausgangssperre und Co. in Pinneberg sinnlos

Darum waren Ausgangssperre und Co. in Pinneberg sinnlos

Jan Schönstedt/shz.de
Pinneberg
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Seit dem 28. April gelten im Kreis Pinneberg verschärfte Regeln. Am 7. Mai soll die Notbremse enden, da die Inzidenz wieder deutlich unter 100 gesunken ist. Foto: Christian Ohde via imago-images.de

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Seit einer Woche sinkt die Inzidenz. Dass das nichts mit der Corona-Notbremse zu tun hat, zeigt eine Analyse von shz.de.

Sie sollte für Klarheit im Corona-Regelwirrwarr sorgen. Nach einer Woche Bundes-Notbremse im Kreis Pinneberg ist aber nur eines klar: Das Regelwerk hat dafür gesorgt, dass selbst gestandene Verwaltungsbeamte den Überblick verloren haben. Klar scheint gar nichts mehr zu sein – lange Zeit nicht einmal, wann und wie die Notbremse gelöst wird. Am Freitag (7. Mai) ist es nun soweit. Zeit für eine Bilanz. 

Seit dem 4. April hat es der Kreis Pinneberg nur viermal über den neuralgischen Inzidenzwert von 100 geschafft. Das allerdings ausgerechnet an den entscheidenden Tagen nach Einführung der Bundes-Notbremse. Was folgt, ist eine Tragödie in sechs Akten. 

 

1. Akt: Premiere für die Ausgangssperre 

 

Die Einführung der Notbremse am 28. April bescherte den Kreis Pinnebergern erstmals eine nächtliche Ausgangssperre. Einige Wochen zuvor war das noch kein Thema. Offenbar gönnte man damals den Menschen noch mehr Freiheit. Dafür setzte das Land mit der exklusiven 100er-Inzidenz-Grenze bei Schulen und Kitas auf Kontinuität. Denn an geschlossene Betreuungs- und Bildungseinrichtungen hat man sich im Süden Schleswig-Holsteins längst gewöhnt. Da weicht die Regierung in Kiel bislang vom „Einheitsgesetz“ des Bundes ab und legt mit einer Inzidenz von 100 statt 165 einen strengeren Maßstab an. Diesen Sonderweg will man aber nun verlassen, verkündete Ministerpräsident Daniel Günther am Mittwochnachmittag. 

2. Akt: Schädelbrummen auf Helgoland 

Bei der Erschaffung eines Gesetzes kann man nicht an alles denken. Schon gar nicht an Orte, die so gar nichts mit Corona zu tun haben. So wie Helgoland. Seit Monaten liegt die Inzidenz auf Deutschlands einziger Hochseeinsel bei null. Nun hat Helgoland aber das Problem, dass die Insel auf dem Papier zum Kreis Pinneberg gehört. Das Land hatte netterweise stets Ausnahmen für die Insel gemacht. Nicht so der Bund. So gilt auch in Deutschlands corona-freiestem Ort die Notbremse. Nach außen tragen die Bewohner es mit Fassung und sprechen von Solidarität – insgeheim dürften ihnen vom Hände über dem Kopf zusammenschlagen aber die Schädel brummen. 

3. Akt: Was ist eigentlich mit Durchreisenden? 

Die Ausgangssperren-Premiere hat viele Fragen nach sich gezogen. Nicht immer hatte man gleich eine Antwort parat, wenn wir bei den Behörden angefragt haben. Denn was ist eigentlich mit Menschen, die auf ihrer Reise in ihrem Auto oder der Bahn den Kreis Pinneberg durchqueren? Hier mussten sich Polizei und Kreisverwaltung erst einmal schlau machen. Tatsächlich: Es ist verboten. Zumindest, wenn kein triftiger Grund vorliegt. Logisch. Macht auch Sinn. Die Gefahr für einen Niedersachsen, sich auf dem Weg zu Verwandten nach Flensburg auf der Autobahn in Pinneberg durch die Klimaanlage das Virus einzufangen, ist unvorstellbar groß. Da freut es auch die Natur, wenn der Niedersachse einen Umweg fährt, nur um nicht zwischen 22 und 5 Uhr im Kreis Pinneberg unterwegs zu sein. 

4. Akt: Fehlende Gleichberechtigung bei Wochentagen 

Tage, Werktage, Feiertage – von Gleichberechtigung sind unsere Wochentage noch weit entfernt. Die Bundes-Notbremse unterscheidet hier ganz genau. Während sich der deutsche Gesetzgeber bei der Einführung der verschärften Regeln tolerant zeigt – hier sind Sonn- und Feiertage genauso wertvoll wie ein Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag –, wird beim Lösen der Notbremse unterschieden. Hier ist ein Montag deutlich mehr wert als ein Sonntag. Sonn- und Feiertage zählen nämlich nicht, wenn es darum geht, die erforderlichen fünf aufeinanderfolgenden Tage unter einer Inzidenz von 100 zu sein. Zu allem Überfluss war der vergangene Samstag dann auch noch ein Feiertag (1. Mai). Da kann man schon einmal den Überblick verlieren. Immerhin fanden Juristen der Kreisverwaltung in Abstimmung mit dem Land zwei Tage nach Einführung der Notbremse im Kreis Pinneberg heraus, dass tatsächlich der 7. Mai der früheste Tag für das Ende der verschärften Regeln ist. 

5. Akt: Warten auf die Wirkung der Notbremse 

Freitag endet die Notbremse. Ob die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen im Kreis Pinneberg überhaupt gewirkt haben, bleibt allerdings völlig unklar. Denn der positive Trend der vergangenen Tage hatte schon vor dem Greifen der Notbremse eingesetzt. So war ausgerechnet der vergangene Mittwoch, der Tag, ab dem Ausgangssperre und Co. gegriffen haben, der erste Tag unter 100. Seitdem ist die Inzidenz auf unter 70 geschrumpft. Die Notbremse wird dazu nicht beigetragen haben – üblicherweise lässt sich die Wirkung solcher Maßnahmen laut Behörden erst nach rund zwei Wochen an den Infektionszahlen ablesen. 

6. Akt: Das Fazit 

Wir werden also nie erfahren, ob die Notbremse wirklich geholfen hat. Als Ergebnis lässt sich lediglich festhalten, dass das Gesetz aus Berlin die Bediensteten bei Kreis und Land in Teilen überfordert hat. Geholfen hat dabei auch nicht, dass Schleswig-Holstein bei den Schulen einen Sonderweg eingeschlagen hatte. Keine Klarheit, dafür aber jede Menge offene Fragen und Nachbesserungsbedarf. In anderen Teilen Deutschlands mag die Notbremse hilfreich sein. Im Kreis Pinneberg hat sie nicht geholfen. Die Aufregung und Verwirrung rund um das neue Gesetz wird bei dem einen oder anderen den Verdruss über die Corona-Maßnahmen verstärkt haben. Das ist gefährlich. Denn wer die Regeln nicht mehr nachvollziehen kann, steht nicht dahinter – und das führt am Ende wieder zu steigenden Zahlen.

 

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