Landespolitik

Das Geheimnis des Erfolgs: Daniel Günther und Robert Habeck im Vergleich

Das Geheimnis des Erfolgs: Daniel Günther und Robert Habeck im Vergleich

Daniel Günther und Robert Habeck im Vergleich

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Kiel
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Kennen und vertrauen sich seit Jahren: Robert Habeck (l.) und Daniel Günther. Foto: Marcus Dewanger, shz.de

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Sie kommen aus unterschiedlichen Lagern, sind völlig anders politisch sozialisiert: Daniel Günthers und Robert Habecks Erfolg basiert aber auf dem gleichen Prinzip. shz.de analysiert, welches das ist.

Faust auf Faust – das hatten sie schon immer drauf. Jedenfalls sind sich Daniel Günther und Robert Habeck schon lange bevor die Pandemie dieser Begrüßung den Namen „Ghetto-Faust“ entzogen hat, so begegnet. Denn vor ein paar Jahren hatte das noch etwas Cooles – so begrüßten sich Buddies, die was gemeinsam abchecken wollen.

Fast wirkt es so, als hätten sich Daniel Günther und Robert Habeck seit dieser zeit noch weiter angenähert, denn in der Tat verbindet sie ja mehr als ihre gemeinsame Herkunft aus Schleswig-Holstein. Sie gehören zu den beliebtesten deutschen Politikern, zu den – noch immer relativ jungen – Hoffnungsträgern ihrer Parteien, in denen sie sich auch gegen Widerstände durchgesetzt haben.

Die beiden Sunnyboys haben mehrmals gezeigt, dass sie Wahlen gewinnen und über alte Lagergrenzen hinweg Koalition schmieden können. Sie haben ein ähnlich pragmatisches Politikverständnis und vom Auftreten und Habitus sind sie für Politiker vergleichsweise unprätentiös.

Aber sind Günther und Habeck das Duo das die deutsche Politik der kommenden Jahre prägen wird? Was verbindet und was trennt die beiden? Sind sie vielleicht sogar austauschbar?

Sowohl Günther als auch Habeck würden letzteres wohl direkt zurückweisen. Und in der Tat trennt die beiden weltanschaulich einiges – darüber kann keine schwarz-grüne Koalition hinwegtäuschen. Im Zweifel vertraut der Christdemokrat eben doch der Eigeninitiative, während der Grüne auf den Staat setzt. Im Zweifel will Günther setzt auf die Unterstützung des Bauernverbandes, Habeck auf die der Umweltverbände. Und der eine will mit Vollgas die Klimawende erreichen, der andere mit Überschallgeschwindigkeit.

Kinder der Ära Kohl

Was Habeck und Günther gemeinsam geprägt hat, ist die Zeit. Vier Jahre älter ist der Grüne, aber beide gehören zur Generation Golf, wie ein Bestseller aus dem Jahr 2000 diese Alterskohorte genannt hat. Habeck und Günther wachsen relativ sorgenfrei in bürgerlichen Haushalten im Wohlstand der 80er Jahre an der Kieler Bucht auf, der eine in Eckernförde, der andere in Heikendorf.

Sie werden in der Ära Helmut Kohl politisch sozialisiert – nur eben ganz unterschiedlich. Während sich Günther früh in der Jungen Union engagiert und auch kommunalpolitisch aktiv wird, erzählt Habeck heute noch gern, wie er sich im Schultheater ausprobiert und nach dem Abitur den Sommer am Strand verbracht hat. Der eine stellt sich nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl die Sinnfrage, der andere trägt den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke lange loyal mit.

Der eine studiert Philosophie in Freiburg und Dänemark und wird Schriftsteller, der andere kommt nicht weiter als 25 Kilometer von seinem Elternhaus weg und bekommt nach seinem Magister-Abschluss in Politikwissenschaft an der Uni Kiel schnell einen Job bei der Organisation, der er danach alle beruflichen Tätigkeiten verdankt: der CDU. Günther ist früh der Anzugtyp, Habeck prägt seinen Knitterlook. Optisch, mentalitätsmäßig und politisch trennen die beiden damals Welten.

Mittlerweile sind sie sich aber deutlich ähnlicher, weil sich beide gewandelt haben – und damit stehen sie ein bisschen für die sich wandelnde Gesellschaft der 2000er und 2010er Jahre. Alte Gräben zwischen Links und Rechts, zwischen Bauern und Ökopaxen, zwischen harten Wirtschaftsbossen und alternativen Genossenschaften sind längst zugeschüttet.

Grüne und CDU sind so bürgerlich geworden wie es Habeck und Günther schon immer waren. Und weil beide das erkannt und sich darauf eingestellt haben, sind sie so beliebt. Immer wenn Politiker gesellschaftliche Trends erkennen, sie adaptieren und umsetzen, entwickeln sie Charisma im Sinne des Soziologen Max Weber. Solchen Politikern folgen die Menschen, auch wenn die ihnen neue und unbequeme Dinge zumuten, weil sie an den Erfolg ihrer „Außeralltäglichkeit“ gerade in Krisen glauben.

Gegen die eigene Partei

Das zeigt sich auch in den Parteien. Wenn Daniel Günther in der CDU immer wieder predigt, dass die Partei jünger, weiblicher und städtischer werden müsse, wenn er für die gleichgeschlechtliche Ehe oder eine tolerante Asylpolitik wirbt, halten ihn manche Parteifunktionäre immer noch für gaga – folgen ihm aber doch, weil er sie bei Wahlen zu Erfolgen und Mandaten führt. Genauso ist es bei Habeck, wenn der den Klima- und Umweltschützern plötzlich klar macht, dass wegen der Energiekrise Kohlemeiler wieder angefahren werden oder Terminal für konventionell gewonnenes Flüssiggas aus dem Boden gestampft werden müssen.

Günther und Habeck verbindet aber noch mehr. Sie können Machtlücken erkennen, nutzen und ausbauen. Beide haben das in ihren Parteien gelernt. Günther von Beginn an in unzähligen Sitzungen der JU und CDU im Kreis Rendsburg-Eckernförde und im Land, Robert Habeck direkt nach seinem eher zufälligen Parteieintritt im Jahr 2002 als er direkt zum Kreisvorsitzenden in Schleswig-Flensburg und zwei Jahre später zum Landesvorsitzenden gewählt wird.

Die Grünen sind in dieser Zeit im Umbruch. Die Gründergeneration tritt langsam ab, Habeck nutzt ein Machtvakuum. Bei der Landtagswahl 2000 haben die Grünen erheblich an Stimmen eingebüßt, fünf Jahre später scheitert ein Minderheitenbündnis mit der SPD, weil es im Landtag einen Heide-Mörder gibt. Die Ex-Minister Anne Lütkes und Klaus Müller verlassen den Norden, Habeck wird 2009 gemeinsam mit Monika Heinold Spitzenkandidat und drängt den verdienten Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel aus dem Amt.

Machtkämpfe erkennen, bestreiten und gewinnen

Es sind diese machtpolitischen Wegmarken, die jeder Politiker passieren muss, wenn er erfolgreich sein muss. Habeck hat sie mehrfach sogar bewusst gesucht, etwa als er auf seinem Weg in die Bundespolitik auch politische Freundschaften mit dem Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz durch seine Parlamentskandidatur gefährdete oder sich Sonderregeln in der autoritätsskeptischen Partei erstritt, um neben dem Bundesvorsitz auch noch eine Weile Umweltminister in Schleswig-Holstein sein zu können.

Dagegen wirken Günthers Wegmarken vergleichsweise klein. Aber auch er hat Machtkämpfe hinter sich, hat CDU-Talente wie den Ex-Landeschef Christian von Boetticher genauso scheitern sehen wie einen Nachfolger nach dem anderen. Günther kennt die Post-Barschel-CDU genau und wartet einfach in guten Positionen bis die Macht zu ihm kommt. Wie 2014 als ihm der Fraktions- und 2016 als ihm der Landesvorsitz und die Spitzenkandidatur praktisch in den Schoß fallen, weil die CDU keinen anderen mehr hat, der für den Job nur ansatzweise in Frage kommt. Auch das ist politisches Talent: zur rechten Zeit am rechten Ort sein.

Danach begreift Günther schnell, dass er weg muss vom Image des harten Oppositionsführers, der er zu Anfang im Landtag ist. Wie Habeck kann er Rollen wechseln – und wird auf einmal der Brückenbauer über Lagergrenzen hinweg, weil er weiß, dass er wahrscheinlich nur so politische Mehrheiten organisieren kann. Ähnlich wie Habeck geht er 2017 ein Risiko ein, als er die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein wagt. Beide muten ihren eher im traditionellen Lagerdenken verhafteten Parteibasen dabei einiges zu.

Doch deren Skepsis ist die eine Seite der Medaille, auf deren anderer die Anerkennung durch die Öffentlichkeit geprägt ist. Spätestens nachdem Finanzminister Franz Josef Strauß (CSU) und Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) als „Plisch und Plum“ in der Großen Koalition der 60er Jahre, parteiübergreifend, charmant, kompetent und dabei sogar mit Humor die erste Konjunkturdelle der Bundesrepublik ausbeulten, lieben Menschen und Medien solche ungewöhnlichen Bündnisse in der Politik.

Günther und Habeck nutzen das noch stärker aus. Sie geben sich offen und modern. Sie entstauben alte Parteiklischees, weil sie politische Lagergrenzen kennen, sie aber jederzeit überbrücken können. Das haben sie beide gelernt, ob sich da nun einer vom anderen etwas abgeguckt hat, das werden nur die beiden wissen.

Zwei Alphatiere

Günther und Habeck sind medial geschult, immer für einen originellen Satz gut – auch einer, der anderen in ihrer Partei vielleicht nicht gefällt. Sie sind pragmatisch, verlässlich und irgendwie trotzdem politische Nerds, weil sie bereit sind, für die Politik fast alles zu geben.

Dazu wissen sie den anderen zu nutzen, etwa wenn Günther im Wahlkampf immer wieder fast bewundernd die Namen der Grünen Bundesminister Annalena Baerbock und Robert Habeck fallen lässt – oder wenn der Bundeswirtschaftsminister bei seinem Antrittsbesuch in Schleswig-Holstein dem Ministerpräsidenten überdeutlich Respekt zollt.

Beide wissen aber auch, dass das endlich, Schwarz-Grün ein Zweckbündnis ist und die Erzählung der beiden Kumpels von der Ostsee, die für moderne Koalitionen stehen, auch wieder schnell vorbei sein kann. Dafür haben beide zu viel in der Politik erlebt. Und sie werden vermutlich nicht zögern, den anderen fallen zu lassen, wenn er ihrem persönlichen Fortkommen im Wege stehen sollte. Denn bei aller Lockerheit: Die beiden Alphatiere haben einen extremen Willen zur Macht.

Sie kennen sich, sie vertrauen sich – aber Kumpels sind sie nicht, auch wenn die Ghetto-Faust das suggerieren mag. Privat haben die beiden nichts miteinander zu tun, und es ist auch nur schwer vorstellbar, dass die Handballfreaks mal nebeneinander auf einer Tribüne hocken – und das nicht nur, weil Günther Fan des THW Kiel und Habeck Anhänger der SG Flensburg-Handewitt ist. Faust drauf.

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