Hundebisse

Innenministerium: Fast jeden Tag beißt ein Hund in SH zu

Innenministerium: Fast jeden Tag beißt ein Hund in SH zu

Innenministerium: Fast jeden Tag beißt ein Hund in SH zu

Eckard Gehm/shz.de
Kiel
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Die „Beiß-Statistik“ des Innenministeriums belegt eine steigende Zahl von Vorfällen. Foto: dpa/picture alliance

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Die Zahl der Hundebisse, bei denen Menschen verletzt wurden, steigt in Schleswig-Holstein kontinuierlich. Die während der Pandemie geschlossenen Hundeschulen dürften das Problem weiter verschärfen.

In Schleswig-Holstein ist es erneut zu einem Zwischenfall mit einem freilaufenden Hund gekommen. Das Tier verletzte auf der Schlosswiese in Ratzeburg (Kreis Herzogtum Lauenburg) einen zwölf Jahre alten Jungen. 

Der Hund mit einer Schulterhöhe von 50 bis 60 Zentimetern soll den Jungen bei der Badeanstalt angesprungen haben. Polizeisprecherin Sandra Kilian: „Mit den Krallen der Vorderläufe verletzte er ihn am Oberschenkel und der Wade. Auch als der Junge kurz darauf ins Wasser ging, verfolgte ihn der Hund, klammerte sich sogar an seinem Bein fest.“ Der Besitzer des Tieres griff laut Polizei zu keinem Zeitpunkt ein, rief seinen Hund nicht zurück. 

 

Als es dem Jungen dann gelang, das Tier zu vertreiben und er aus dem Wasser kam, soll sich der Hundehalter die Verletzungen angesehen haben. „Anschließend wollte er einen Verbandskasten zur Versorgung des Jungen holen, entfernte sich dann aber unerkannt“, so die Polizeisprecherin. 

Serie von Attacken sorgt für Diskussionen 

Die Attacke reiht sich ein in eine Reihe von Vorfällen, die zuletzt für Diskussionen im Land gesorgt haben. Anfang Mai riss ein Hund auf einer Koppel unweit des Owschlager Sees (Kreis Rendsburg-Eckernförde) einer trächtigen Ricke ihr ungeborenes Kitz aus dem Bauch. Ein Jagdpächter, der den grausigen Fund machte, vermutet, dass der Hundehalter gesehen habe, wie das Reh gerissen wurde, trotzdem keinen Jäger alarmierte. Zudem war der Hund nicht angeleint gewesen, was das Landeswaldgesetz vorschreibt. 

Schwerste Verletzungen erlitt eine Postbotin (57), die Ende Mai in Langwedel, ebenfalls im Kreis Rendsburg-Eckernförde, noch vorm Betreten des Grundstücks von einem American Staffordshire Terrier gebissen wurde. Sie wurde mit dem Rettungshubschrauber in eine Lübecker Klinik geflogen. 

„Beiß-Statistik“ zeigt immer mehr Angriffe von Hunden auf Menschen

Nach der vom Innenministerium geführten sogenannten „Beiß-Statistik“ gab es zuletzt immer mehr Angriffe von Hunden. 2019 wurde 287 Menschen gebissen, in den Jahren davor waren es 247 und 217. Für 2020 liegt die Statistik noch nicht vor. Wie Ministeriumssprecher Tim Radtke sagte, gehe man aber von Zahlen wie in 2019 aus. Traurig: Unter den Verletzten waren immer auch Kinder: 36 (2019), 39 (2918) und 44 (2017). 

Geschlossene Hundeschulen sind ein Problem 

Thorsten Krützmann, 2.Vorsitzender des Polizei- und Gebrauchshundevereins Ostholstein, sagt: „Der lockere Umgang mit der Leinenpflicht in Schleswig-Holstein ist ein Problem, da nicht alle Hunde hören.“ Mit einem Rückgang von Attacken in der nahen Zukunft rechnet er nicht. 

 

Während der Pandemie haben sich mehr Menschen Hunde angeschafft, weil sie im Home-Office waren. Gleichzeitig waren Hundeschulen geschlossen. Diese fehlende Erziehung muss nun aufgearbeitet werden.

Thorsten Krützmann

 

Neue Diskussion um abgeschaffte Rasseliste 

Im Kieler Landeshaus ist unterdessen die Kontroverse um die Rasseliste, die 2016 abgeschafft worden ist, wieder aufgeflammt. Der CDU-Abgeordnete Heiner Rickers sagte, die Liste samt höherer Besteuerung für „Kampfhunde“ habe eine positive Wirkung gezeigt und somit die Zahl von Angriffen minimiert. 

 

Allerdings zeigt die Statistik des Innenministerium, dass es keinen typischen „Beiß-Hund“ gibt. Tiere aus 109 verschiedenen Rassen waren zuletzt auffällig geworden, von den ehemaligen Listenhunden waren es in sechs Fällen American Staffordshire Terrier und in zwei Fällen Pittbull Terrier. 

An der Spitze der Beiß-Statistik stehen Mischlingshunde. Der Schäferhund und Mischlinge dieser Rasse sind mit 34 Fällen vertreten, der Labrador mit 18 und der Bordercollie mit 19 Fällen. Rottweiler und deren Mischlinge fielen in neun Fällen auf. 

Problem am hinteren Ende der Leine 

SPD, FDP, Grüne und SSW sind daher überzeugt, dass das bestehende Hundegesetz die Menschen ausreichend schützt – auch weil das Problem sich am hinteren Ende der Leine befinde. 

So wird in Schleswig-Holstein ein Hund erst dann als gefährlich eingestuft, wenn er verhaltensauffällig wurde. Dann allerdings ist der Halter verpflichtet, einen Hundeführerschein zu machen, für sein Tier gilt Leinen- und Maulkorbzwang. Nach zwei Jahren kann der Hund dann einen Wesenstest absolvieren. Wird der bestanden, entfallen die Einschränkungen.

Ein Kommentar von Dieter Schulz 

Das andere Ende der Leine 

Wer eine Waffe besitzen möchte, benötigt ein polizeiliches Führungszeugnis. Wer ein Motorrad fahren will, muss eine Fahrprüfung ablegen. Wer einen 40 Kilogramm schweren Jagdhund führen will, wird nicht im Geringsten auf Eignung oder Sachkunde überprüft. 

Die Folge: Fast täglich wird im Land ein Mensch von einem Hund gebissen. Nun würde ein „Hundeführerschein“ nicht jeden dieser Beiß-Vorfälle verhindern, genauso wenig wie die Führerscheinprüfung dafür sorgt, dass Motorrad-Fahrer keine Verkehrsunfälle verursachen. 

Aber einschränken würden ein paar Hürden auf dem Weg zu Hundehalter dies schon. Denn ein Großteil der Beißattacken resultiert aus der Überforderung der Halter, aus Unterschätzung von Stress-Situationen, aus Unvermögen. Denn eines ist klar: Das Problem läuft immer auf zwei Beinen am hinteren Ende der Leine.

 

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