Flächenverbrauch

Debatte auch in SH: Die grünen Zweifel am Einfamilienhaus

Debatte auch in SH: Die grünen Zweifel am Einfamilienhaus

Debatte auch in SH: Die grünen Zweifel am Einfamilienhaus

Frank Jung/shz.de
Kiel
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Foto: Philipp Wilken

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Geschosswohnung statt Einfamilienhaus – so soll der Flächenverbrauch in SH nach Ansicht der Grünen reduziert werden.

Nachdem Grünen-Bundestagsfraktions-Chef Anton Hofreiter mit kritischen Äußerungen zum Bau von Einfamilienhäusern für Aufsehen gesorgt hat, lässt seine Partei auch im Norden Distanz zu der beliebten Wohnform erkennen.

„Wir müssen in Schleswig-Holstein davon wegkommen, jeden Tag rund drei Hektar Land zu bebauen“, fordert Grünen-Landesvorsitzende Ann-Kathrin Tranziska. „Wir wollen dahinkommen, dass wir die uns zur Verfügung stehenden Flächen effizienter nutzen“, sagte sie unserer Zeitung. „Und das ist durch Mehrparteiengebäude und Geschosswohnungen besser zu realisieren als beispielsweise durch große Einfamilienhäuser.“

Plädoyer für genauere Vorgaben an Gemeinden

Anders sei nicht erreichbar, dass Schleswig-Holstein den täglichen Flächenverbrauch bis 2030 um fast zwei Drittel auf 1,3 Hektar pro Tag reduziert. So ist es im von der Jamaika-Koalition fortgeschriebenen Landesentwicklungsplan verbrieft. Anfang der 2000er-Jahre waren im nördlichsten Bundesland täglich noch acht Hektar in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt worden. Rund neun Prozent der Landesfläche entfallen auf erstere, gut vier Prozent auf letztere Kategorie.

200 Gemeinden und Städte im Land können zwar nach Gutdünken unbegrenzt neue Wohngebiete jeder Art ausweisen. Das sind neben Städten, Stadtrandkernen und Zentren mit überörtlicher Versorgungsfunktion Kommunen auf extra ausgewiesenen „Siedlungsachsen“. Anders sieht es aus mit den weiteren 900, meist kleineren Kommunen. Das Land hat ihre Zubau-Kontingente ohnehin gedeckelt. Zusätzlich tritt Tranziska dafür ein, diesen so genannten „wohnbaulichen Entwicklungsrahmen“ genauer zwischen verschiedenen Wohnformen aufzusplitten. Sie könne sich „gut vorstellen“, dass der wohnbauliche Entwicklungsrahmen künftig etwas konkreter werden muss“, erklärte die Grünen-Chefin. „Bisher zählt die große Villa dabei genau gleich wie eine kleine Wohnung.“

 

Es müssen neue Grundsätze für die Stadt- und Dorfentwicklung Einzug in die Stadt- und Gemeinderäte finden.

Ann-Kathrin Tranziska, Grünen-Landesvorsitzende

Für die Chefin der Öko-Partei ist es „eine Tatsache, dass immer mehr Neubaugebiete auf der grünen Wiese dem wachsenden Wunsch der Menschen nach mehr Natur in ihrer Nähe widersprechen.“ Das gelte an erster Stelle im Hamburger Umland. „Da helfen uns keine Alibi-Debatten, sondern konkretes Handeln vor Ort, etwa mit flächensparsamen Bebauungsplänen.“ Aus ihrer Sicht „müssen neue Grundsätze für die Stadt- und Dorfentwicklung Einzug in die Stadt- und Gemeinderäte finden. Hier steht ganz besonders das Flächensparziel, die soziale Teilhabe und die Nachhaltigkeit im Vordergrund.“

Allerdings betont Tranziska, dass sie ein grundsätzliches Verbot neuer Einfamilienhäuser ablehne. „Wir Grüne wollen nicht verbieten, sondern transformieren.“ Unter anderem rufen die Grünen dazu auf, „weniger in die Breite zu bauen und stattdessen die Höhe zu nutzen.

Die CDU-Innenministerin sieht es anders

Ich warne davor, das Thema Flächensparen auf die Frage des Verbots von Einfamilienhäusern zu reduzieren.

Sabine Sütterlin-Waack (CDU), Innenministerin

In der Jamaika-Regierungskoalition gefällt es längst nicht jedem, dass die Grünen-Spitze die in Schleswig-Holstein dominierende Wohnform Einfamilienhaus schief angucken. „Ich warne davor, das Thema Flächensparen auf die Frage des Verbots von Einfamilienhäusern zu reduzieren“, sagt die für Baupolitik zuständige Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). „Das gefährdet die Akzeptanz für das eigentliche Ziel der Koalition, den Flächenverbrauch bis 2030 auf unter 1,3 Hektar pro Tag zu senken“. Gleichwohl schätzen die Experten in ihrem Ressort die Nachfrage nach weiteren Einfamilienhäusern als ungebrochen „hoch“ ein.

„Wir brauchen in Schleswig-Holstein auch weiterhin Einfamilienhäuser“, liest Sütterlin-Waack daraus ab. Sie habe bei der Gestaltung von Baugebieten „großes Vertrauen in die interessengerechten Abwägungen unserer kommunalen Verantwortungsträger“. Am Hamburger Rand würden schon heute kaum noch Einfamilienhäuser gebaut. Das Land habe „in diesem Prozess vor allem eine steuernde Funktion. Diese nehmen wir wahr, indem wir kommunale Maßnahmen zur städtebaulichen Innenentwicklung, Revitalisierung oder Umstrukturierung bestehender Flächen, zur Altlastensanierung und zum Flächenrecycling anregen und fördern. Dazu hat das Land Anfang des Jahres zwei neue Projekte aufgelegt.

Massiver Einspruch aus den Reihen der Kommunen

Massiver Protest gegen die grünen Überlegungen kommt vom Gemeindetag. Gerade Kommunen in Reichweite von Städten profitieren von der Ausweisung neuer Einfamilienhausgebiete. Damit ziehen sie eine finanziell tendenziell besser gestellte, steuerkräftige Klientel an, die sich im Eigenheim mehr Platz und Freiheit wünscht als in der alten Wohnung.

Das berührt fundamental die Lebensperspektive vieler Menschen und die Chancen auf sozialen Aufstieg.

Jörg Bülow, Geschäftsführer des Gemeindetags

„Die Debatte über ein Verbot oder drastisches Herunterfahren des Einfamilienhausbaus geht an den Bedürfnissen der Menschen vorbei“, findet Geschäftsführer Jörg Bülow. Gerade die aktuelle Entwicklung auf dem Immobilienmarkt macht deutlich, dass es „ein starkes Verlangen nach der Freiheit und Naturgebundenheit eines Eigenheims gibt und sie damit auch eine Absicherung im Alter und Vermögensbildung anstreben“. Dies zu untersagen oder zu behindern, berühre „fundamental die Lebensperspektive vieler Menschen und die Chancen auf sozialen Aufstieg.“

Bülow gibt zu bedenken, dass von einem 500 Quadratmeter großen Einfamilienhausgrundstück maximal 100 Quadratmeter versiegelt würden. Das übrige Areal enthalte mehr Biodiversität als fast alle anderen Flächen im Land. Der Gemeindetags-Chef empfiehlt, Bemühungen gegen den Flächenverbrauch stattdessen auf andere Felder zu lenken: „Derzeit werden hunderte , wenn nicht tausende Hektar landwirtschaftlicher Fläche in Schleswig-Holstein für Photovoltaik umgenutzt und für Logistikflächen, Lkw-Parkplätze und ähnliche Maßnahmen versiegelt.“

Der Gemeindetag warnt vor einer verstärkten Wohnungsnot in den größeren Städten, wenn neue Einfamilienhäuser und der Zuzug aufs Land erschwert würden. „Wohnungspolitisch wäre das fatal“, so Bülow. Zudem führt er an: Es diene auch dem Verständnis für die Belange von Umwelt und Naturschutz, wenn die Menschen naturnah leben können.

 

Neue Programme

Flächen-Monitoring und Fördergeld

Was ließe sich in Schleswig-Holstein mobilisieren an Reserven für eine Nachverdichtung – ob Baulücken, Splittergrundstücke, brachliegende Flächen aus einer einstigen gewerblichen oder anderen Nutzung? Dazu will die Landesregierung ein Flächen-Monitoring aufbauen. Es ist Teil des Anfang des Jahres gestarteten Projekts „Nachhaltiges Flächenmanagement“. Mit insgesamt zwölf Millionen Euro Fördermitteln möchte die Jamaika-Koalition Altlastensanierung, Revitalisierung und Flächenrecycling von Industrie- und Gewerbeflächen voranbringen. Zusätzliche Anreize sind laut Innenministerium nötig, weil sich eine neue Nutzung solcher Areale in der Praxis oft als kostenintensiver herausstelle als der Neubau in unbelasteten Außenbereichen. Zeitgleich hat das Land bei der Investitionsbank Schleswig-Holstein einen Baulandfonds mit einem Kreditvolumen von 100 Millionen Euro aufgelegt. Damit sollen Kommunen und Investoren Flächen „anfassen“, die sie zwar schon für eine Nachnutzung identifiziert haben – von denen sie aber wegen Komplexität oder schwer einzuschätzenden Rentabilität die Finger gelassen haben. Bei der Bewilligung von Krediten hat das Land insbesondere Projekte vor Augen, die einer innerörtlichen Nachverdichtung dienen. Das zielt etwa auf Flächen mit einer komplexen Besitzerstruktur wie bei alten Siedlerhäusern. Gedacht ist auch an die Umwandlung von Bauernhöfen in zentralörtlichen Lagen.

 

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