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Grüne sagen auf ihrem Parteitag «Ja» zur Realpolitik

Grüne sagen auf ihrem Parteitag «Ja» zur Realpolitik

Grüne sagen auf ihrem Parteitag «Ja» zur Realpolitik

dpa
Bonn
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Grünen Parteichefin Ricarda Lang kann sich nur einen kurzfristigen Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke vorstellen. Foto: Moritz Frankenberg/dpa

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Die Delegierten der Grünen freuen sich zwar über das Wiedersehen nach fast drei Jahren Pause. Doch die Krisen, auf die sie als Regierungspartei Antworten müssen, dämpfen die Stimmung.

Mit einem Bekenntnis zu realpolitischen Zwängen und Verantwortung haben die Grünen ihren Bundesparteitag in Bonn begonnen. Mit den Worten «Ob wir es wollen oder nicht - am Ende werden wir die Welt gerettet haben müssen», gab die Bundesgeschäftsführerin Emily Büning in ihrer Begrüßungsrede am Freitag den Kurs für die nächsten Tage vor.

«Wir machen Politik für die Realität, die da ist», betonte die Parteivorsitzende Ricarda Lang. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sagte sie: «Ich bin davon überzeugt, dass wir mehr Waffen liefern müssen, dass wir schneller werden müssen - die Zeit der Zögerlichkeit ist vorbei.» Wer deshalb die Rolle der Grünen als Friedenspartei infrage gestellt sehe, müsse wissen, der einzige Kriegstreiber in diesem Konflikt sei der russische Präsident Wladimir Putin. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte: «Putin darf nicht gewinnen, nicht auf dem Schlachtfeld und nicht bei dem Wirtschaftskrieg gegen Europa und gegen Deutschland».

«Investieren wir uns raus aus dieser Krise», appellierte Habeck mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts mit Russland. Viele Grüne erlebten Anfeindungen, fuhr er fort. «Weil wir für all das stehen, was Putin und seine deutschen Trolle hassen.»

Positive Bilanz aus Koalition

Habeck zog eine positive Bilanz der grünen Beteiligung an der Koalition mit SPD und FDP. Er verwies etwa auf die Nachfolge für das 9-Euro-Ticket, den höheren Mindestlohn, geplante Änderungen im Einwanderungsrecht und Regeln für mehr Tierwohl. Zur Stimmung in der Koalition sagte er: «Ich will nicht schönreden, dass es an vielen Stellen manchmal hakt.» Sarah-Lee Heinrich, Vorsitzende der Grünen Jugend, rief dazu auf, «sich nicht von einer deprimierten FDP auf der Nase herumtanzen lassen», sondern die Schuldenbremse für 2023 auszusetzen. Menschen, die nicht mehr wüssten, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollten, interessiere nicht, wer im Kabinett was entschieden habe.

Kritik von einzelnen Delegierten gab es an den Entlastungspakten der Bundesregierung, die den als Folge des Krieges gestiegenen Energiepreisen entgegenwirken sollen. Hier werde zu viel Geld nach dem «Gießkannenprinzip» verteilt, sagte Susanne Hilbrecht aus Dithmarschen. Die baden-württembergische Landesvorsitzende, Lena Schwelling, forderte angesichts notwendiger Hilfen für Menschen mit geringen Einkommen auch einen kritischen Blick auf Ausgaben und Vorschriften, die Städte und Gemeinden belasteten. «Wir müssen das Wünschenswerte vom Notwendigen unterscheiden», verlangte sie.

Der dreitägige Bundesparteitag mit rund 800 Delegierten ist das erste Vor-Ort-Treffen der Grünen seit Beginn der Corona-Pandemie. Überschattet wurde das Treffen der Partei, die tief in der Anti-Atom-Bewegung verwurzelt ist, vom Koalitionsstreit um die Restlaufzeit der letzten drei Atommeiler.

Abstimmungsergebnis soll bindend sein

Die Parteispitze hatte kurz vor dem Parteitag betont, das für Freitagnacht erwartete Ergebnis der geplanten Abstimmung zu diesem Thema sei für die anstehenden Gespräche mit SPD und FDP bindend. «Warum sollen wir sie sonst beschließen?», antwortete Parteichef Omid Nouripour auf eine entsprechende Frage von Journalisten.

Lang warb für die von Habeck vorgeschlagene Einsatzreserve für zwei der noch verbliebenen drei AKWs. Gleichzeitig betonte sie, die Grünen seien nicht bereit, ihre Entscheidungen an den schlechten Ergebnissen der FDP auszurichten. Sie sagte: «Neue Brennstäbe, ein Wiedereinstieg in die Atomkraft, das wird es mit uns nicht geben.»

Bundesgeschäftsführerin Büning sagte: «Wohin uns 16 Jahre Unionspolitik geführt haben, das sehen wir jetzt.» CDU und CSU hätten die Wende hin zu mehr Energie aus erneuerbaren Quellen nicht nur verschlafen, sondern «aktiv sabotiert». Lang kritisierte, die Union sei «eine Dagegen-Opposition, die keinerlei Konzepte hat». An die Adresse vor allem der AfD und ihrer Anhänger sagte Lang: «Demokratie lässt sich nicht wegbrüllen.»

Erwartet wurden die Delegierten am Nachmittag in Bonn von einigen Dutzend Demonstranten, die unter anderem gegen den geplanten Braunkohle-Abbau im nordrhein-westfälischen Lützerath und gegen die grüne Wirtschaftspolitik protestierten. Die Kritik an der Entscheidung, die Ortschaft abzubaggern, war auch im Saal sichtbar. Während die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur vorne auf der Bühne über den Ausstieg aus der Kohleverstromung 2030 sprach, hob hinten in der letzten Reihe ein junger Delegierter aus Baden-Württemberg ein Pappschild mit der Aufschrift «Lützi bleibt» in die Höhe.

Bürgergeld erst ein Anfang

Die Delegierten billigten mit großer Mehrheit einen Antrag zum sozialen Zusammenhalt in Zeiten der Inflation. Darin wird betont, dass das neue Bürgergeld und die Erhöhung der Leistungen der Grundsicherung zwar richtig, aber nicht ausreichend seien - vor allem angesichts der aktuellen enormen Preissteigerungen. Ein Vorschlag, an die Entwicklung der Inflation gekoppelte sogenannte Indexmieten grundsätzlich zu verbieten, setzte sich nicht durch.

Mit dem Bürgergeld will die Ampel-Koalition zum 1. Januar 2023 das Hartz-IV-System in seiner heutigen Form ablösen. Mit ihrem dritten Entlastungspaket Anfang September hatten SPD, Grüne und FDP zudem beschlossen, dass die Regelsätze für die rund fünf Millionen Bezieher der Grundsicherung um 50 Euro steigen sollen. Etwa für alleinstehende Erwachsene steigt er von 449 auf 502 Euro. Künftig soll der Bedarf vorausschauend an die Teuerungsraten angepasst werden.

Für das Wochenende sind Debatten zum Klimaschutz und zu außenpolitischen Fragen vorgesehen. Dazu gehören beispielsweise umstrittene Rüstungsexporte, etwa nach Saudi-Arabien. Und es geht um die Frage, ob die Bundesregierung laut genug gegen die Niederschlagung der Proteste im Iran protestiert.

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