Justiz
Karlsruhe billigt Masern-Impfpflicht für Kita-Kinder
Karlsruhe billigt Masern-Impfpflicht für Kita-Kinder
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Eine Impfung ist nicht nur bei Corona wichtig. Seit 2020 gilt eine Masern-Impfpflicht - mit Konsequenzen für Kita-Kinder. Das ist zumutbar, entscheidet nun Karlsruhe und weist Klagen von Eltern ab.
Eltern dürfen ihre kleinen Kinder auch in Zukunft nur in eine Kita geben, wenn diese gegen Masern geimpft oder immun sind. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die vor rund zweieinhalb Jahren eingeführte Nachweispflicht und wies vier Klagen betroffener Familien ab.
Die Grundrechtseingriffe seien nicht unerheblich, aber derzeit zumutbar, teilten die Karlsruher Richterinnen und Richter am Donnerstag mit. Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass der Schutz besonders gefährdeter Menschen vorgeht, ist in ihren Augen gerechtfertigt. (Az. 1 BvR 469/20 u.a.)
Seit 1. März 2020 dürfen Kitas und Tagesmütter keine Kinder ab einem Jahr mehr ungeprüft aufnehmen. Die Eltern müssen nachweisen, dass ihr Kind entweder geimpft ist oder schon die Masern hatte. Eltern bereits betreuter Kinder hatten bis 31. Juli 2022 Zeit, den Nachweis vorzulegen. Anderenfalls droht der Ausschluss oder ein Bußgeld.
Damit sind Eltern zwar nicht gehindert, sich gegen die Impfung zu entscheiden, wie die Verfassungsrichter schreiben. Das sei aber mit Nachteilen verbunden. Allerdings verfolge der Gesetzgeber den «Schutz eines überragend gewichtigen Rechtsguts, der hier auch dringlich ist»: Es gehe darum, die vielen Menschen vor dem hochansteckenden Virus zu schützen, die selbst nicht geimpft werden können.
Das sind vor allem Säuglinge, Schwangere und Kranke mit Immunschwäche. Experten gehen davon aus, dass sie durch die Immunität der Anderen mitgeschützt werden, wenn flächendeckend mindestens 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Das ist noch nicht erreicht.
Verbesserte gesundheitliche Sicherheit durch Impfung
Die Richterinnen und Richter weisen auch darauf hin, dass gerade Kita-Kinder besonders oft Kontakt zu Schwangeren und Babys haben. Gleichzeitig sei ein echter Impfschaden «extrem unwahrscheinlich». «Die Gefahr für Ungeimpfte, an Masern zu erkranken, ist deutlich höher als das Risiko, einer auch nur vergleichsweise harmlosen Nebenwirkung der Impfung ausgesetzt zu sein», hieß es weiter. Die Impfung führe damit «zu einer erheblich verbesserten gesundheitlichen Sicherheit» auch des einzelnen betroffenen Kindes.
Ungeimpfte Kinder seien auch nicht von «jeglicher frühkindlichen oder vorschulischen Förderung außerhalb der Familie» ausgeschlossen. So könnten sich privat mehrere gleichgesinnte Familien zusammentun.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnete die Entscheidung als «gute Nachricht für Eltern und Kinder». «Eine Masernerkrankung ist lebensgefährlich – für die Erkrankten und ihr Umfeld», teilte der SPD-Politiker in Berlin mit. Es sei deshalb Aufgabe des Staates, Infektionen etwa in Kitas zu vermeiden.
Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte begrüßte die Entscheidung. «Alle anderen Maßnahmen für eine höhere Impfquote haben nicht gefruchtet», sagte Präsident Thomas Fischbach der «Rheinischen Post». Der Impfstoff sei sicher und seit Jahrzehnten erprobt.
Keine harmlose Krankheit
Experten warnen seit langem vor dem Trugschluss, die Masern seien nur eine harmlose Kinderkrankheit. Es kann zu Komplikationen kommen, und das Immunsystem bleibt für längere Zeit geschwächt. Eine seltene Spätfolge ist eine Gehirnentzündung, die fast immer tödlich endet.
Die klagenden Eltern hatten auch beanstandet, dass man in Deutschland sein Kind gar nicht ausschließlicht gegen die Masern impfen lassen kann. Denn es gibt nur Kombi-Impfstoffe auch gegen Mumps, Röteln und teilweise Windpocken. Die Verfassungsrichter haben damit kein Problem: Auch diese Impfungen würden von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlen und seien «grundsätzlich kindeswohldienlich».
Eine Beanstandung gab es nur im Detail. Im Infektionsschutzgesetz ist ganz allgemein von Impfstoffen die Rede, die auch Komponenten «gegen andere Krankheiten» enthalten. Kombinationen sind laut Beschluss aber nur - wie heute üblich - mit Mumps, Röteln und Windpocken erlaubt.
Der Verein Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung (ÄFI), der die Klagen unterstützt hatte, reagierte enttäuscht. Das Gericht lasse zahlreiche Fragen unbeantwortet. «Das sogenannte "Masernschutzgesetz" missachtet das Kindeswohl auf eklatante Weise», erklärte der ärztliche Geschäftsführer und Sprecher, Alexander Konietzky. «Eltern, Ärztinnen und Ärzte werden praktisch gezwungen, Kinder in unseren Augen verfassungswidrigen Maßnahmen auszusetzen, von den medizinischen Folgen ganz zu schweigen.»
Die Impfpflicht gilt auch in anderen Gemeinschaftseinrichtungen wie Flüchtlingsunterkünften und in der Schule. Hier wird wegen der Schulpflicht aber kein Kind ausgeschlossen. Es können nur Bußgelder bis 2500 Euro verhängt werden. Umfasst sind auch die Beschäftigten wie Lehrerinnen und Erzieher. Das Personal in Krankenhäusern oder Arztpraxen muss ebenfalls gegen die Masern geimpft oder immun sein.
Zu diesen betroffenen Gruppen äußerte sich das Gericht nicht. Nach Auskunft einer Sprecherin ist derzeit noch eine einstellige Zahl an Verfahren mit Bezug zur Masern-Impfpflicht anhängig.
Ausgenommen sind alle, die vor 1971 geboren sind. Bei den Älteren geht man davon aus, dass sie höchstwahrscheinlich sowieso einmal die Masern hatten. Denn die Impfung wird in der Bundesrepublik erst seit 1974 empfohlen. In der DDR war sie seit 1970 für Kinder Pflicht.
Seit März gibt es in Deutschland außerdem eine Corona-Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal. Diese hatte das Verfassungsgericht noch im Frühjahr überprüft und ebenfalls gebilligt.